"Trefferquote an korrekten Meldungen nicht allzu hoch"

"Trefferquote an korrekten Meldungen nicht allzu hoch"
Journalisten müssen draußen bleiben: Berichte über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen sind schwierig. Ein altgedienter Parlamentsreporter über Spekulationen und Spielchen.
23.10.2009
Von Ulrich Pontes

"Erst wenn der Koalitionsvertrag und die Kabinettsliste vorliegen, steht der politische Journalismus wieder auf seriösen Füßen." Hans Peter Schütz, früherer Politikchef des "Stern", ist seit 40 Jahren bei Koalitionsverhandlungen dabei - und findet die Berichterstattung zu spekulativ und aus Sicht des Bürgers auch übertrieben, wie er im Gespräch mit evangelisch.de erklärt.

"Das Thema wird von den Medien hochgepusht", sagt der Reporter im (Un-)Ruhestand, der immer noch regelmäßig Kolumnen für stern.de schreibt. "Der Normalbürger denkt sich doch: es wird schon was dabei rauskommen, und es wird uns Geld kosten." Die ständigen Wasserstandsmeldungen aus den Koalitionsverhandlungen aber und - bei Journalisten besonders beliebt - Spekulationen um Personalien, die gingen am Bürgerinteresse in der Regel vorbei.

Unvollständig, unzulänglich, unzutreffend

Vor allem aber hat er Vorbehalte über den Wert der Informationen, die während der Koalitionsverhandlungen verbreitet wurden. Die Trefferquote an korrekten Meldungen sei "nicht besonders hoch". Manchmal werde schlicht Unzutreffendes behauptet - wie gestern, als verbreitet wurde, dass es eine Einigung über eine Verkürzung des Wehrdienstes auf sechs Monate gebe. Später folgte dann das Dementi und die Erkenntnis, dass die Diskussion darüber offenbar noch andauere. In anderen Fällen blieben zumindest wichtige Details im Dunkeln - so sei etwa bei der Einigung über längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke nicht bekannt, wie viel von den Gewinnen der Staat einfordern wolle.

[linkbox:nid=5234,5198,5124;title=Mehr]

Ein besonders eklatantes Beispiel für unzulängliche Berichterstattung selbst in den renommiertesten Medien sieht Schütz beim Thema Schattenhaushalt: Nach der Ankündigung vor wenigen Tagen hätten zwar Kommentatoren fleißig über die Trickserei geschimpft, aber keiner habe erkannt, was die Koalitionäre schließlich eingestehen mussten: Dass der geplante Sonderfonds mit der Verfassung im Konflikt steht.

"23.30: Rotwein wird ausgeschenkt. (Von außen sichtbar)"

Freilich haben es Journalisten während der Koalitionsverhandlungen auch schwer. Nie sonst im Berliner Politikbetrieb seien Informationen so spärlich, nachprüfbare Fakten so rar; verfolgten alle Akteure auf derart undurchsichtige Weise ihre eigenen Interessen, erklärt der erfahrene Reporter. "Die Gesprächspartner, die man findet, sind meist niederrangig", beklagt Schütz: Wenn, dann bekämen Journalisten in der Regel nur von Sprechern, Büromitarbeitern oder anderen Vertrauten der beteiligten Politiker Auskünfte. "Aber die sitzen selbst nicht mit in den Verhandlungen und haben keinen wirklichen Überblick."

Eine typische Situation schildert er so: Generalsekretäre der beteiligten Parteien marschieren auf und geben bis zur Unverständlichkeit gedrechselte Sprüche von sich - oder Aussagen im Stile von "Ich verrate ihnen - dass das Wetter heute schlecht ist." Statt die gestellten Fragen zu beantworten, feixten sie nur, drehten sich um und gingen. Den verzweifelten Journalisten bleibt da nur, über belanglose Details zu berichten - wie der dpa-Kollege, der ein Protokoll der Verhandlungen vom Donnerstagabend anfertigte, in dem Vermerke stehen wie "22.20: FDP-Vizechef Rainer Brüderle geht wort- und grußlos" und "23.30: Rotwein wird ausgeschenkt. (Von außen sichtbar)". Was in der kleinen Runde hinter den Fenstern der Landesvertretung von NRW - zuletzt blieben die Parteichefs Merkel, Westerwelle und Seehofer unter sich - tatsächlich besprochen wurde, darüber können Journalisten nur spekulieren.

Treffer und Träume

Ebenso wie bei den Personalfragen. Natürlich würden in Hintergrundgesprächen von Politikern mit Journalisten, die weiterhin stattfinden, auch immer wieder Aussagen über Personen gemacht. Aber immer nur unter der Maßgabe, dass der Zitatgeber nicht namentlich genannt wird - und: "Es geht dabei nicht um Fakten, die Sie überprüfen könnten." Journalisten müssen deshalb immer damit rechnen, dass ihre Gesprächsparter sie zu instrumentalisieren versuchen. "Das sind alles Spielchen, mit denen versucht wird, den politischen Gegner - der durchaus zur eigenen Partei gehören kann - in die Defensive zu bringen", fasst es Schütz zusammen. Allenfalls bliebe den Journalisten, die schon länger im Geschäft sind, ihre langjährige Erfahrung mit den Akteuren. Einzelne Politiker, die er früher schon lange interviewt hat, über politische wie persönliche Fragen, die traut sich Schütz auch halbwegs einschätzen zu können: "So dramatisch verändern sich Menschen in ein paar Jahren nicht."

Dass damit dann mitunter doch auch zutreffende Vermutungen angestellt werden können, hat der Freitag erwiesen. Am Morgen noch hat Schütz gegenüber evangelisch.de Wolfgang Schäuble als wahrscheinlichsten Kandidaten für das Finanzministerium bezeichnet - im Lauf des Tags hat sich die Meldung mittlerweile zur Gewissheit verdichtet. Mit Blick auf viele Details bleiben aber auch einem Journalisten, der ganz nah dran ist an den Koalitionsverhandlungen, nur unerfüllbare Träume: "Ich warte immer noch darauf, dass da mal jemand ein Tonband reinschmuggelt", verrät der alte "Stern"-Journalist. Dann müsste, so geht seine Fantasie weiter, eine Zeitung mal eine Stunde Wortlaut der Verhandlungen abdrucken - "am besten die 'taz'", so Schütz. "Ich bin mir sicher, es gäbe viel zu lachen."

Die Kolumen von Hans Peter Schütz bei stern.de finden sich unter "Berlin vertraulich!"


Ulrich Pontes ist Redakteur bei evangelisch.de in Frankfurt.