30 Jahre "Titanic": Kirche als Satiregegenstand

30 Jahre "Titanic": Kirche als Satiregegenstand
Seit 30 Jahren gibt es nun schon das Satire-Magazin "Titanic". Auch Kirche und Religion wurden im Laufe der Zeit aufs Korn genommen. Die Zeiten haben sich jedoch ein wenig geändert. Für viel Wirbel sorgt die "Titanic" mit Kirchen- oder Religionssatire nur noch selten. evangelisch.de-Chefredakteur Arnd Brummer gratuliert dennoch und blickt auf so manche "Lachnummer" der "Titanic" zurück.
23.10.2009
Von Arnd Brummer

Ein monatliches Satiremagazin zu machen, ist schwer. Nicht, dass es in diesem Land nicht genügend Stoff gibt, ist das große Problem; die Inszenierung von Aufregung an und für sich ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Das Überangebot von Realsatire etwa in den privaten TV-Kanälen – man denke nur an die zahlreichen Castingshows, an Talkrunden über Bettnässen und die Bekämpfung von Migräne mittels Astrologie – macht es dem ambitionierten Arbeiter im Weinberg des grenzenlos Bizarren fast unmöglich, die ganze Nation in Atem haltende Aufreger zu produzieren. Angesichts der materiellen Grundlage der realsatirischen Konkurrenzprodukte ist es allemal der Ehre wert und beweist echten Überlebenswillen, wenn in diesen Tagen das Magazin Titanic 30 Jahre alt wird.

Was ein solches Heft in periodischen Abständen braucht ist Spektakel und juristische Verfolgung. Ein Satiremedium, das nicht mindestens einmal im Jahr vom Staatsanwalt untersucht wird, ist auf dem Weg vom Tiger der Geschmacksattacke zum Schmusekater des Establishments. Das waren noch Zeiten als Titanic im Herbst 1980 den ersten Papstbesuch seit vielen hundert Jahren in Deutschland mit einem Plakat als "The Holy Horror Picture Show" feierte! "Bei gutem Wetter Marienerscheinung" wurde versprochen. Als Vorgruppen wurden die Bands "Rocky Ratzinger and his Weihrauch-Swingers" oder "Horny Höffner and his Hallelujas" angekündigt. Und allein das neu erfundene Instrument "Sündesizer" mit dem Virtuosen Kurienkardinal Aua an den Tasten oder "Bischof Reibach am Klingenbeutel" hätten den Kauf von Eintrittskarten lohnend gemacht.

Legendär die Seite 28 des Heftes 11/1980 auf dem ein Kurs im Bekreuzigen "mit Hilfe eines Glases Marmelade" empfohlen wurde. Die Nummer sorgte für den erhofften Wirbel: In Osnabrück und in Hagen verbot der Staatsanwalt Nachdrucke der "religiösen Verhöhnung" . Die Titanic-Gründer Robert Gernhardt, Bernd Eilert und Pit Knorr, Hans Traxler Chlodwig Poth und F.K. Waechter durften sich bestätigt fühlen: Die Auseinandersetzung um verletzte religiöse Gefühle hatte noch immer aufklärerischen Charme.

Anbiederung an den Zeitgeist


Dass vor allem der Katholizismus Zielscheibe des ätzenden Witzes werden konnte, für die Evangelischen nur vergleichsweise milder Spott blieb, kann Protestanten traurig machen. Wenn die Kirche der Reformation zur Zielscheibe wurde, dann nicht wegen halsstarrig konservativer Präsentation, sondern wg. Anbiederung an den Zeitgeist. Etwa als die rheinische Kirche einen Knigge für Kirchenbesucher herausgab, in dem es hieß: "Ob in Disco- oder Motorrad-Anzug, mit Bauchnabel-Piercing, Glatze oder Skateboard – alle dürfen kommen." Titanic-Kommentar: "Evangelische Kirche! Wir können Dir nachfühlen, dass Du Bammel hast, seit Deiner Bimmel immer weniger Schäfchen zum Gottesdienst folgen. ... Ob du es glaubst oder nicht – Du tust uns leid, so wie uns jeder leid tut, der am Ende ist. Die Zeit, die Dir auf Erden gegeben war, ist erfüllt, aber Du röchelst und biederst Dich auf Deinem Sterbelager bei bauchnabelgepiercten Skateboardfahrern und Motorradgangstern an, also bei Leuten die Martin Luther in seinen besten Jahren noch mit Peitschenhieben aus dem Kirchenschiff hinausgetrieben hätte. Tu uns doch bitte die Liebe und stirb nicht winselnd, sondern in Würde! Amen"

Dieser geradezu wehmütig, warmherzige Appell offenbart das ganze Dilemma des Titanic-Teams: Wer Satire macht und sich selbst in der Rolle der aufklärerischen Avantgarde sieht, braucht eine Negativfolie der Ewiggestrigen, Vermufften und Altmodischen, der Fortschrittsverweigerer und Sittenrichter vom uralten Typ. Verschwindet dieses Gegenüber, funktioniert die satirische Dialektik nicht mehr. Inzwischen sind nicht einmal mehr die Juristen in den deutschen Ordinariaten angesichts der Titanic-Spässe über zölibatäre Priester, den Papst aus Bayern und dergleichen mehr in echten Zorn zu versetzen. Und selbst die Muslime in Deutschland sind nur in seltenen Fällen bereit wegen Satire zum Kadi zu rennen. Politik- und Wirtschaftsbashing haben sowieso längst als Empörungsthemen ausgedient. Alle sind so unglaublich tolerant, aber auch so irrsinnig müde.

Ein Wunsch


Was also ist Titanic zu wünschen? Liebe Gernhardt-Erben, Traxler-Epigonen, Nachfolger von Knorr, Eilert, Waechter und Poth:. Wir wünschen Euch keinen schnellen Tod, sondern noch viele gute, weil überraschende Einfälle. Wenn Eure Zeit nun aber auch gekommen sein sollte, haltet Euch an den Rat, den Ihr der evangelischen Kirche gegeben habt: Lasst Euer Heft in Würde sterben. Denn die Rückkehr des alten Muffs in Staat, Kirche und Gesellschaft, der Euch Wohlstand und Gesundheit brächte, den wollen wir uns und Euch nicht wirklich wünschen!


Arnd Brummer ist Chefredakteur von evangelisch.de und Chefredakteur des evangelischen Monatsmagazins "chrismon".