Starke Knochen für ein langes Leben

Starke Knochen für ein langes Leben
Die Unfallchirurgie der Uniklinik Innsbruck verfolgt einen neuen Ansatz im Umgang mit Osteoporose-Patienten. Das Modell könnte international Schule machen.
21.10.2009
Von Stefan Becker

Während sich am Mittwoch Orthopäden und Unfallchirurgen in Berlin zum gemeinsamen jährlichen Kongress trafen, ging der Alltag in den Ambulanzen weiter, denn Knochen brechen rund um die Uhr und überall. Dabei hält der demographische Wandel auch Einzug in die Operationssäle, denn die Bruch-Patienten werden immer älter und ihre Knochen immer morscher. Eine Ursache dafür ist Osteoporose. Dieser altersbedingte Knochenschwund betrifft verstärkt Frauen nach den Wechseljahren, doch auch Männer bleiben nicht davon verschont. Allerdings bleibt die Krankheit oft verborgen, weil eine entsprechende Diagnose fehlt – bis es zum Sturz kommt, und selbst dann bleibt die richtige Therapie häufig aus.

Um die Situation zu verbessern, plädiert Professor Dr. Klaus-Peter Günther, Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie, für eine bessere Identifikation von Risikopatienten und den Ausbau integrierter Versorgungskonzepte. Wie so ein Konzept aussehen könnte, demonstriert die Unfallchirurgie an der Universitätsklinik Innsbruck. Seit diesem Mai praktizieren die Mediziner dort einen interdisziplinären Ansatz im eigenen "Zentrum für Altersfrakturen". Wie das konkret abläuft, erzählen die Chirurgen Dr. Christian Kammerlander und Dr. Tobias Roth am Beispiel einer älteren Frau, die sich den Oberschenkelhals gebrochen hat: "Kommt die Patientin zu uns, kümmert sich sofort ein besonders geschulter Internist, der Geriater, um sie und klärt, welche Medikamente sie bereits nimmt, damit es zu keinen Komplikationen mit Schmerzmitteln kommt. Vor der Operation checkt der Anästhesist die ideale Narkose und dann operieren wir so schnell wie möglich, denn Zeit bedeutet Lebensqualität."

Mehr Kontrolltermine als normal

Im Operationssaal erlebten die Chirurgen früher oft eine böse Überraschung, wenn die Knochen das Implantat nicht hielten und ein Wettlauf gegen die Zeit begann. Dem können die Mediziner heute vorbeugen: Mit einem in der Schweiz entwickelten Verfahren können sie die Knochendichte direkt an der Fraktur messen und so das passende mechanische Material auswählen. Normalerweise wäre damit der Einsatz des Chirurgen erledigt, der laut Statistik seinen Patienten nach dem Eingriff nur noch einmal innerhalb eines Jahres zur Kontrolle sieht. In Innsbruck aber haben die Ärzte mit dieser Routine gebrochen und ein neues System etabliert – drei Termine sind Pflicht. "Im Anschluss an die Operation entscheiden dann Ärzte und Pflegepersonal gemeinsam, welches Potential die Patientin besitzt, welche Therapie sich anbietet und dann arbeiten alle mit vereinten Kräften daran, dass sie so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommt", erklären die Chirurgen.

Begriffe wie Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit bekommen in Innsbruck eine ganz konkrete Bedeutung. Das Team betreut jeden Patienten individuell und nutzt dabei neben der digitalen Technik zum Datentransfer auch intensiv analoge Methoden. Dazu gehören der Austausch unter den Fachleuten, so wie jüngst bei einem vierzehntägigen Jour fixe mit Gästen aus dem In- und Ausland, wie jüngst einer Delegation aus Griechenland. Und natürlich gehört auch das Gespräch mit dem Patienten dazu, sagen die Innsbrucker: "Viele der älteren Patienten sind tiefreligiös, manche wiederum neigen zu Depressionen – wo wir helfen können, unterstützen wir. Dabei gehört zum Konzept, dass die Patienten in keine eigene Abteilung kommen, sondern auf unsere vier Stationen verteilt sind und dadurch viel Kontakt zu jüngeren Patienten haben, was der Genesung dient."

Vorbeugung mit Vitamin D

Aber auch die nachhaltigste Betreuung ist wenig wert ohne eine konsequente Behandlung der Osteoporose, die den Bruch erst ermöglich hat. Gegen die Krankheit gibt es viele Medikamente, doch wie eine aktuelle Studie aus Tokio zeigte, wirken diese erst optimal, wenn der Körper über genügend Vitamin D verfügt. Das aber sei das große Problem unserer Zeit, sagt Dr. Nicolai Worm. Der Ernährungswissenschaftler aus München hat viele Arbeiten zu dem Thema in einem Buch zusammen getragen (www.heilkraft-d.de) und warnt vor den Konsequenzen einer Vitamin-Unterversorgung. Die kann sich auch schon in jungen Jahren bemerkbar machen. "Schmerzen Muskeln oder ermüden sie leicht, kann das ein Indiz für Vitamin-D-Mangel sein", so der Fachmann. Für eine optimale Versorgung brauchen wir jeden Tag mindestens zwischen zehn und 30 sonnige Minuten an der frischen Luft – doch bei uns im Flachland ist die Intensität der UVB-Strahlen bereits ab Mitte Oktober dafür zu gering."

Bleibt der fette Fisch als Quelle des Vitamins mit Hormon-Status. Doch wer keinen täglichen Appetit auf Hering oder Lachs verspürt, dem empfiehlt der Forscher, in der dunklen Jahreszeit den aktuellen Vitamin-Status mit dem Hausarzt abzuklären und dann entsprechend vorzusorgen. Das gelte besonders für alte Menschen, weil sie sich weniger im Freien aufhalten, ihre Haut dazu die Strahlen blockt und so Senioren fast immer mit dem Vitamin-Defizit leben. Dabei könnte eine regelmäßige Gabe der notwendigen Dosis gar kleine Wunder wirken – streng wissenschaftlich erforscht, berichtet Ernährungswissenschaftler Worm: "Studien haben gezeigt, dass ein normaler Vitamin-Status das Sturzrisiko dramatisch senkt, die Muskeln funktionieren besser, weil die Nerven besser arbeiten und sich die Menschen wieder koordinierter bewegen."


Stefan Becker ist freier Journalist und Fotograf. Er lebt in Innsbruck und Hamburg.