Eigentlich müsste der Bundesverfassungsgerichtstermin für Thomas K. aus dem nordhessischen Eschwege ein großer Tag sein. Denn der verheiratete Arbeitslosengeld-II-Empfänger und Vater einer 15-jährigen Tochter hat mit seiner Klage gegen die Hartz-IV-Regelsätze erreicht, dass nun Deutschlands oberste Richter die seit 2005 geltende Hartz-IV-Reform auf den verfassungsrechtlichen Prüfstand stellen. Das Arbeitslosengeld II für Langzeitarbeitslose reiche "vorne und hinten nicht", sagt Thomas K. Es gewähre nicht einmal das im Grundgesetz geschützte Existenzminimum. (AZ: 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09).
Zur mündlichen Verhandlung heute in Karlsruhe wird der Arbeitslose jedoch nicht erscheinen. Weil er sich gerichtlich gegen die niedrigen Hartz-IV-Leistungen gewehrt hat, sei seine Familie mehrfach von Unbekannten auf offener Straße angepöbelt und beschimpft worden. Seine ehrenamtliche Tätigkeit bei einer Erwerbsloseninitiative stellte er ebenfalls ein, damit seine Familie nicht mehr weiteren Angriffen ausgesetzt wurde.
Grundlage des Pauschalbetrags nicht transparent
Dabei steht Thomas K. mit seiner grundsätzlichen Kritik an der Höhe der Hartz-IV-Regelsätze nicht alleine da. Neben dem Hessischen Landessozialgericht hatte auch das Bundessozialgericht in Kassel am 27. Januar 2009 zwei weitere Verfahren den Karlsruher Richtern zur Prüfung vorgelegt.
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Geklagt hatten dort zwei Elternpaare aus Dortmund und dem Landkreis Landau. Die Hartz-IV-Empfänger hatten sich dagegen gewehrt, dass sie für ihre unter 14-jährigen Kinder im Jahr 2005 nur 207 Euro monatlich erhalten hatten, also 60 Prozent des damaligen Hartz-IV-Satzes eines alleinstehenden Erwachsenen. Der pauschale Betrag von 60 Prozent sei vollkommen willkürlich gewählt, der eigentliche Bedarf eines Kindes könne damit nicht gedeckt werden, trugen die Kläger vor.
Das Bundessozialgericht gab ihnen Recht. Die gesetzlichen Regelungen verstoßen gegen den Gleichheitsgrundsatz, die Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip, befanden die Sozialrichter. Es sei nicht ersichtlich, wie die Regierung den Bedarf der Kinder ermittelt habe.
Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz
"Eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes ist nicht möglich", urteilte Peter Udsching, Vorsitzender Richter des 14. Senats beim Bundessozialgericht. Verfassungswidrig sei, dass Kinder aus Hartz-IV-Familien mit den Pauschalen auskommen müssten, während Kinder, die Sozialhilfeleistungen beziehen, einen Mehrbedarf in bestimmten Bereichen geltend machen können. Es werde auch kein Unterschied zwischen dem Bedarf von Kleinkindern und älteren Kindern gemacht. Das verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Mit der bevorstehenden Prüfung der Hartz-IV-Reform durch das Bundesverfassungsgericht sah sich die Bundesregierung nun genötigt, mehr für Kinder aus Hartz-IV-Familien zu tun. Seit 1. Juli erhalten Sechs- bis 13-Jährige nicht mehr 60 Prozent, sondern 70 Prozent des Regelsatzes, also 251 Euro pro Kind.
Das Bundesarbeitsministerium hat die Hartz-IV-Leistungen für Kinder erwartungsgemäß als "ausreichend" verteidigt. Mit diesen Unterstützungsleistungen würden die Betroffenen "so gestellt wie Personen im Niedrigeinkommensbereich, also wie etwa ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland". So heißt es in einer Stellungnahme des Ministeriums vom Dienstag.
Ministerium verteidigt Berechnungsgrundlage
Die Berechnung dieser Leistungen erfolgt nach Auffassung des Ministeriums "plausibel und sachgerecht". "Ausreichend" seien die Regelsätze deshalb, weil die Grundsicherung nicht nur auf das Ziel der Existenzsicherung ausgerichtet sei, sondern auch darauf, Menschen in Arbeit zu bringen. So liege die Armutsrisikoquote der Kinder in Haushalten, in denen kein Elternteil erwerbstätig ist, bei 48 Prozent. "Ist nur ein Elternteil in Vollzeit erwerbstätig, verringert sich die Armutsgefährdung der Kinder auf 8 Prozent."
Das Ministerium verteidigte auch die Pauschalierung der Leistungen: "Bedarfe lassen sich nicht ausschließlich mathematisch berechnen, sie bedürfen immer auch Wertentscheidungen, die auch in die Festsetzung der heutigen Bedarfe eingeflossen sind." Dies habe der Gesetzgeber getan. Der Bedarf eines Kindes sei überdies anders als der alleinlebender Erwachsener "über die Verbrauchsausgaben nur zu ermitteln, indem der familiäre Zusammenhang, in dem die Kinder leben, berücksichtigt wird".
Das gewählte Statistikmodell hat der Darstellung zufolge "den Vorteil, dass es sich an den tatsächlichen Verbrauchsgewohnheiten und am Verbrauchsniveau einer vergleichbaren Bevölkerungsgruppe orientiert, nämlich an den Beziehern von geringen Einkommen, die nicht hilfebedürftig sind". In diesen Verbrauchsausgaben fänden geänderte Lebensgewohnheiten und Wohlstandsveränderungen "unmittelbar ihren Niederschlag". Das System sei somit "flexibel und lebensnah".
Falls das Bundesverfassungsgericht die Regelleistungen für Kinder auch für die Vergangenheit als verfassungswidrig einstuft, müsste der Staat rückwirkend bei jenen nachzahlen, die Widerspruch gegen die Höhe der Regelleistung eingelegt oder einen Überprüfungsantrag gestellt haben. Ein Urteil wird indes erst für Anfang nächsten Jahres erwartet.