China: Einflussreicher Dissident darf nicht zur Buchmesse

China: Einflussreicher Dissident darf nicht zur Buchmesse
Buchmesse mit Gastland China - das heißt auch: Beachtung verdient, wer nicht kommen darf. Wie Liu Xiaobo, der mit der "Charta 08" eine Initiative für mehr Freiheitsrechte angestoßen hat.
12.10.2009
Von Kristin Kupfer

Die Zukunft des seit zehn Monaten inhaftierten Dissidenten ist weiter unklar. Die Untersuchungshaft wurde nach Behördenangaben bis 23. November verlängert. Auf Lius Schicksal will der deutsche Zweig des Schriftstellerverbandes P.E.N. auf der Buchmesse vom 14. bis 18. Oktober besonders aufmerksam machen.

Der Publizist Liu, 53, ist Hauptinitiator der politischen Erklärung "Charta 08" (hier in deutscher Übersetzung). Die inzwischen rund 5.000 Unterzeichner fordern Meinungsfreiheit, eine unabhängige Justiz und freie Wahlen in China. Ende Juni 2009 war Liu offiziell wegen "Aufwiegelung zum Umsturz der Staatsmacht" verhaftet worden. Aber schon kurz vor der Veröffentlichung der "Charta" im Dezember 2008 nahmen ihn die Behörden inoffiziell fest und stellten ihn unter bewachten Arrest.

Breite Unterstützung - Weiteres Verfahren unklar

Aus seinen Verhören schließt Liu, dass sich die Vorwürfe gegen ihn auf seine gesamten Schriften beziehen. Ob er Ende November freigelassen oder offiziell angeklagt wird, sei völlig unklar, sagt einer seiner beiden Anwälte. Für Lius Freilassung setzten sich in einem offenen Brief 500 chinesische Intellektuelle und unter anderem auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ein.

Liu kämpft seit mehr als 20 Jahren für politische Freiheit und Demokratie in China. Als Mitbegründer und langjähriger Präsident des unabhängigen chinesischen P.E.N.-Zentrums gilt er als einflussreichster Dissident der Volksrepublik. Er veröffentlicht viel und bemüht sich um einen konstruktiven Diskurs unter Chinas kritischen Intellektuellen. Daher ist er einer der wenigen Denker, die von der älteren und der jüngeren Dissidenten-Generation gleichermaßen geschätzt wird.

Sein Engagement resultiert aus seiner Beteiligung am letzten Hungerstreik bei der Protestbewegung um den Tiananmen-Platz 1989, die blutig niedergeschlagen wurde. Zunächst hatte sich Liu als Literaturkritiker und engagierter Dozent der Philosophie und Kultur einen Namen gemacht. Als treibende Kraft nannte er die Erfahrung eines "versklavten Individuums", die er während einer dreijährigen Landverschickung mit seinem Vater von 1970 bis 1973 in der Inneren Mongolei machte.

Wichtiger Ratgeber für Tiananmen-Demonstranten

Geboren am 28. Dezember 1955 in der Hauptstadt Changchun der nordöstlichen Provinz Jilin, studierte Liu später Literaturwissenschaften und kam 1982 an die Pädagogische Hochschule in Peking. Dort unterrichtete er Philosophie, Literatur und Kultur und promovierte 1988.

Als Anfang 1989 in Peking die Studentenproteste begannen, war Liu auf einer Forschungsreise in den USA. Er kehrte im April vorzeitig zurück. Als damals 33 Jahre alter Dozent mischte er sich unter seine demonstrierenden Studenten auf dem Tiananmen-Platz. Sie sahen in dem stets kritisch-rationalen Liu einen wichtigen Ratgeber.

Als die Bewegung an Faktionskämpfen zu zerbrechen drohte, initiierte Liu mit anderen Intellektuellen Ende Mai/Anfang Juni 1989 den letzten Hungerstreik auf dem Tiananmen-Platz. Als die Panzer bereits rollten, verhandelte er mit anderen Dozenten in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni mit der Militärführung über den friedlichen Abzug der Studenten.

Festnahmen, Überwachung und Hausarrest Alltag

Bereits damals wurde Liu für rund 18 Monate ohne Prozess inhaftiert. Ein Gericht verurteilte ihn im Oktober 1996 wegen "Verbreitung von Gerüchten und Verleumdung" sowie "Störung der öffentlichen Ordnung" zu dreieinhalb Jahren Umerziehungslager. Festnahmen, Überwachung und Hausarrest im Umfeld von politischen Jahrestagen oder Großereignissen wie den Olympischen Spielen 2008 in Peking bestimmten seither seinen Alltag. Liu ist seit 1997 mit der Dichterin Liu Xia verheiratet und hat einen Sohn aus erster Ehe.

Nach Angaben von Freunden schrieb Liu drei Jahre an der "Charta 08" mit und diskutierte sie mit anderen Intellektuellen. Durch seine vielen originellen Publikationen und seine Integrität genießt er auch bei vielen Intellektuellen innerhalb des staatlichen Systems in China großen Respekt. So fanden sich für die "Charta 08" gleich zu Beginn 303 Unterzeichner aus verschiedenen Kreisen.
 

epd