Integration geht durch den Magen

Integration geht durch den Magen
Immer noch gibt es bei vielen Vorurteile gegen Migranten. Und oft geben Eltern diese Vorurteile an ihre Kinder weiter. Zwei Modellprojekte in Bayern sollen nun schon im Kinderhort und an der Grundschule die Integration von Kindern aus Zuwandererfamilien vorantreiben. Diesen Kindern - egal ob sie aus Polen, Ägypten oder dem Senegal stammen - wollen die Projekte im Raum Regensburg auch mehr Selbstbewusstsein geben.
10.10.2009
Von Flora Jädicke, dpa

Der evangelische Kinderhort in Nittendorf geht davon aus, dass nicht nur Liebe durch den Magen geht, sondern auch die Integration. Und so wird dort ganz auf das gemeinsame Kochen gesetzt. Mit Märchen dagegen wollen zwei Regensburger Grundschulen die Integration vorantreiben. Dort sollen die Buben und Mädchen aus Nah und Gern durch Lernen und Vorlesen von Geschichten mehr Verständnis füreinander erlernen.

In Nittendorf wurde vom Kinderhort bereits ein "Multikulturelles Kochbuch" herausgegeben. "Ich hätte nie gedacht, dass das so lecker ist", schwärmt die zehnjährige Helena und sucht in dem Buch das Rezept für die Fastnachtspulla aus Finnland. Elf Nationen streiten manchmal im Kinderhort, aber beim Essen verstehen sie sich. Da sei die Idee für das eigene internationale Kochbuch naheliegend gewesen, meint Hortleiterin Tanja Schmaus. "Man versteht eine Kultur besser, wenn man sie kulinarisch auf sich wirken lässt."

Die Eltern im Blick

Mit der Aktion hatte Schmaus "von Anfang an auch die Eltern im Blick". Die hätten häufig größere Probleme, wenn es um Toleranz gehe. Vorurteile gegenüber Fremden bekämen die Kinder von zu Hause mit. Deshalb lud sie Eltern ein, ihre ethnischen Spezialitäten bei einem Buffet vorzustellen. Später kochten die Kinder dann Probe: Mehl abwiegen, Eiweiß trennen, Wasser abmessen und Piroggen formen. Auch Helena findet die Idee toll. Sie weiß jetzt, was bei Finnen, Russen, Polen oder Chilenen auf den Teller kommt. "Über meine Heimat habe ich auch mehr erfahren", sagt das Mädchen aus albanisch-deutschem Elternhaus.

Monatelang hatten die Sieben- bis Elfjährigen Original-Rezepte gesammelt - Gerichte aus 23 Staaten und aus "Leckerland" - dem Land, in dem sich kulinarisch alle zu Hause fühlen. Bei der Integration à la carte lernten sie nebenbei Land und Leute kennen. Historisches, Einwohnerzahlen, die Namen der Hauptstädte und die wichtigsten Wörter der Sprache: alles nachzulesen auf den 112 Seiten des Multikulti-Kochbuches.

Die Sprache steht beim "Märchenkinder"-Projekt der Regensburger Freiwilligen-Agentur im Vordergrund. "Wir haben Schulklassen, in denen nahezu 80 Prozent der Kinder aus Familien stammen, die zugewandert sind", erklärt Projektleiterin Evelyn Kolbe-Stockert. "Da mussten wir uns was einfallen lassen." Bei dem Projekt wurde die alte Tradition des Geschichten-Vorlesens in zwei Grundschulen wiederbelebt. Die Grundschüler lesen die Märchen dann jüngeren Kindergartenkindern vor.

Vorteil der zwei Sprachen

Wie die achtjährige Diona kämpft sich nun auch der gleichaltrige Saefedin durch die deutschen Texte, Wort für Wort. "Was heißt Schneewittchen?" Immer wieder stolpert der kleine Tunesier über schwierige Worte. Nur gut, dass die Lesepatin jedes erklärt, und das ohne Druck, den er sonst vom Unterricht kennt. Manche Geschichten sind zweisprachig, dann wird es auch für Saefedin leichter. Er will die Geschichte unbedingt verstehen.

Seine jüngeren Zuhörer im Kindergarten wollen sicher wissen, was ein Zwerg ist. "Wenn sie arabisch sprechen, werde ich es ihnen auf Arabisch erklären", sagt Saefedin. Wenn nicht, übersetzt ein anderes Kind in die Muttersprache. Das Vorlesen und Erklären der Geschichten gebe den Schüler Selbstvertrauen, erklärt Kolbe-Stockert. "Sie können eine neue Sprache üben und dürfen trotzdem dabei ihre Muttersprache gebrauchen."

In der Grundschule zwei Sprachen gut zu sprechen, ist etwas Besonderes. So werden viele Kinder von Fremden und Außenseitern in der Klasse zu Mentoren für andere Schüler. Sie werden zu Vorbildern, weil sie zwischen den Kulturen wechseln können. "Ich spreche Albanisch und Deutsch", sagt Diona stolz. Das Projekt wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Das bayerische Sozialministerium sieht es als Vorbild für andere Schulen.