Die Werke mit dem "größten Nutzen für die Menschheit"

Die Werke mit dem "größten Nutzen für die Menschheit"
Fünf Frauen mit Nobelpreisehren in einem Jahr: Schwedens König Carl XVI. Gustaf hat am Mittwoch in Stockholm die diesjährigen Nobelpreise überreicht und dabei eine Rekordanzahl von Preisträgerinnen ausgezeichnet. Vier Frauen bei den wissenschaftlichen Preisen und Literaturnobelpreis-Trägerin Herta Müller stellten damit einen Rekord seit der ersten Verleihung 1901 auf. Allerdings waren die traditionsgemäß befrackt im Konzerthaus auftretenden sieben Männer dann doch noch in der Mehrheit.
09.10.2009
Von Petra Thorbrietz

Der 100. Nobelpreis für Medizin ging an zwei US-Forscherinnen und einen Landsmann, die das Altern der Zellen erklärt haben. Elizabeth Blackburn, ihre ehemalige Mitarbeiterin Carol Greider sowie Jack Szostak teilten sich die Dotierung von umgerechnet 950.000 Euro (10 Millionen Schwedischen Kronen). Ihre Resultate finden sich in jedem einschlägigen Lehrbuch - und könnten eines Tages zu neuen Medikamenten führen, etwa gegen Krebs oder Erbkrankheiten.

Den Nobelpreis für Physik teilte sich der gebürtige Chinese Charles Kao aus den USA nach seiner grundlegenden Arbeit für rasend schnelle Datenleitung über Glasfasern mit zwei amerikanischen Kollegen. Willard Boyle und George Smith haben lichtempfindliche Chips für Digitalkameras oder Scanner entwickelt. Kao hat öffentlich mitgeteilt, dass er an Alzheimer erkrankt ist. Er will einen Teil seines Preisgeldes zur Betreuung von anderen Menschen mit dieser Alterskrankheit in Hongkong sowie zu Forschungszwecken stiften.

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Den Nobelpreis für Chemie nahmen die drei Zellforscher Venkatraman Ramakrishnan aus Großbritannien, Thomas Steitz aus den USA und Ada Jonath aus Israel entgegen. Sie haben die Eiweißfabriken der Zelle analysiert, die Ribosomen. Den seit 1969 vergebenen Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaft konnte mit der US-Wissenschaftlerin Elinor Ostrom zum ersten Mal überhaupt eine Frau in Empfang nehmen. Sie teilte sich die Auszeichnung mit ihrem Landsmann Oliver Williamson.

Den Nobelpreis für Literatur bekam Herta Müller für ihre Werke, in denen sie Erlebnisse von Fremdheit und politischer Verfolgung aus ihrem Leben in Rumänien unter Ceausescu beschreibt. Der Friedensnobelpreis ging in diesem Jahr mit einer umstrittenen Vergabe an US-Präsident Barack Obama für seine Anstrengungen, die internationale Zusammenarbeit zu fördern, globale Herausforderungen anzugehen und eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen.

Diskussionen über Sinn und Ziel der Nobelpreise

"Größten Nutzen für die Menschheit" – das war die Forderung des schwedischen Chemikers und Industriellen Alfred Nobel (1833 – 1896), als er testamentarisch die Grundlage für die jährliche Verleihung des international renommiertesten Preises legte. Seither hat es immer wieder heftige Debatten und Kontroversen darüber gegeben, ob die Entscheidungen der verschiedenen Nobelpreiskomitees dieser Zielsetzung Rechnung tragen und ob sie gerecht sind.

Für die Physik zum Beispiel verfügte Nobel, dass den Preis derjenige oder diejenige erhalten sollten, die die wichtigste "Entdeckung oder Erfindung" auf diesem Gebiet gemacht hätten. Drei von vier der Auszeichnungen betreffen inzwischen jedoch Entdeckungen, also Grundlagenforschung, die zwar durchaus von großem Nutzen sein kann, aber eben nicht so unmittelbar umsetzbar ist wie eine Erfindung.

Aber es gibt auch noch andere Kritikpunkte an dem über hundertjährigen Konzept der Auszeichnung. So sind die Zeiten, in denen eine einzelne Forscherpersönlichkeit eine großartige Entdeckung machten, längst vorbei. Moderne Wissenschaft verlangt hochgradige Spezialisierung bei gleichzeitigem Teamwork, deshalb ist die Vorschrift, den Preis nie mehr als an drei Personen gleichzeitig zu vergeben, problematisch geworden. Zum Beispiel erhielten 2002 der Japaner Koichi Tanaka und der US-Amerikaner John Fenn den Chemie-Nobelpreis für ihre Entwicklungen auf dem Gebiet der Massenspektrometrie, obwohl die Leistungen der Deutschen Franz Hillenkamp und Michael Karas vom Institut für Physikalische und Theoretische Chemie an der Universität Frankfurt auf diesem Gebiet ebenso wichtig waren. Gegenstand heftiger Kritik war 1965 auch die Entscheidung gewesen, Richard Feynman, Julian Schwinger und Sin-Itiro Tomonaga den Physiknobelpreis für ihre Forschungen in der Quantenelektrodynamik zu geben, obwohl der Mathematiker Freeman Dyson dafür einen entscheidenden Beitrag geleistet hatte.

Keine Ehrung nach dem Tod

In seinem eigenen Fach hatte Dyson keine Nobel-Chance, denn es gibt keinen Nobelpreis für Mathematik. Unklar ist bis heute, warum dieses Thema Alfred Nobel nicht zu interessieren schien. Mathematiker mussten immer wieder Seitenpfade einschlagen, um die renommierte Auszeichnung zu erhalten, zum Beispiel Bertrand Russell, der 1950 den Literaturnobelpreis erhielt, oder der Deutsche Max Born, der für seine quantenmechanische Forschung 1954 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde.

Fraglich ist auch, warum Wissenschaftler nicht posthum ausgezeichnet werden dürfen. Die Engländerin Rosalind Franklin, Wegbereiterin der Entschlüsselung der Erbsubstanz, starb 1958 mit nur 38 Jahren an Krebs, vier Jahre bevor Francis Crick, James Watson und Franklins Mitarbeiter Maurice Wilkens den Medizinnobelpreis dafür erhielten. Ihr eigener fundamentaler Beitrag zu dieser Arbeit wurde von den Siegern nur kurz erwähnt.

Mitunter werden auch Forschungsleistungen ganz unterschlagen, wie im Fall des Chemienobelpreises 2000 für die Entdeckung und Entwicklung leitetender Polymere (an die US-Amerikaner Alan Heeger, Alan MacDiarmid und Hideki Shirakawa), obwohl solche Kunststoffe auch schon 14 Jahre zuvor von anderen beschrieben worden waren.

Heftigste Debatten beim Friedensnobelpreis

Die heftigsten – naturgemäß politischen - Debatten gab es stets um die Nominierungen für den Friedensnobelpreis. Er soll an Personen gehen, die sich für die "Brüderlichkeit unter den Nationen", Abrüstung und Friedensverhandlungen einsetzten. Mahatma Gandhi zum Beispiel wurde zwischen 1937 und 1948 fünf Mal nominiert, aber nie ernannt. Als er 1948 ermordet wurde, beschloss das Nobelpreiskomitee, den Preis nicht posthum zu verleihen, sondern für dieses Jahr auszusetzen. Dass die Errungenschaften, die ausgezeichnet werden sollen, mitunter von kurzer Dauer sind, zeigt unter anderem die besonders umstrittene Verleihung 1994 an den Palästinenser Jassir Arafat (1929 – 2004) sowie die Israelis Schimon Peres und den später bei einem Anschlag ermordeten Jitzhak Rabin (1922 – 1995). Die Lösung des Nahostkonflikts konnte die Preisverleihung nicht befördern.

Immer wieder, etwa im Fall der oppositionellen Menschenrechtlerin Aung San Suu Kyi aus Myanmar (1991), wird die Auszeichnung von politischen Machthabern oder Regierungen als Einmischung in innere Angelegenheiten kritisiert. Im Falle von US-Präsident Barack Obama stellten sich viele Kommentatoren die Frage, ob der Preis nicht eher Vorschusslorbeeren repräsentierte, gerade vor dem Hintergrund der Truppenaufstockung in Afghanistan. Obama hat damit mehr US-Soldaten im Krieg als sein Vorgänger George W. Bush.

Wer verleiht welchen Preis?

Den Preis für Physik und Chemie verleiht die "Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften", den für Physiologie oder Medizin das "Karolinska Institut" in Stockholm, und den für Literatur die "Schwedische Akademie". Die Friedensnobelpreisträger werden von einem fünfköpfigen Ausschuß des norwegischen Parlaments bestimmt. Nicht in Nobels Testament verfügt war der Nobelpreis für Wirtschaft, der von der Schwedischen Reichsbank gestiftet und seit 1969 "in Erinnerung an Alfred Nobel" ebenfalls von der "Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften" verliehen wird.

2009 war das Jahr der Frauen

Frauen sind die Siegerinnen der diesjährigen Nobelpreise. Zum ersten Mal in der Geschichte der Preisverleihung gewinnen zwei Frauen in einem Team die begehrte Auszeichnung: Carol Greider und Elizabeth Blackburn, die gemeinsam mit Jack Szostak für ihre Erkenntnisse auf dem Gebiet der Altersforschung geehrt wurden. Sie entschlüsselten die Rolle der Telemore, jener Enden des Erbgutes, die bei der Zellteilung immer kürzer werden und so die Lebensdauer der Zelle begrenzen. Die 60jährige Biologin Elizabeth Blackburn von der Universität von Kalifornien hat bewiesen, dass sie nicht nur einen klugen Kopf, sondern auch Schneid hat: Als Mitglied des "Präsidenten-Rates für Bioethik" bezog sie andere Positionen das Weiße Haus, als es um die Stammzellforschung an Embryonen ging, und wurde 2004 prompt gefeuert.

Im New England Journal of Medicine bewies Blackburn, dass sie keine Angst vor der Macht hat. Sie schrieb über ihren Konflikt mit Bush: "Wenn prominente Wissenschaftler fürchten müssen, dass ihre Forschungsergebnisse von der Regierung falsch dargestellt und missbraucht werden, um politischen Zwecken zu dienen, dann läuft hier etwas tiefgehend falsch." Die "gesunde Skepsis der Wissenschaft", bedauerte sie, sei deshalb Zynismus gewichen.

Mit der US-Ökonomin Elinor Ostrom (Wirtschafts-Nobelpreis), Ada Yonath, einer israelischen Forscherin vom Weizmann Institut der Wissenschaften (Nobelpreis für Chemie) und nicht zuletzt Herta Müller, der Siebenbürger Emigrantin, die den Literaturnobelpreis erhielt, gewannen in diesem einen Jahr fünf Frauen die begehrte Auszeichnung, was in den vergangenen hundert nur acht weiteren gelungen ist.

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mit Material von dpa

Petra Thorbrietz ist freie Wissenschaftsjournalistin und schreibt unter anderem für evangelisch.de.