Auch die Siebenbürger freuen sich über Herta Müller

Auch die Siebenbürger freuen sich über Herta Müller
Die rumäniendeutsche Schriftstellerin Herta Müller steigt in den Olymp der Literatur auf. Auch die Siebenbürger Sachsen freuen sich über die unerwartete Auszeichnung.
08.10.2009
Von Bernd Buchner

Herta Müller stammt zwar aus dem Banat, drei Autostunden westlich von Hermannstadt - doch auch in der Hauptstadt der Siebenbürger Sachsen löste der Literaturnobelpreis für die deutsch-rumänische Schriftstellerin große Freude aus. "Ich bin sehr begeistert und gratuliere ihr", sagt der Pfarrer der örtlichen evangelischen Gemeinde, Kilian Dörr. Erst vor wenigen Tagen hat er Herta Müller getroffen, als sie zu einem Literaturfestival in Hermannstadt war. "Sie ist eine sehr markante Persönlichkeit, es war sehr anregend mit ihr."

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Zwar war die in Berlin lebende Autorin bereits im Vorfeld der Nobelpreisvergabe zu den Favoriten gezählt worden, doch dass sie sich gegen Schwergewichte wie Amos Oz und Philipp Roth durchsetzte, kam für viele überraschend. "Sie geht sehr ernst an die Verarbeitung der Fragen aus der kommunistischen Zeit", schildert Dörr den literarischen Ansatz von Herta Müller, die in Nitzkydorf im Banat geboren wurde und 1987 nach Deutschland auswanderte. "Es sind Fragen, die bisher leider nicht genügend auf den Tisch kommen. Es braucht solche Stimmen."

Wenn der 42-jährige Geistliche über Müllers jüngsten Roman "Atemschaukel" spricht, schwingt auch familiäre Betroffenheit mit: Denn in dem Buch wird das Schicksal der Rumäniendeutschen nach den Zweiten Weltkrieg geschildert. Die meisten arbeitsfähigen Menschen wurden in sowjetische Lager verschleppt, Unzählige starben. "Mein Vater war in Russland", berichtet Dörr. "Aber viel war danach nicht aus ihm herauszubekommen. Gegen dieses Schweigen schreibt Herta Müller an." Aus ihrem Buch, so der Pfarrer, habe er mehr über diese schreckliche Zeit erfahren als von seinem Vater.

Die evangelischen Christen "Augsburgischen Bekenntnisses", wie sie sich stolz nennen, sind eine kleine Minderheit in Rumänien. Kilian Dörrs Gemeinde in Hermannstadt zählt 1.346 Mitglieder, insgesamt sind es nicht mehr als 14.000. Nach dem Fall des Kommunismus sind Siebenbürger Sachsen und die ganz überwiegend katholischen Banater Schwaben "in großen Scharen nach Deutschland ausgewandert", wie Doris Söhner (70) aus Untergruppenbach bei Heilbronn berichtet. Sie organisiert im Auftrag des Gustav-Adolf-Werkes seit vier Jahrzehnten Hilfsprojekte in Rumänien und kennt das Land bestens.

Bewundernd äußert sich Söhner über die frisch gebackene Literatur-Nobelpreisträgerin: "Ich habe Herta Müller immer gut verstanden und sie für ihren Mut bewundert." Die heute 56-Jährige habe nie mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten - und es als sehr schmerzlich empfunden, ihre Heimat verlassen zu müssen. Viele der in der Bundesrepublik lebenden Rumäniendeutschen hätten vermutet, Müller arbeite für die Securitate, den Geheimdienst des Diktators Nicolae Ceausescu (1918-1989). "Aber das stimmt nicht", ist Doris Söhner überzeugt.

Hommage an Oskar Pastior

Rumänien nennt sie "das schönste Land Europas". Vieles sei im Aufbruch, gerade durch den Beitritt zur Europäischen Union vor zwei Jahren, "aber die Korruption ist stark", so die evangelische Helferin. Söhner ist überrascht, dass die Banaterin Herta Müller in ihrem neuen Buch auch ausführlich über den Siebenbürger Schriftsteller Oskar Pastior (1927-2006) schreibt - beide deutschen Volksgruppen pflegen eher eine leise Abneigung zueinander, auch in Deutschland. Nun aber könnte der Stolz auf den Nobelpreis zu neuer Gemeinsamkeit beitragen.