Seine Texte sind unbequem. Die Kritisierten wollen deshalb öffentlich am liebsten gar nichts über Hardy Prothmann und das "heddesheimblog" sagen. "Wir beobachten das Blog aufmerksam und kritisch", sagt ein Sprecher der Gemeinde Heddesheim, der namentlich nicht zitiert werden will. Mehr möchte er nicht über das "neue Medium in der Stadt" sagen.
Dass die badische Gemeinde seit Mai mehr journalistische Stimmen hat als eine Seite Berichterstattung in der Monopolzeitung "Mannheimer Morgen", mussten die Stadtoberen jetzt schon mehrfach erfahren. Denn das "heddesheimblog" wird viel gelesen und viel diskutiert in dem 11.400-Einwohner-Ort. Über eine Million Seitenaufrufe gab es seit Mai, dokumentiert Prothmann in seiner Statistik. Geschrieben hat er über 700 Artikel, dazu gab es 1.400 Kommentare – "und viele weitere, die ich nicht veröffentlicht habe, weil sie mich unflätig beschimpften." Denn der 42-Jährige, der vorher 15 Jahre lang fast ausschließlich für überregionale Zeitungen und Fernsehsender gearbeitet hat, polarisiert in seinem Wohnort mit dem, was er als Lokaljournalismus beschreibt, "der in dieser Form eigentlich normal sein sollte." Kritischen Journalismus. "So etwas fehlt hier völlig. Politische Entscheidungen werden unter dem Tisch getroffen. Berichterstattung darüber gibt es keine."
Braucht Baden ein Oktoberfest?
Das ändert Hardy Prothmann gerade – bei jedem Thema: Wenn in Heddesheim ein Oktoberfest mit Weißwurst und bayrischer Volksmusik steigt, fragt er in seinem Blog, ob die Gemeinde das wirklich braucht, wo sie doch gar nicht in Bayern liegt. Wenn beim internationalen Heddesheimer Schwimmfest Schwimmer Rekorde aufstellen, schreibt er das auf – aber auch, dass der veranstaltende Verein nur seine eigenen Siege auf die Homepage gestellt hat. "Ich schreibe über alle Themen, die in Heddesheim gerade anstehen", sagt der Journalist. "Nur gibt es bei mir keine ‚Die Bratwurst war lecker’ oder ‚Der Wettergott war uns gnädig’-Texte. Niemals."
Vor allem nicht, da in Heddesheim ein anderes Thema schwelt: Pfenning – die Ursache des "heddesheimblogs". Das Viernheimer Logistikunternehmen hat vor einem halben Jahr Prothmanns Arbeitsleben verändert. Als im April bekannt wurde, das Unternehme wolle sich in Heddesheim ansiedeln, packte Prothmann das Bedürfnis, selbst zu recherchieren. "Die Bürgerinitiative präsentierte Horrorzahlen über den zukünftigen Verkehr, der ‚Mannheimer Morgen’ berichtete völlig unkritisch und ohne erkennbare Recherche", erzählt Prothmann. "Und der Bürgermeister informierte lediglich, Pfenning sei ein bedeutendes Unternehmen. Und das war dann die Ausgangsfrage meiner Recherche: Was ist bedeutend?"
Die Ergebnisse seiner Recherche präsentierte er bei "blogger.de": Eine Presseschau aus dem "Mannheimer Morgen", der wohl nicht ins eigene Archiv geschaut hatte, mit Titeln wie "Betriebsratschef zusammengeschlagen" zusammen mit einem kritischen Veranstaltungsbericht bringen dort die Seite zum Abstürzen. Zu viele Zugriffe, denn die Unternehmensansiedlung erregt die örtlichen Gemüter. Das war für Prothmann die Geburtsstunde des "heddesheimblogs". "Dann habe ich die Sachen auf einen größeren Server gestellt und mir gesagt: Du probierst es jetzt ein paar Wochen mit richtigem Lokaljournalismus." Drei Wochen lang arbeitete er "wie ein Lokalredakteur". Zum Brennpunkt "Pfenning" stellte er andere lokale Meldungen, Kommentare, Kolumnen. Die Leser lasen – und kommentierten und schlugen ihm Themen vor.
16-Stunden-Tag
Seitdem steht für Prothmann fest, dass er es versuchen will. Er will das Heddesheimer Lokalmedium sein. 16 Stunden arbeitet er täglich dafür, den Großteil macht er allein. Den Terminkalender erstellt inzwischen seine Frau. Und auch bei Verwaltung und Werbung hat er Hilfe. "Finanziell hab ich ein Polster von etwa einem Jahr, das verbrauche ich für die Startphase, und dann geht es hoffentlich über Werbung auch so weiter." Denn Prothmann will hoch hinaus. Für zehn weitere Gemeinden im Rhein-Neckar-Kreis hat er bereits die Domains reserviert. Im Nachbarort Hirschberg soll schon im Laufe des Oktobers das "hirschbergblog" an den Start gehen. "Das werde ich noch selber bewältigen können", sagt er. "Kommt noch ein Ort hinzu, muss ich jemanden anstellen."
In Heddesheim hat er sich mit der Berichterstattung über Pfenning, dessen Ansiedlung vom Gros der Politik erwünscht ist, auch Feinde gemacht. "Ich bin von Vereinsoberen und Politikern angepöbelt und auch körperlich angegangen worden", sagt Prothmann. Vor einigen Tagen habe jemand ein Nagelbrett unter dem Familienauto platziert. "Das liegt vor allem an der aufgeheizten Pfenning-Debatte", sagt Prothmann. "Nach Jahrzehnten ohne öffentliche Kritik ist das für Heddesheim wohl gewöhnungsbedürftig."
Für den Erfolg seines Blogs ist die Pfenning-Diskussion wohl mitverantwortlich, glaubt Blogforscher Jan Schmidt vom Hamburger Hans-Bredow-Institut. "Ein brennendes Thema, wenig journalistische Versorgung im Ort – hier konnte ein Blog eine Lücke füllen", sagt Schmidt. "Und das Medium passt gut, denn es kostet kaum Geld für den Journalisten, ist leicht zu bedienen und passt wegen der Kommentarfunktion sehr gut zu einem Debattenthema." Dass ein Blog in die Rolle einer Lokalzeitung schlüpft, ist aber eher ungewöhnlich. "Ich kenne kein anderes Beispiel in Deutschland", sagt Jan Schmidt.
Blogs werden noch wenig genutzt
Tatsächlich halten sich die Deutschen beim Bloggen eher zurück. Elf Prozent der Internet-User nutzen Blogs, zeigt die aktuelle ARD/ZDF-Onlinestudie. Und höchstens ein Drittel dieser Blognutzer verfasst eigene Beiträge. Können diese Blogger für den etablierten Journalismus zur Konkurrenz werden? Nein, meint Jan Schmidt. Denn für ihn hat Bloggen nicht unbedingt etwas mit Journalismus zu tun. "Den meisten Bloggern geht es um persönliche Themen oder es werden in Fachblogs sehr spezielle Dinge diskutiert. Das steht dann aber nicht in Konkurrenz zum Journalismus."
Das "heddesheimblog" könnte ein Beispiel für das Gegenteil sein – auch, weil Hardy Prothmann, anders als die meisten Blogger, irgendwann von seinem Blog leben will. Auf der Seite stehen bereits erste lokale Anzeigen und Kleinanzeigen. "In Heddesheim haben mir aber schon einige Gewerbetreibende gesagt, sie wären unter Druck gesetzt worden, keine Anzeige bei mir zu schalten." Er hofft, dass es in den anderen Gemeinden einfacher wird. "Dauerhaft kann ich natürlich nicht von meinem Erspartem leben und viel nebenher frei arbeiten kann ich auch nicht." Als Konkurrenz wird er in jedem Fall empfunden. Der "Mannheimer Morgen" gibt keine Einschätzungen zu "Medien im Verbreitungsgebiet" ab, informiert die Redaktion. Das Verbreitungsgebiet von Hardy Prothmann wird jedenfalls erstmal weiter wachsen.
Das "heddesheimblog" finden Sie hier.