Udo Jürgens: "Ein Leben im Aufwärtsgang"

Udo Jürgens: "Ein Leben im Aufwärtsgang"
"Merci Chérie", "Mit 66 Jahren" und "17 Jahr, blondes Haar" - die Hits von Udo Jürgens kennt jeder. Am 30. September wird der Schlagersänger, Chansonnier, Komponist und Pianist 75 Jahre alt - ein Leben "im Aufwärtsgang", wie er im Interview resümiert.
29.09.2009
Caroline Bock

Was ist Ihr gefühltes Alter?

Udo Jürgens: Darüber habe ich nie nachgedacht. Vielleicht war ich früher der bessere Pianist. Das halte ich für möglich, weil ich zu faul bin zum Üben. Aber dafür singe ich heute besser als vor 25 Jahren. Das hält sich die Waage.

Gibt es Dinge, die Sie am Älterwerden nerven?

Jürgens: Natürlich. Man ist bei weitem nicht mehr so beweglich. Die Knochen tun manchmal weh, wenn man morgens aufwacht. Das ist ganz normal, und man muss erstmal gymnastische oder sonstige Übungen machen. Ich schwimme jetzt jeden Tag viel, das habe ich früher nicht gemacht. Dabei habe ich noch unglaubliches Glück, dass ich nicht von irgendwelchen schweren Behinderungen, Krankheiten befallen bin, wie das in meinem Alter sehr, sehr oft der Fall ist. Ich kann mich ganz normal bewegen und alles machen. Und mein Kopf funktioniert, meine Kreativität funktioniert, ich kann Lieder schreiben. Ich schreibe mit großer Begeisterung. Während ich früher vor allen Dingen das leichte Leben sehr genossen habe, genieße ich jetzt das Leben, das sich auch sehr im Kopf abspielt, das sehr viel mit Lesen zu tun hat.

Was war für Sie das größte Glück im Leben?

Jürgens: Es ist wahrscheinlich das größte Glück, ein Leben so zu leben, wie ich dazu in die Lage gekommen bin. Ich hatte eine unglückliche Kindheit, zum Leidwesen meiner Eltern, die alles für mich getan haben, die ich unendlich geliebt habe. Aber ich bin zu einer sehr unglücklichen Zeit Kind gewesen, nämlich in den Ausläufen der Nazi-Zeit. Ich habe als Kind den ganzen Krieg miterlebt. Da hat man Bilder gesehen, die nicht für Kinderaugen bestimmt sind. Und all das ist mir noch lange im Leben nachgegangen. Und deswegen ist mein Leben eigentlich mit jedem Jahr, das ich älter geworden bin, souveräner und schöner geworden.

Frühe Karriere

 

Sie sind mit 20, also sehr jung im Showgeschäft gestartet.

Jürgens: Es hat wirklich Jahrzehnte gedauert, bis mein Selbstbewusstsein zu dem geworden ist, was es war oder heute ist. Damit konnte ich mein Leben mit dem Älterwerden immer sehr genießen. Und habe eigentlich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine Steigerung erfahren. Das ist etwas sehr Ungewöhnliches. Deswegen glaube ich, dass mein Leben, in dieser Form Lebensstraße, wie ich es erlebt habe, nämlich im Aufwärtsgang, ein Geschenk ist.

Was ist Ihre früheste Kindheitserinnerung?

Jürgens: Mein erstes Bild, das ich sehe, ist komischerweise das Bild, das dort oben auf dem Regal steht, mein Großvater hat es fotografiert. Das sind mein älterer Bruder John und ich in einem Motorboot. Und mein Großvater hat mich mal ans Steuer gelassen - also ein unglaubliches Erlebnis für einen Vierjährigen. Vielleicht hängt damit auch meine Liebe zum Wasser, zu Booten zusammen.

Wann waren Ihre wildesten Jahre?

Jürgens: ch bin ein Zeitzeuge der 60er und 70er Jahre. Und jeder, der diese Zeit erlebt hat, weiß, wovon ich rede.

Leben auf der Kippe

 

Künstler leben oft exzessiv. Gab es Momente, in denen Ihr Leben auf der Kippe stand?

Jürgens: Mit Sicherheit. Die Jahre, die für einen Mann am schwersten zu bewältigen sind, weil wir da alles können müssen, sind die Jahre von Ende 20 bis 45. Meistens heiraten wir in der Zeit. Wir sehen eigentlich auch noch ganz gut aus. Das heißt, dass wir in Saft und Kraft leben und uns Treue wahrscheinlich sehr schwer fällt. Wir haben in dieser Zeit vielleicht zum ersten Mal Erfolg. Auf einmal ist man fast so etwas wie reich. Im Showbusiness sowieso: Da kann es passieren, dass man innerhalb von einem Jahr Millionen verdient und vorher gar nichts verdient hat. Innerhalb eines Jahres kann dieser Wechsel stattfinden. Wie soll ein Anfang 30-Jähriger mit diesem Problem fertig werden? Das habe ich zum Beispiel genau so erlebt bei mir. In der Zeit so zwischen 32 und kurz vor 40, da war ich im Schleudern. Ich habe Alkohol getrunken, als gäbe es kein Morgen. Aber nicht als Säufer, sondern als Ausdruck des Lebens nach den Entbehrungen der ersten Nachkriegsjahre.

Sie finden auch, dass Ihr Sohn Johnny heute ein besserer Familienvater ist als Sie es damals waren.

Jürgens: Mein Sohn ist der beste Vater, den ich kenne. Ich bewundere ihn sehr, und er ist heute in dieser Beziehung eine Art Vorbild für mich. Für mich ist es zu spät, ich habe keine kleinen Kinder mehr. Aber ich konnte mit meinen kleinen Kindern nicht so liebevoll umgehen wie er. Ihnen so eine Perspektive und so viel Zeit und Liebe geben wie er. Das war zu meiner Zeit nicht nur deshalb unmöglich, weil ich egoistischer war als er. Wir haben als Männer in der damaligen Gesellschaftsstruktur die Rolle spielen müssen, die wir gespielt haben.

Sie sind zweimal geschieden - können Sie sich vorstellen, noch einmal zu heiraten?

Jürgens: Nein, natürlich nicht. Für mich ist das ein abgeschlossenes Thema. Für mich ist die Liebe das wichtigste und großartigste Gefühl, wozu Menschen fähig sind. Wenn man sogar noch im höheren Alter fähig ist, das zu leben, wunderbar. Ich denke nicht eine Sekunde darüber nach, dass ich noch mal den Versuch machen sollte, eine Frau dadurch unglücklich zu machen, indem ich sie heirate. Es gibt auch Möglichkeiten, sie glücklich zu machen, nämlich indem ich sie nicht heirate.

Vorteil des Alleinseins

 

Sind Sie gern allein?

Jürgens: Sehr gern. Ich bin in meinem Leben aber auch als Verheirateter sehr viel allein gewesen. Das war ein ganz bitteres Gefühl. Das soll kein Vorwurf an meine Frauen sein, meine Frauen waren beide toll. Die erste (Panja) hat mir wunderbare Kinder geschenkt, die zweite (Corinna) war sehr fröhlich und hat sehr positive Energie verbreitet, aus der ich viel Kraft geholt habe. Aber Probleme habe ich sicherlich mit dem Zustand des Verheiratetseins gehabt. Weil ich es schwierig finde, mein eigenes Leben und meine eigenen Entscheidungen zu teilen. Ich bin gern spontan.

Von Ihnen stammen Hits wie "Aber bitte mit Sahne" und "Mit 66 Jahren" - gibt es Lieder, die Sie am liebsten nicht mehr singen würden?

Jürgens: Nein, kein einziges. Das ist das Schöne bei mir. Die alten Lieder, die ich am Schluss mit oder ohne Orchester und Bademantel noch für die Leute spiele, muss ich einfach spielen, weil sie zu meinem Repertoire gehören. Ein Frank-Sinatra-Abend wäre kein Frank- Sinatra-Abend, wenn nicht am Schluss "My Way" und "New York" gesungen würde. Und jeder, der groß geworden ist in dem Beruf, hat ein paar Lieder, die einfach zu ihm gehören. Ich mache zu 80 Prozent ein neues Programm, aber dann spiele ich auch meine berühmten Hits und Evergreens. Auch mir sind natürlich nicht alle Lieder gut gelungen.
Ich singe nur die alten Songs, die gute Texte und, wie ich finde, auch gute Melodien haben.

Geht es Ihnen manchmal auf die Nerven, am Ende Ihrer Konzerte im Bademantel aufzutreten?

Jürgens: Durchaus nicht, weil es in den Hallen, in denen ich spiele, meistens grausam zieht. Und die Garderoben sind oft schlecht oder nicht geheizt. Die Hallen sind noch bis kurz vor dem Auftritt kalt.
Wenn ich dann meine Zugabe im Bademantel gebe, wenn ich verschwitzt bin, bietet er mir Schutz vor dem Durchzug. Da hat sich etwas ergeben, zum Ritual entwickelt, was auch sehr nützlich ist, weil die Gefahr, sich auf der Bühne zu erkälten, unglaublich groß ist.

Haben Sie noch Träume?

Jürgens: Ich habe mir viel mehr erfüllt, als ich je geträumt habe. Und habe immer noch mehr Träume, als ich von mir je erfüllt bekommen kann. Und das ist gut so. Ich habe immer gewusst, dass Träume dazu da sind, in uns ein Verlangen und eine Sehnsucht auslösen und dass dieses Verlangen wahrlich groß ist. Die Sehnsucht stirbt ja im Augenblick ihrer Erfüllung.

dpa