Umweltexperten aus Politik, Kirche und Gesellschaft haben die neu gewählte schwarz-gelbe Bundestagsmehrheit vor einer Abkehr vom Atomausstieg gewarnt. Angesichts der Entsorgungsprobleme und der atomaren Sicherheitsrisiken gebe es keine Alternative zu einem Sofortausstieg, erklärte das Bündnis Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) am Montag in Bonn. Der Umweltbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, Klaus Breyer, und Grünen-Chefin Claudia Roth befürchten eine Verzögerung bei der Umstellung auf erneuerbare Energien.
Die Umweltexperten erwarten nach der Bundestagswahl vom Sonntag eine neue kontroverse Debatte über Restlaufzeiten von Atomkraftwerken, Energiepolitik und Umweltschutz. Mit ihren Befürchtungen reagierten sie auf Äußerungen von CDU-Politikern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Katharina Reiche und Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger. Reiche etwa sprach in ARD und ZDF von der Kernenergie als notwendiger "Brückentechnologie" und von dem Ziel, längere Laufzeiten von Atomkraftwerken erreichen zu wollen. Ähnlich äußerte sich auch Oettinger. Merkel sagte, sie habe nicht die Absicht, ihr Regierungsprogramm mit dem Bekenntnis zu längeren Laufzeiten sicherer Kraftwerke zu widerrufen.
Grüne wollen "massive Opposition"
Im WDR rief die Grünen-Bundesvorsitzende Claudia Roth zu "massiver Opposition" auf. Zudem sei zu befürchten, dass Schwarz-Gelb versuchen werde, den Weg für die erneuerbaren Energien zu "verstopfen". Ähnlich äußerte sich die Grünen-Politikerin Renate Künast im ZDF. Das BBU unterstrich die Forderung nach einem Sofortausstieg aus der Atomenergie. Auch die Uranfabriken in Lingen und Gronau müssten sofort stillgelegt werden. Schon im Normalbetrieb belasteten die Atomkraftwerke die Umwelt mit dem radioaktiven Tritium im Abwasser. Auch drohe unter der neuen Regierung der Klimaschutz insgesamt ins Abseits zu geraten, befürchtet der bundesweite Dachverband von Umwelt- und Anti-Atomkraft-Initiativen.
Breyer sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), wenn die zentrale Energieversorgungsstruktur über Atomkraftwerke weiter festgeschrieben werde, komme der Wechsel auf erneuerbare Energien "wahrscheinlich später und langsamer". Falls die begonnene Klimaschutzpolitik aufgeweicht wird, fürchtet Breyer Konflikte in der Gesellschaft. Wenn beim Ausstieg aus der Kernenergie und beim Klimaschutz "Verzögerungen eintreten, glaube ich, dass es Auseinandersetzungen geben wird".
Restlaufzeiten nach Strommenge
Im Jahr 2000 hatten sich die damalige rot-grüne Bundesregierung und die Energieversorger im sogenannten Atomkonsens auf Restlaufzeiten für die bestehenden 17 Kernkraftwerke in Deutschland verständigt. Diese Zeiten richten sich nach der erzeugten Strommenge. Der amtierende Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte im Wahlkampf dafür plädiert, acht der Einrichtungen in der nächsten Legislaturperiode abzuschalten. Ein großer Streitpunkt ist zudem die Endlagerung des anfallenden Atommülls.