Filmtipp: "Vision - aus dem Leben der H. von Bingen"

Filmtipp: "Vision - aus dem Leben der H. von Bingen"
Margarethe von Trotta erzählt ihre ganz eigene Geschichte über die berühmte Nonne Hildegard von Bingen und zeichnet dabei das Bild einer modernen, unbeugsamen und intelligenten Frau.
21.09.2009
Claudia Lenssen

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Ein Biopic über eine mittelalterliche Mystikerin ist ein schwieriges Unternehmen – so ein Film könnte heute als Vehikel für merkwürdige Erweckungsbotschaften oder gar als gruseliges Fantasykino daherkommen. Margarethe von Trotta hat mit Mittelalter-Bombast jedoch nichts im Sinn, es widerspräche ihrer Vorstellung von Autorenkino. Sie bleibt sich als Drehbuchautorin und Regisseurin treu, auch wenn sie das Leben der Nonne Hildegard von Bingen auf die Leinwand bringt.


Weibliche Emanzipation, das Thema vieler ihrer Filme, steht für Trotta auch am Beispiel des ungewöhnlichen Lebenslaufs der klugen Hildegard im Vordergrund. "Vision" ist deshalb in erster Linie ein gelungenes Frauenportrait, das eine Sprache und einen Schauspielgestus findet, um die fromme Hildegard – die schließlich rund tausend Jahre vor unserer Zeit lebte – als vitale, "körperfreundliche" Klosterchefin, als starke Verhandlungsführerin und Taktikerin zu charakterisieren.


Margarethe von Trotta erzählt den Lebenslauf der Hildegard von Bingen von deren ersten Jahren im Benediktinerkloster Disibodenberg, in das sie als achtjährige Tochter einer adligen Familie eintritt, bis zu einem offenen Ende, das die ungefähr sechzigjährige Nonne, Seherin, heilkundige und Komponistin im Aufbruch zeigt – bereit zu Predigerreisen, um ihr Wissen weiterzugeben.


Die von Hildegard von Bingen gelehrte Balance zwischen den "Kräften der Seele und des Geistes", der Natur und dem in ihr tätigen Menschen stellt der Film eher als göttlichen Forschungsauftrag denn als esoterisches Geheimwissen dar. Dem zeitgenössischen esoterischen Marketing, das den Ruhm der Mystikerin Hildegard heute ausbeutet, biedert sich der Film zwar nicht an, er demontiert diesen Ruhm jedoch auch nicht.


Vielmehr erzählt die Regisseurin die Karrieregeschichte einer unbeugsamen, wissensdurstigen Frau in einer katholischen Männerwelt. Der Heiligenschein wird auf das Charisma eines Mittelalter-Popstars heruntergebrochen, den die Hildegard-Jüngerinnen, zumal der enthusiastische Teenager Richardis von Stade (Hannah Herzsprung) glühend verehren. Barbara Sukowa gibt ihrer Figur auch unter dem Schleier der Klostertracht die Züge einer modernen Frau, die ihre Interpretation des Glaubens und ihr Menschenbild gegen den Vorwurf des Eigennutzes und der Ehrsucht durchsetzen muss.


Die geschlossene Welt des Frauenklosters ist in oft dunklen, von Kerzenschein ausgeleuchteten Bildern eingefangen. Wenn Hildegard und ihre Freundin ihre verstorbene Ziehmutter zur rituellen Waschung entkleiden und dabei die Wunden ihrer Selbstkasteiung entdecken, vermittelt sich der Impetus der jungen Hildegard, Körper und Seele, Fleisch und Geist als harmonische Einheit zu begreifen, unmittelbar. Hildegard von Bingens selbst geschaffene Klosterwelt ist heller.

Deutschland 2009. Buch & Regie: Margarethe von Trotta. Mit Barbara Sukowa, Heino Ferch, Hannah Herzsprung, Alexander Held, Lena Stolze, Sunnyi Melles, Paula Kalenberg, Devid Striesow. 101 Min. FSK: 12, ff.