Verlorene Menschlichkeit - Die Geschichte der Antikriegsfilme

Verlorene Menschlichkeit - Die Geschichte der Antikriegsfilme
"Apocalypse Now", "Die Brücke" oder "Im Westen nichts Neues": Die Liste der "Anti-Kriegsfilme" ist lang. Aber verherrlichen sie nicht eher den Krieg, als ihn zu verdammen? Über die Geschichte eines umstrittenen Genres.
11.09.2009
Von Alexander Gajic

"Diese Geschichte ist keine Anklage und kein Geständnis, am wenigsten aber ein Abenteuer. Denn der Tod ist kein Abenteuer für diejenigen, die ihm ins Gesicht schauen. Sie will einfach versuchen, von einer Generation von Männern zu erzählen, die vom Krieg zerstört wurden, obwohl sie seinen Kugeln entkamen."

Diese Einblendung bildet den Anfang von Lewis Milestones Film "Im Westen nichts Neues" von 1930. Die Verfilmung von Erich Maria Remarques gleichnamigem Roman gilt als der wahrscheinlich erste, und noch immer als einer der wichtigsten und besten Antikriegsfilme der Kinogeschichte. Seine Titeleinblendung definiert das nicht unumstrittene Filmgenre vielleicht besser als jeder Akademiker, denn die haben schließlich nie wirklich aufgehört, darüber zu streiten, ob man überhaupt von einem eigenen Genre reden kann.

Einen Anti-Kriegsfilm könne es gar nicht geben, denn jeder Film, der sich bemühe, den Krieg darzustellen – egal aus welcher Sicht – verfange sich am Ende doch im Netz seiner eigenen, überwältigenden Bilderschlachten, halten Kritiker den Anti-Kreigsfilmen entgegen. Und vielleicht gibt das Leben dieser Argumentation gelegentlich sogar recht: Stanley Kubricks "Full Metal Jacket" von 1987, einer der schonungslosesten Antikriegsfilme, die je gedreht wurden, soll für viele Soldaten nicht abschreckendes Beispiel sondern wegen seiner hohen Authentizität geradezu aufstachelnd gewesen sein. Der von Lee Ermey dargestellte gnadenlose Drill Sergeant des Films gilt als Vorbild für viele Ausbilder. Dazu passt, dass Ermey selbst kein Schauspieler war, sondern ein vor die Kamera gezogener Militärberater. Realität und Fiktion verschwimmen hier. 

Junge Patrioten 

Auf der anderen Seiten bietet aber gerade das Pionierwerk Im Westen nichts Neues ein Muster dafür, was alles "Anti" sein kann an der Bebilderung und Erzählung von Krieg auf der Leinwand. Der Film, wie das Buch, beginnt in den Anfangstagen des ersten Weltkriegs in Deutschland. Ein vor Patriotismus sprühender Lehrer fordert seine Schüler auf, sich freiwillig an die Front zu melden. Voller Enthusiasmus steht die ganze Klasse am nächsten Morgen auf dem Kasernenhof, nach einigen erniedrigenden Ausbildungstagen werden sie an die französische Front geschickt.

Aus der Euphorie, für Heimat und Vaterland zu sterben, wird sehr schnell Ernüchterung. Der Krieg ist schmutzig, die Soldaten unterversorgt. Einer nach dem anderen sterben die jungen Patrioten – im Feuer der Maschinengewehere und Granaten oder als Krüppel im Lazarett. Der junge Paul Bäumer (Lew Ayres) verbringt eine Nacht in einem Bombenkrater mit einem sterbenden französischen Soldaten, der eben noch sein Feind war und jetzt nur noch ein röchelnder Körper ist. Ein Mahnmahl der verlorenen Menschlichkeit des Kriegs.

Bei einem Heimaturlaub muss Paul mitansehen, wie sein alter Lehrer immer noch seine Klassen aufhetzt und wie sein Vater und seine Stammtischgenossen mit einer Europakarte in der Hand Schlachten am Reißbrett planen. Am Ende stirbt auch Paul - bei dem Versuch einen Schmetterling zu fangen, der zwischen den Schützengräben umherflattert. Am selben Tag meldet der Frontbericht: "Im Westen nichts Neues". 

Ängste und Traumata 

Was unterscheidet nun einen Anti-Kriegsfilm von einem Kriegsfilm? Der Kriegsfilm, so kann man die Situation vielleicht zusammenfassen, versucht dem Krieg ein Heldengesicht zu geben: Er hebt Einzelleistungen heraus und feiert seine großen Führer, Sieger und Märtyrer. Der Anti-Kriegsfilm will demonstrieren, dass der Krieg keine Sieger kennt, nur Verlierer. Der Anti-Kriegsfilm zeigt seine Protagonisten bevorzugt als Opfer ihrer Ängste und Traumata. Die anfängliche Begeisterung derer, die in den Krieg ziehen, bietet den machtvollen Kontrast, auf den die Filme bauen. In Bernhard Wickis "Die Brücke" von 1959 bringt es der Lehrer einer Gruppe 16-jähriger, die sich in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges noch freiwillig gemeldet haben, treffend auf den Punkt. Als einer der Möchtegern-Helden stolz verkündet, dass die Hitlerjugend vor kurzem einen Bahnhof zwei Tage lang gehalten hat, antwortet er: "Und was war nach den zwei Tagen?"

Wickis Kindersoldaten geht es am Ende ebenso wie Milestones jungen Rekruten: Als der Krieg, der keinen Sinn zu haben scheint, schließlich über sie hereinbricht, verfallen sie entweder in Wahnsinn oder in Angststarre, weinen, reden wirres Zeug, machen sich in die Hose. Ihre angstverzerrten Gesichter voller Unverständnis darüber, dass der Krieg eben kein Abenteuer ist, brennen sich dem Zuschauer ins Gedächtnis.

Dass diese Darstellung den Mächtigen häufig nicht gefällt, leuchtet ein. Deutsche Aufführungen von Im Westen nichts Neues wurden von Nationalsozialisten gestört, Ratten wurden im Kino freigelassen. Der Reichstag befasste sich mit dem Film und verbot ihn für den freien Markt, später wurde er nur in einer gekürzten Fassung gezeigt. Als die Nazis an die Macht kamen war sein endgültiges Verbot eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung. Stanley Kubricks Wege zum Ruhm von 1957, der auf französischer Seite ebenfalls im ersten Weltkrieg spielt und das sinnlose Verheizen von Soldaten zum Erreichen eigentlich unwichtiger Ziele zum Thema hat, feierte seine offizielle Premiere nach einem Verbot in Frankreich erst 1975. Auch das ist Anti-Kriegsfilm: Der immer wieder geäußerte Vorwurf der Nestbeschmutzung und der negativen Darstellung von ruhmreichen Taten. 

Menschen werden zu Tieren 

Jeder Krieg bringt eine eigene Art von Antikriegsfilm hervor. Stand in der Betrachtung der beiden Weltkriege noch die Hoffnungslosigkeit im Kampf gegen eine schier übermächtige Kriegsmaschinerie im Mittelpunkt, wurde es in den Hollywood-Betrachtungen der Kriege in Vietnam und Korea mit Vorliebe zum Thema, wie Soldaten im Dschungel Gefahr laufen, quasi zu Tieren zu werden, denen alles Menschliche abhanden gekommen ist.

Die wohl bekannteste Version dieser Erzählung ist Francis Ford Coppolas Apocalypse Now von 1979, das lose auf Joseph Conrads Roman "Herz der Finsternis" basiert. Im Film hat sich der von Martin Sheen gespielte Marine Willard, als er gegen Ende mit geschwärztem Gesicht und Messer im Mund im Feuerschein aus dem Wasser auftaucht, ebenso im Schrecken der Wildnis verfangen wie der, den er umbringen soll: Colonel Kurtz (Marlon Brando), der sich in einem Camp von Eingeborenen selbst zum Gottkönig stilisiert hat.

Brando wird auch in Coppolas Bildgestaltung von der Finsternis des Dschungels verschlungen. In Oliver Stones Platoon von 1988, dem ersten Film über Vietnam, in dem ein Vietnamveteran Regie führte, muss wiederum ein Soldat, der sich freiwillig gemeldet hat (Charlie Sheen) erfahren, dass ein großer Teil seiner Kameraden ihre Menschlichkeit längst hinter sich gelassen haben. Auch in Platoon beherrscht Dunkelheit den entscheidenden Angriff am Ende des Films – und auch hier wird der vermeintliche Vaterlandsdienst zu einer Mischung aus Terror und anonymem Abschlachten. 

Perfekte Kampfmaschine

In Full Metal Jacket bildet der Wahnsinn bereits das Ende Ausbildung: Private Lawrence (Vincent D'Onofrio), vom Drill Sergeant und seinen Kameraden monatelang gedemütigt und zur perfekten Kampfmaschine getrimmt, dreht schließlich durch und erschießt mit irrem Blick erst seinen Ausbilder, dann sich selbst.

Der einzige Ausweg aus dem Horror des Dschungels scheint der Galgenhumor zu sein, den Robert Altman 1971 mit M*A*S*H zu demonstrieren versuchte.

Dass sich die Zustände im jüngsten und damit modernsten Krieg der Amerikaner wenig geändert haben, zeigen die ersten Verarbeitungsversuche des Irak-Kriegs im US-Kino. Filme wie Paul Haggis' Im Tal von Elah und Brian de Palmas Redacted, beide von 2007, porträtieren noch immer Soldaten, die einmal Menschen waren, durch den Krieg ihre Menschlichkeit verlieren und diese in unglaublichen Gewalttaten endgültig hinter sich lassen.

Seit jener Einblendung von Im Westen nichts Neues vor fast 90 Jahren hat sich an der Sicht vieler Regisseure und Drehbuchautoren auf den Krieg nicht viel geändert: Selbst die, die nicht seinen Kugeln zum Opfer fallen, werden auf die eine oder andere Weise von ihm zerstört. Der Antikriegsfilm wird immer wieder versuchen, seinen Finger in diese Wunde zu legen.


Alexander Gajic ist freier Journalist und schreibt unter anderem für "epd medien" und "epd film".