Wieviel ist genug?

Martin Luther nahm auch zu wirtschaftsethischen Fragen schriftlich Stellung
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Martin Luther nahm auch zu wirtschaftsethischen Fragen schriftlich Stellung
Wieviel ist genug?
In der Debatte um einen Mindestlohn geht es nicht nur um wirtschaftspolitische Argumente, sondern auch um Ethik. Wie viel Geld reicht für ein menschenwürdiges Leben aus? Wieviel Verantwortung tragen wir füreinander? Sind wir bereit, für Waren und Dienstleistungen mehr zu bezahlen, um höhere Löhne zu ermöglichen? Schon Martin Luther hat sich zu wirtschaftsethischen Fragen geäußert, durchaus mit modernen Ansätzen.

Zu Luthers Zeit gab es Grund genug, sich mit der Wirtschaft und dem Geld zu befassen, denn damals entstanden die ersten großen Handelsgesellschaften, wie die der Fugger und Welser, die weltweite Handelsbeziehungen knüpften - gleichsam eine frühe, erste Form der Globalisierung.

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In dieser Zeit wurde außerdem die Naturalwirtschaft endgültig von der Geldwirtschaft abgelöst, und es entstand eine frühe Form des Bankwesens. Dabei spielte die Frage des Zinsnehmens eine zentrale Rolle. Dies ist ja in der Bibel verboten (2. Mose 22,24; 3. Mose 25,36), stellt aber zugleich eine wesentliche Voraussetzung für Geldgeschäfte dar.

Martin Luther hat nicht nur in Predigten zu wirtschaftlichen Fragen Stellung bezogen, sondern mehrere Schriften veröffentlicht, in denen er sich speziell mit solchen Themen befasst hat: Schon 1520 schrieb er den kleinen und den großen "Sermon vom Wucher" und äußerte sich auch in seinem fast gleichzeitig erschienen Buch "An den christlichen Adel deutscher Nation" zu solchen Fragen. Ausführlich behandelte er das Thema wenige Jahre später in "Von Kaufshandlung und Wucher" (1524) und kam auch sonst gelegentlich auf das Thema zurück.

Antwort auf die Fragen des Besitzes und des Wirtschaftens gab er als Theologe auf theologische Weise: Er sah hier den Gottesglauben unmittelbar berührt und herausgefordert. Gott war für ihn der oder das, worauf sich der Mensch ganz und gar verlassen sollte und konnte, worauf er sein Leben und Vertrauen gründete. In der Auslegung des ersten Gebotes schreibt er demnach im Großen Katechismus: "Denn die zwei gehören zusammen: Glaube und Gott. Worauf du nun (sage ich) dein Herz hängst und verlässt, das ist eigentlich dein Gott."

Luther beobachtet jedoch: "Es ist mancher, der meint, er habe Gott und alles genug, wenn er Geld und Gut hat, verlässt und brüstet sich darauf so steif und sicher, dass er auf niemand nichts gibt. Siehe, dieser hat auch einen Gott, der heißt Mammon, das ist, Geld und Gut, darauf er alle sein Herz setzt, welchs auch der allergemeinste Abgott ist auf Erden."

Besitz darf gebraucht werden

Was Luther hier anprangert, ist gar nicht der Besitz von Geld oder Gut, sondern das falsche Vertrauen des menschlichen Herzens darauf. Das erhebt den Besitz für sich zum Gott und verlässt sich so darauf, als ob es mit dem Geld das gefunden hätte, was es am nötigsten braucht, womit es gesichert, geborgen und völlig versorgt sei. Auf den irdischen Besitz jedoch, so warnt Luther, sollen wir unser Herz nicht hängen, ihn sollen wir verwenden und verwalten und haben, "als hätten wir ihn nicht" (1. Korinther 7, 29-31). Wir sollen demnach den Besitz nicht in einem falschen Armutsideal wie die Bettelmönche völlig verlassen und verwerfen, sondern dürfen ihn gebrauchen, für uns und andere.

Was ergibt sich aus dem Ansatz Luthers praktisch? Zunächst anerkennt Luther - trotz aller damit einhergehenden Versuchungen, Gefahren und Sünden – die Berechtigung des Kaufhandels: "Das kann man aber nicht leugnen, dass Kaufen und Verkaufen ein notwendiges Ding ist, das man nicht entbehren und gut christlich gebrauchen kann, besonders in den Dingen, die zum täglichen Bedarf und in Ehren dienen."

Bedenken gegen die Preisbildung am Markt

Bedenken äußert Luther jedoch gegen eine Preisbildung am Markt durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage. Er nennt diese allgemeine Regel "Ich darf meine Ware so teuer geben, wie ich kann" den "Grund aller Wucherkniffe" und fügt hinzu: "Das ist dem Geiz (der Habgier) der Raum gemacht und der Hölle alle Tür und Fenster aufgetan." Er hört daraus einen rücksichtslosen Egoismus, der sagt: "Ich frage nichts nach meinem Nächsten." Insofern nennt er diesen "Kaufhandel nichts anderes ... als den anderen ihr Gut rauben und stehlen."

Besonders gelte das dann, wenn der Kaufmann dabei die Notlage des Käufers schamlos ausnützt, der beispielsweise Brot oder andere Nahrungsmittel unbedingt braucht und auch überteuert kaufen muss. "Sage mir, heißt das nicht unchristlich und unmenschlich gehandelt?", fragt der Reformator. Der Christ als Kaufmann dagegen soll fragen: "Ja, wie teuer soll ich's denn geben? Wo treffe ich das Rechte und die Billigkeit, dass ich meinen Nächsten nicht übervorteile oder überteuere?" Luther ist sich dabei wohl bewusst, dass dies von vielen Faktoren abhängig ist, wie Ort und Zeit, Unkosten, Versorgungslage und weiteren. Dabei räumt er durchaus ein, dass es der Kaufmann bei dieser Güter- und Interessenabwägung zwischen eigenen Bedürfnissen und denen seines Nächsten, nicht immer richtig macht. "Es ist genug, dass du mit gutem Gewissen danach trachtest, dass du gern das rechte Maß träfest, ist es doch Handels Art, dass es nicht möglich ist, es zu tun.", so tröstet er.

Die Obrigkeit soll gerechte Rahmenbedingungen schaffen

Luther fordert zudem wegen der Komplexität des Problems die Obrigkeit dazu auf, gerechte Rahmenbedingungen für den Markt zu erlassen. Das mutet sehr modern an, denn er scheint hier nicht nur das vorwegzunehmen, was wir unter Sozialer Marktwirtschaft verstehen, sondern sogar die Erfahrungen, die sich aus Wirtschaftskrisen für die Verantwortung der Regierungen ergeben.

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Während Luther den Kaufleuten sachgemäß christliche Ratschläge für ihren Beruf erteilt, scheint er bei den allgemeinen Ratschlägen für Christen und ihren Umgang mit dem Besitz allerdings zu viel zu erwarten. Er geht dabei von der Bergpredigt aus: "Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. ... Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der etwas borgen will." Luther verlangt die direkte Übernahme und Anwendung dieser Weisungen Jesu an seine Jünger und nennt ihnen dazu "vier Weisen, äußerlich gut christlich mit anderen zu handeln": Dass wir "unser Gut nehmen und rauben lassen, jedermann umsonst geben, leihen und borgen" ohne Rückforderung und dabei auf Gott allein vertrauen und an ihm hängen.

Verzichten auf das, was man übrig hat

Hier macht sich bei ihm vielleicht doch die Schule der völligen Bedürfnislosigkeit des Bettelmönches bemerkbar. Umso mehr verwundert diese direkte Umsetzung der Bergpredigt bei Luther, als er sich durchaus bewusst ist, dass es nicht gut wäre, "wo man die Welt nach dem Evangelium regieren" würde. Er schränkt denn diese Forderung auch dadurch ein, dass sich die christliche Verzichtbereitschaft nicht auf das ganze Vermögen erstreckt, sondern lediglich auf das, "was du übrig hast und was du über deinen Bedarf hinaus entbehren kannst."

Allgemein gibt Luther beim Kaufen und Verkaufen den vernünftigen Rat, beides nicht auf Kredit oder Borgen zu tun, sondern alles möglichst sofort und bar zu bezahlen, um künftige Streitigkeiten zu vermeiden. Er kommt auch auf ein paar Tricks und Missbräuche des Kaufhandels zu sprechen, die wieder recht modern anmuten: Er lehnt jede Art von wirtschaftlichen Monopolen und Kartellen ab, weil sie dem Verkäufer eine zu große Macht einräumen, wie er auch berechnende Dumpingpreise und Spekulationsgeschäfte brandmarkt.

Vorbehalte gegen Geldgeschäfte der Banken

Die größten Vorbehalte hat Luther gegen reine Geldgeschäfte der sich damals erst herausbildenden Banken. Geld- und Finanzpolitik sind ihm schon deshalb suspekt, weil sie nicht auf Zinsen verzichten können, sondern eben davon leben.

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Er sieht diese Notwendigkeit zwar ein, betrachtet sie jedoch nach alter Gewohnheit als "Wucher" und damit als Verstoß gegen das alttestamentliche Verbot. Auf jeden Fall will er, dass Wucherzinsen verboten und der Zinssatz auf wenige Prozent beschränkt werden. Dass seine Schrift vielen nicht gefallen werde, ist ihm bewusst, er aber habe damit das Seine getan. Abschließend erinnert Luther nochmals an unsere Verantwortung vor Gott als Maßstab des Handels und Handelns: "Was wird zuletzt Gott dazu sagen?"

Dies ist eine gekürzte Version des Textes "Vom Grund aller Wucherkniffe", der bereits am 19.10.2012 auf evangelisch.de erschien.