###mehr-artikel###Brasilien zur Fußball-WM – ein gespaltenes Land zwischen Freudentaumel und Protesten. Das milliardenschwere Sportereignis steht in krassem Gegensatz zu den Zuständen in der brasilianischen Gesellschaft. Beispiel Rio de Janeiro, Favela Cerro Corà. Natalia Bittar ist dort pädagogische Leiterin von "Se essa Rua", einem Projekt für Kinder und Jugendliche, unterstützt von Brot für die Welt. Natürlich freut sie sich über die WM – aber sie sieht auch die riesigen Widersprüche: "Hier können Kinder nicht zur Schule gehen, weil es keinen Unterricht gibt – denn das Gehalt für Lehrer ist zum Heulen. Die haben Milliarden ausgegeben für Stadien, die nach der WM nichts sind; die haben Stadien an Orten gebaut, an denen es weit und breit keine Fußballmannschaft gibt."
Natalia Bittar kennt diesen Teil der Realität aus eigener Erfahrung: Sie arbeitet in der Favela mit Kindern und Jugendlichen. Dort wachsen sie in einer Welt auf, die von Armut, Kriminalität und Drogenhandel geprägt ist. Drogenbanden kontrollieren ganze Viertel. Ihre Macht, ihr scheinbarer Erfolg – das zieht schon die Jüngsten an, mit fatalen Folgen. Die Pädagogin erklärt: "Wenn du noch ganz jung bist, wirst du als Kurier eingesetzt, um irgendwas von A nach B zu bringen. Mit elf oder zwölf bist du vielleicht schon der Typ, der das Feuerwerk zündet, um vor der Polizei zu warnen. Mit 13 steckst du tief drin im Drogenhandel, du kriegst eine eigene Waffe und wirst auch auf Raubzüge außerhalb der Siedlung geschickt. Wenn du aber noch so jung bist und Dich zum Beispiel verplapperst, Geheimnisse verrätst, dann bringen sie dich um. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass Du entweder im Grab oder im Gefängnis endest."
Keine Träume zu haben, ist für mich das Schlimmste, was einem Menschen angetan werden kann.
Hoffnungslosigkeit sei das Schlimmste, sagt Natalia Bittar. Die meisten Kinder in den Favelas der Küstenstadt Rio de Janeiro hätten noch nie das Meer oder den Strand gesehen – vielleicht noch nicht mal ein benachbartes Stadtviertel. Der Kosmos sei klein, arm – und voller Gewalt, sagt Natalia Bittar. Gewalt hat für sie viele Facetten: "Keine Familie zu haben, die dich unterstützt, das ist Gewalt. Oder – der Vater ist im Gefängnis, jemand ist schwer krank und du weißt nicht, wie die Familie versorgt werden soll. Aufzuwachsen in einer Gegend, in der es keine einzige saubere Ecke gibt, keinen Ort, an dem du Dich friedlich und gesund austoben kannst – das ist Gewalt für mich. Keine Schule zu haben, in die du gehen kannst, das ist Gewalt. Keine, wirklich gar keine Träume zu haben, ist für mich das Schlimmste, was einem Menschen angetan werden kann."
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Um Träume in die Herzen der Kinder und Jugendlichen zu pflanzen, hat sich das engagierte Team von "Se essa Rua" etwas Besonderes ausgedacht: Das Projekt bietet Raum, um Sport zu treiben, für die Schule zu lernen oder um für den Zirkus zu trainieren – von komplexer Jonglage bis zu schweißtreibender Akrobatik. Dranbleiben lohnt sich, in der Arena und im eigenen Leben, sagt Natalia Bittar: "Zirkus ist genau das Richtige, denn das ist so anstrengend, es tut weh, aber die Kinder und Jugendlichen lernen, dass sie das durchziehen müssen. Wenn du nicht weitermachst, obwohl es weh tut, obwohl es anstrengend ist, dann wird nichts draus."