"Kinder werden in der Kirche ernst genommen"

Foto: Getty Images/iStockphoto/Yan Lev
"Kinder werden in der Kirche ernst genommen"
Wie lassen sich Gottesdienste für Kinder angemessen gestalten? Welche neue Formen und Hilfsmittel gibt es? Über diese Fragen und vielfältige Antworten haben sich am Wochenende rund 2500 Teilnehmende bei der Gesamttagung für Kindergottesdienst in der EKD in Dortmund ausgetauscht.

Etwa 260.000 Kindergottesdienste feiern EKD-Gemeinden jedes Jahr an Sonn- und Feiertagen. Dazu kommen unzählige weitere Andachten mit Mädchen und Jungen in Kitas, Schulen, Krabbelgruppen, Ferienfreizeiten oder Kinderbibelwochen. Über Trends, neue Gestaltungsmöglichkeiten, frische Ideen, Hilfsmittel und Lieder haben sich am vergangenen Wochenende rund 2500 Menschen in Dortmund ausgetauscht. "DORT wird unser MUND voll Lachens sein", hatten die Organisatoren das Leitwort aus Psalm 126 für die vier Tage abgewandelt – und sie sollten recht behalten.

Lebendiges Tier-Memory für Noah

Zum Beispiel in der Arbeitsgruppe "Biblische Geschichten als Spieleketten". Schon bei der Vorstellungsrunde wird viel gelacht. Auf ihren Stühlen bleiben die Teilnehmer nicht lange sitzen, denn sie reisen zu Noah. Mit Putztüchern unter Füßen und Po überquert die Gruppe rudernd das Mittelmeer, mit Bewegungen und Geräuschen bauen die Jugendlichen und Erwachsenen ein großes Dampfschiff, über einen Zeittunnel, den alle durch die Beine der anderen durchkrabbeln, kommen sie schließlich bei Noah an. Anja Bein, Gemeindediakonin der Gedächtniskirchengemeinde Speyer, hat Spieleketten im Sozialpädagogik-Studium kennen gelernt. Vor einem Gemeindenachmittag zur Weihnachtszeit kam sie auf die Idee, die Geschichten samt Minispielen nicht um Piraten oder Hexen kreisen zu lassen, sondern um biblische Figuren. "Spieleketten eignen sich gerade für Kinder, die nicht lange sitzen bleiben können", sagt die 44-Jährige. Mitmachen könnten schon Vierjährige. "Groß und Klein können sie auch prima gemeinsam machen."

Die Arbeitsgruppe "Spielekette" mit Leiterin Anja Bein (2.v.l.) formt die Arche Noah

Auch große Leute haben Spaß daran, bekannte Geschichten neu zu entdecken. In Kleingruppen balancieren die Lehrerinnen, Erzieherinnen und Ehrenamtlichen gemeinsam Zollstöcke, die im Spiel für Balken der Arche stehen, nur mithilfe ihrer Zeigefinger auf den Boden. Dann verwandeln sie sich in lebende Memory-Karten und zwei Teammitglieder müssen die passenden Tierpaare für Noah finden. Bei allen kommt die Mischung aus Bewegung, Teamaufgaben, kreativen Wortspielen und Erzählparts gut an. "Alle werden abgeholt", sagt eine Berlinerin, eine Teilnehmerin aus Bayern lobt die "gemeinsame Dynamik und Energiegeladenheit", einer anderen gefällt, dass kaum Materialien gebraucht werden und der theologische Impuls kommuniziert wird. Einer Gruppe junger Ehrenamtlicher aus Ostwestfalen sind viele der Spiele bekannt, doch damit eine biblische Geschichte erzählt haben auch sie bislang nicht.

"Kindergottesdienste haben per se das Potential, viele Menschen anzusprechen – wenn nicht intellektuell, dann auf der Gefühlsebene", sagt Adelheid Neserke, Pfarrerin und Projektbeauftragte für die Gesamttagung. Das passt zu einem Trend, den sie ausgemacht hat: Gemeinsame Gottesdienste für Klein und Groß würden immer wichtiger. Ganztagsschule, Musikunterricht, Sportverein, Nachhilfe, Kunstworkshops – Mädchen und Jungen sind heutzutage vielbeschäftigt. "Eltern wollen ihre Kinder daher eigentlich am Sonntag nicht abgeben", weiß Neserke. Bei denjenigen, die sie aber zum Glauben hinführen wollen, hat das positive Nebeneffekte: "Kinder werden zu Missionaren, die ihre Eltern mit in die Kirche und dem Glauben nahebringen."

Ein Lachen auf den Lippen und Mut im Herzen

Sarah Zeidler ist aus Gmund am Tegernseen ins Ruhrgebiet gereist, um für ihre Gemeindearbeit "am Puls der Zeit zu bleiben. Solche Veranstaltungen sind ganz, ganz wichtig", sagt sie am Sonntag. Die 27-jährige Religionspädagogin hat in einer Arbeitsgruppe über das Apostolische Glaubensbekenntnis und dessen kindgerechte Vermittlung diskutiert und in jener von Anja Bein mitgespielt. Dort war auch Pastorin Annette Apel aus Leichlingen im Bergischen Land dabei. Sie war auf der Suche nach Alternativen zum Basteln und Aktivitäten, die auch Jungen ansprechen – hierzu gab es unter dem Titel "…und das Kaugummi bleibt trotzdem drin!" sogar einen eigenen Workshop.

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Das Motto aus Psalm 126 werde sie sicherlich in ihrer Arbeit begleiten, sagt Annette Apel nach der Tagung: "Mit einem Lachen auf den Lippen und im Herzen authentisch den Kindern von der Menschenfreundlichkeit unseres Gottes zu erzählen, damit sie Mut zum Leben und Vertrauen in Gott, in ihre Welt und Selbstvertrauen entwickeln können, dazu hat mich die Tagung neu ermutigt und mir viele theologische und kreative Ideen mit auf den Weg gegeben." In ihre Gemeinde werde sie auch das Bewusstsein tragen, "dass wir in der Kindergottesdienstarbeit gemeinsam unterwegs sind – mit ganz unterschiedlichen Gaben und Fähigkeiten".

Insgesamt 120 verschiedene Arbeitsgruppen, die meisten fanden zwei Mal statt, zeigen, wie vielfältig Kindergottesdienste sind. Anne Offler war eigens aus England angereist, um  über Messy Church zu berichten, ein generationsübergreifendes Gottesdienstmodell für Kirchenferne. Dabei gibt es typischerweise eine lange Kreativphase, in der ein Bibelthema entdeckt wird, es folgen eine kurze Feier mit Gebet, Gesang und Spielen sowie ein gemeinsames Essen.

Dank an die Mitarbeitenden - "Das passiert zu wenig bisher"

Neben den Arbeitsgruppen gibt es Bibelarbeiten, Ausstellungen, Konzerte und natürlich den Festgottesdienst zum Abschluss am Sonntagmorgen. "Kinder gehen offen und unbefangen auf die Dinge zu. Sie haben Fragen, und sie haben ein Recht auf ehrliche Antworten", sagt Moderator Ralph Caspers, bekannt durch die "Sendung mit der Maus" und "Wissen macht Ah!",  beim "Politischen Signal" am Samstag. Der Kindergottesdienst könne Antworten geben "über das Sichtbare und Messbare hinaus. Kirche mit Kindern kann helfen, ihre Persönlichkeit zu entwickeln." Das bedeute auch, ihre Entscheidung für oder gegen Religion zu akzeptieren. "Kinder werden in der Kirche nicht irgendwie bespaßt, sondern als eigenständige Menschen ernst genommen – mit ihren jeweiligen Lebens- und Gotteserfahrungen", sagt Albert Henz, Vizepräsident der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW).

Johanna Pirnbaum aus Altenberge (Sachsen) baut die "Heilung des Naaman" mit Lego.

Am Freitag zieht es viele der Teilnehmer, die durch rote Tücher leicht überall in der Stadt zu erkennen sind, zur Westfalenhalle. Hier wartet eine Messehalle voller Ideen – der Kreativmarkt. An Dutzenden Tischen präsentieren Gläubige aus ganz Deutschland ihre Kreationen und Hilfsmittel. Es wird gestöbert, nachgefragt und sofort ausprobiert. Hier scharen sich die Zuschauer um eine Teilnehmerin, die Bibelgeschichten mit Fadenspielen visuell unterstützt, während der Nachbar zeigt, wie man Kirchenlieder auf Plastikrohren spielt. Noch einen Tisch weiter wird ein Comic auf einem Din-A4-Blatt so gefaltet, dass durch weiteres Umknicken nach und nach eine Bibelgeschichte erzählt wird. An einem anderen Tisch werden Lego-Steine genutzt, um Szenen aus der "Heilung des Naaman" nachzubauen.

"Kindergottesdienste finden nicht nur sonntags um 10 Uhr statt. Andachten mit Kindern gibt es auch an anderen Orten", sagt Mitorganisatorin Adelheid Neserke. Daher wurden auch Erzieher, Lehrer und Verantwortliche aus dem Bereich der Offenen Ganztagsschule vor der Tagung direkt angesprochen. Eine Premiere. Die Großveranstaltung solle auch ein Dankeschön beinhalten für alle im Kindergottesdienst Engagierten und ihnen beim Netzwerken helfen. "Das passiert zu wenig bisher", findet die Pfarrerin.

Die Leiter der Arbeitsgruppen wurden daher gebeten, dass sich die Teilnehmer vorstellen und von eigenen Erfahrungen berichten sollen. Idealerweise gehen die Zusammenarbeit und der Austausch anschließend weiter. Persönlich sehen sich die Teilnehmer dann vielleicht spätestens vom 10. bis 13. Mai 2018 wieder. Dann findet die 23. Gesamttagung für Kindergottesdienste statt – in Stuttgart.