Sat.1 hätte diesen Film "Mein Sohn, sein Vater und ich" genannt; oder auch, bei etwas mehr Witz und Tempo, "Henne sucht Ei". Im ZDF heißt er schlicht "Ein Sommer in Amsterdam", weil die "Herzkino"-Filme mit ihren Frühlings- und Sommertiteln ein positives Lebensgefühl signalisieren sollen. Dabei ist die Handlung zum Teil durchaus nachdenklich; eine Verschiebung von Nuancen, und aus der Romanze wäre ein Drama geworden.
Das Drehbuch von Thomas Kirdorf (zuletzt "Das Glück der Anderen") lässt sich in wenigen Sätzen zusammenfassen, die der Geschichte allerdings kaum gerecht werden. Eine Frau Ende vierzig ist nach dem Unfalltod ihrer Tochter nur noch niedergeschlagen und hofft, in Amsterdam neuen Mut zu finden: Vor 25 Jahren hat sie dort als Studentin aus Geldnot einem Ehepaar Eizellen gespendet; der Sohn oder die Tochter sollen ihrem Leben wieder einen Sinn geben. Tatsächlich findet sie nicht nur einen Sohn, sondern auch eine neue Liebe.
Herausforderungen vor dem Happy End
Als dramaturgisches Konstrukt ist Kirdorfs kunstvolle Kombination zweier Parallelstränge natürlich nicht neu, aber die emotionale Spannung erhöht sich dadurch enorm: Auf der einen Ebene sucht und findet Mia (Ulrike Folkerts) ihren Sohn, Mathijs (Benedikt Blaskovic), auf der anderen verliebt sie sich in den alleinstehenden Werftbesitzer Jan van Haalen (Filip Peeters). Mathijs erzählt Mia vom Krach mit seinem ehrgeizigen Vater, der ihn für einen brotlosen Künstler hält. Jan hat ebenfalls einen Sohn namens Mathijs, schildert das gegenseitige Verhältnis aber in den schönsten Farben, weil er nicht als Rabenvater da stehen will; dabei handelt es sich auf beiden Ebenen selbstverständlich um denselben jungen Mann. Geschickt treibt Kirdorf den potenziellen Konflikt auf die Spitze: Mia rät Mathijs, seinen Vater gerichtlich zu Unterhaltszahlungen zu verklagen, während gleichzeitig Jan seine Anwälte auf die Ei-Spenderin aus Deutschland hetzt, weil der vor über zwei Jahrzehnten geschlossene Vertrag sämtliche Nachforschungen untersagt.
Lügen, bewusste Desinformationen oder auch kapitale Missverständnisse sind als Herausforderung, die das Liebespaar vor dem Happy End meistern muss, eine obligate Zutat fast aller Romanzen, und auch hier stellt sich schließlich selbstredend raus, dass die beiden Männer, mit denen es Mia mal direkt, mal indirekt zu tun hat, identisch sind. Die entsprechende Einleitung des Finales hat Kirdorf hübsch eingefädelt. Leider ist der Film dann fast schon vorbei, so dass der Schluss ein wenig atemlos wirkt: Am Ende löst sich alles ruckzuck in Wohlgefallen auf.
Davon abgesehen hat Karola Meeder "Ein Sommer in Amsterdam" handwerklich sehr sorgfältig inszeniert, auch wenn ihre Arbeit gerade in der ersten Hälfte dank der häufigen Impressionen von Grachten und anderen Sehenswürdigkeiten wie ein Werbefilm für die holländische Metropole wirkt. Andererseits ist vermutlich genau das der Grund, warum die Sonntagsfilme im "Zweiten" so beliebt sind: Man hat danach immer das Gefühl, Land und Leute kennen gelernt zu haben. Gleichfalls typisch für Genre und Sendeplatz ist der unentschlossene Umgang mit der Sprache. Dass der Sender die Niederländer nicht holländisch reden lässt, weil man den Film dann mit Untertiteln versehen müsste, ist nachvollziehbar. Aber eine Erklärung, warum die Herren van Haalen deutsch miteinander sprechen, wäre nicht zuviel verlangt, zumal Sohn Mathijs deutsch wie ein Deutscher spricht, während sein Vater (Peeters ist Belgier) einen deutlichen Akzent hat. Krönung des Kauderwelschs ist der Großvater: Chiem van Houweninge, bekannt und beliebt als einstiger Kollege von Schimanski, redet sein lustiges Holländerdeutsch.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Zielgruppe ist das allerdings erfahrungsgemäß ebenso egal wie Kindern die schlechte Synchronisation von Zeichentrickserien, und angesichts der Leistungen gerade der beiden Hauptdarsteller lässt sich auch leicht über das akustische Manko hinweghören, zumal Kirdorf ("Alpenglühen") wunderbare Dialoge geschrieben hat. Peeters ist ohnehin immer sehenswert. Auch die Leistung von Ulrike Folkerts sollte nicht überraschen, aber da sie außerhalb des "Tatorts" nicht so oft zu sehen ist, beeindruckt es um so mehr, wie glaubhaft sie Mias Wandlung verkörpert: Die zunächst fast verhärmte Frau blüht im Verlauf der Handlung regelrecht auf. Mehr als bloß Blickfang sind auch Paula Kalenberg als Mias verstorbene Tochter, bei der die Mutter immer wieder mal Rat sucht, wie auch Lucie Heinze (als Mathijs’ Freundin), die zuletzt in einem "Tatort" aus Köln ("Ohnmacht") einen ausgesprochen positiven Eindruck als internet-affine Aushilfskraft der beiden Kommissare hinterlassen hat.