Fast wie ein Raumschiff erhebt sich das neu gebaute Stadion Itaquera aus den grauen Betonsiedlungen der Megametropole São Paulo. Knapp drei Kilometer liegt es entfernt und ist dennoch von Weitem sichtbar. Hier findet in gut einem Monat das Eröffnungsspiel zur Fußball-Weltmeisterschaft statt.
Für Patrizia und Sergio könnte der Kontrast nicht größer sein. Sie sind gerade dabei, eine Plastikplane auf vier in den Boden gerammten Holzstöcken zu befestigen. "Was ist das für eine Regierung, die für die Weltmeisterschaft Milliarden ausgibt, uns aber nicht einmal ein Stück Land für ein eigenes Haus gibt", sagt Sergio, der als Maler arbeitet.
"Wir brauchen Kraft und Geduld"
Binnen 40 Stunden sind auf dem 150.000 Quadratmeter großen Gelände in der Peripherie von São Paulo 2.000 solcher Zelte entstanden. Am frühen Samstagmorgen fuhren Kleinbusse und Autos vor. Holzstämme wurden gespalten, Plastikplanen und Spaten verteilt. Inzwischen campieren mehr als 6.000 Menschen auf dem brachliegenden Gelände. Die Landlosenbewegung MST hat die Landbesetzung organisiert.
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Seit mehr als 25 Jahren kämpft die Organisation für eine Agrarreform. Jetzt ist sie auch in den Städten aktiv und will den armen Bewohnern zu würdigen Wohnverhältnissen verhelfen. "Fast 30 Jahre ist dieses Gelände ungenutzt", sagt Josue Augusto de Amarão von MST. Die Menschen, die hier campieren, sind nicht obdachlos, noch nicht. Aber sie wohnen unter unwürdigen Bedingungen, meist in Armensiedlungen.
Durch den Neubau des Stadions hat eine große Spekulationswelle die Peripherie von São Paulo erfasst. "Die Menschen wissen nicht mehr, wie sie ihre Miete bezahlen sollen", erläutert de Amarão. MST kämpft deshalb darum, dass die Stadt auf dem verlassenen Gelände Sozialwohnungen errichtet. Solange wollen die Menschen das Gelände besetzt halten. "Wir brauchen Kraft und Geduld", sagt de Amarão.
Es fehlen 500.000 Wohnungen
Wer hier im Camp lebt, muss sich an Regeln halten. Dazu zählen: keine Gewalt, keine Drogen und kein Alkohol. Während die Männer die Zelte errichten, bereiten die Frauen in der behelfsmäßigen Küche das traditionelle Essen Reis mit Bohnen zu. Vor dem Küchenzelt warten bereits die Kinder mit Plastiktellern. Gleich daneben ist ein Sanitärzelt aufgebaut, es gibt Wasser und eine Latrine. "Jeden Abend um 19.00 Uhr halten wir eine Versammlung ab und besprechen, wie wir weiter vorgehen", erläutert de Amarão. Mit Kundgebungen vor dem Stadion wollen sie sich Aufmerksamkeit verschaffen.
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Auch Sidónio Ribeira ist mit seiner Frau, seinen Kindern und Enkeln in das Camp eingezogen. Der 73-Jährige mit dem wettergegerbten Gesicht steht auf einen Spaten gestützt vor seinem Zelt. Eine Matratze gibt es nicht. Seine Familie lebt jetzt von der Mindestrente von rund 850 Reais (rund 280 Euro). "Davon können wir keine Miete bezahlen", sagte er und fügt hinzu: "Ich werde hier bleiben. Ich habe mein ganzes Leben gekämpft und wir werden auch jetzt nicht aufgeben." Er hofft, dass es keine Polizeigewalt geben wird. So wie in Rio de Janeiro vor ein paar Wochen. Dort haben Sicherheitskräfte mit Gewalt eine Besetzung geräumt und die Zelte niedergebrannt.
Laut MST fehlen in São Paulo mindestens 500.000 Wohnungen. Inzwischen besetzen Landlose zwölf Grundstücke in der Stadt und der Umgebung. Die größte befindet sich im Süden der Metropole und wird Palästina genannt. Seit November vergangenen Jahres leben dort mehr als 15.000 Menschen. Erst jetzt hat sich die Stadtverwaltung zu Verhandlungen mit MST bereit erklärt.