Sister Fa: "Wir versuchen, Tabus zu brechen"

Foto: epd/Alexander Gonschior
Die Soul- und Hip-Hop-Sängerin Sister Fa aus Berlin besucht am 21.02.2014 in Linkiring im Süden des Senegal eine Schulklasse.
Sister Fa: "Wir versuchen, Tabus zu brechen"
Sister Fa musste kämpfen, um sich durchzusetzen: gegen ihren Vater, als sie Sängerin werden wollte, dann als Frau in der senegalesischen Hip-Hop-Szene. Heute kämpft sie für die Rechte von Kindern und gegen Genitalverstümmelung.
03.05.2014
epd
Martina Zimmermann

Linkiring im Süden des Senegal. "Bonjour Madame!" Die 40 Mädchen und Jungen im Klassenzimmer stehen brav auf und warten auf ein Zeichen von Sister Fa, um sich wieder hinzusetzen. Die Soul- und Hip-Hop-Sängerin aus Berlin ist auf Tournee in ihrer westafrikanischen Heimat. "Kunst für Kinderschutz" lautet das Motto, unterstützt von der Kinderhilfsorganisation World Vision. Sie gibt Konzerte auf den Schulhöfen der Region - und sie spricht mit den Schülern über die weibliche Genitalverstümmelung.

"Es ist heikel, über ein solches Tabuthema zu reden", sagt Sister Fa, die 1982 im Senegal zur Welt kam und seit acht Jahren in Berlin lebt. Zuerst geht es allgemein um Kinderrechte: "Das fundamentalste ist das Recht auf Schutz", erklärt Sister Fa der Schulklasse, "Schutz vor sexuellem Missbrauch, vor Belästigung und Zwangsheirat, Schutz für Minderjährige vor Heirat und früher Schwangerschaft und natürlich Schutz vor gewissen Traditionen, die ihrer Gesundheit schaden - wie der weiblichen Genitalbeschneidung."

Die Kinder lauschen aufmerksam, melden sich rege mit "Madame"-Rufen. Sie wissen, wovon geredet wird: Als Kalebassen verteilt werden und Farben, malen die Mädchen blutige Messer und Scheren, ein Junge malt ein weinendes Mädchen mit blutigem Unterleib. Die Kinder drücken aus, was sie selbst erlebt haben. "Die Mädchen haben oft Angst vor Scheren, sie sind traumatisiert", erzählt Schuldirektor Mamadou Hadi Diop.

Genitalverstümmelung: Weder senegalesische Tradition noch Vorschrift des Islam

Die weibliche Genitalverstümmelung ist im Senegal seit 1999 verboten. Dennoch unterliegt immer noch schätzungsweise ein Viertel der Mädchen der grausamen Praxis: In der entlegenen Region um Velingara, nur wenige Kilometer von der Grenze zu Guinea entfernt, sind fast alle Mädchen betroffen. Die Sängerin erzählt den Kindern, dass es sich dabei weder um eine Tradition aus dem Senegal handelt noch um eine Vorschrift des Islam.

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Die 32-Jährige weiß, wovon sie spricht: Sie stammt aus dieser Region und hat das Ritual am eigenen Leibe erlitten: "Ich erinnere mich an die Gesichter der Frauen, die mich über ein Becken hielten", sagt sie. "Ich erinnere mich an das Blut, daran, dass meine Mutter sagte, ich solle nicht weinen, und an die Schmerzen." Wann das war, kann sie nicht sagen: "Ich war jung, das war vor der Schule, mit vier oder fünf."

Sister Fa hatte als Rapperin im Senegal Erfolg, 2006 zog sie dann mit ihrem österreichischen Mann nach Berlin. Tochter Mariama kam 2009 zur Welt. In ihrer Heimat hatte die Senegalesin die Genitalverstümmelung der Mädchen als ungerecht empfunden, in Deutschland bekam sie nun detaillierte Informationen, auch über die Folgen: Die Verbreitung von Krankheiten wie Aids durch die Nutzung eines Messers für mehrere Mädchen, die Gefahr, an Tetanus zu sterben, Komplikationen im Sexualleben und bei der Geburt.

Mut hatte Fatou, wie sie von ihren Freunden genannt wird, von klein auf. Sonst hätte sie sich nie gegen alle Widerstände in der Hip-Hop-Szene durchgesetzt. Ihr Vater sah es nicht gern, dass seine Tochter nachts in den Clubs von Dakar auftrat: "Er hätte lieber eine Anwältin, eine Politikerin oder eine Lehrerin als Tochter gehabt."

Wenn sie spät nach Hause kam und geschimpft wurde, schaltete sie einfach die Ohren auf Durchzug, wie sie sagt. "Auch wenn das nicht höflich war." Erst, als das Fernsehen ihre Auftritte zeigte und sie mit ihrer Kunst Geld verdiente, war der Vater stolz: "Sie war schon immer ein Dickkopf", sagt er.

"Wo die Politik versagt, gewinnt die Musik"

Der Vater unterstützt sie heute auch bei ihrer Arbeit gegen die Klitorisbeschneidung, lässt sich bereitwillig von Journalisten interviewen. Ihre Mutter starb im Alter von 38, als Fatou in der Abschlussklasse war. Sie brach die Schule ab, von nun an lebte sie für den Rap: "Ich musste kämpfen, um mich durchzusetzen." 2005 wurde sie als erste Frau beim Hip-Hop-Festival in Dakar als "bestes Nachwuchstalent" ausgezeichnet. Ihre Texte warnen vor arrangierten Hochzeiten oder besingen das harte Los von Frauen auf dem Dorf. "Wo die Politik versagt, gewinnt die Musik", hofft Fatou: "Wir versuchen, Tabus zu brechen."

Aufklärung und Verbot haben bewirkt, dass Beschneidungen nicht mehr wie früher mit Feiern als Initiationsrituale organisiert werden, sondern heimlich - und immer öfter bereits bei Babys. Präsident Macky Sall will den Brauch bis 2015 "ausgerottet" haben. Der politische Wille ist in einem Aktionsplan formuliert. Aber die Polizei handelt nur, wenn Fälle bekannt werden. "Wir machen Lärm, damit das Gesetz angewandt wird", erklärt World-Vision-Manager Crépin Louhoungou.

"Eure Eltern wussten nicht, was ich euch heute erzählt habe", sagt Fatou in den Schulklassen. Sie vermeidet es, die Mütter oder Väter der Schüler anzuklagen. Aber den Kindern sagt sie: "Ihr geht auf die Schule und werdet das nicht mehr machen, wenn ihr groß seid und selbst Kinder habt".