"Das Konstanzer Konzil ist bis heute aktuell geblieben"

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Ein Holzstich von 1856 nach einer Zeichnung Wilhelm Camphausens (1818-1885) zeigt die Verbrennung von Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz.
"Das Konstanzer Konzil ist bis heute aktuell geblieben"
"Weltereignis des Mittelalters": Ausstellung erinnert an Konstanzer Konzil vor 600 Jahren
Was haben Jan Hus und Osama bin Laden gemeinsam? Beide wurden verbrannt und ihre Asche einerseits im Rhein, andererseits im Arabischen Meer verstreut, um einen Reliquienkult zu verhindern. Die Kuratorin der Ausstellung "Das Konstanzer Konzil. Weltereignis des Mittelalters 1414-1418", Karin Stober, sieht noch weitere Parallelen zwischen Geschichte und Gegenwart. Im Gespräch mit evangelisch.de sieht sie zahlreiche politische und theologische Fragen, die seinerzeit bei der großen Kirchenversammlung am Bodensee behandelt wurden und bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Die Schau wird am Sonntag nach Ostern eröffnet - an einem wahrlich historischen Ort: Im Konstanzer Konzilsgebäude fand 1417 die einzige Papstwahl auf deutschem Boden statt.

Frau Stober, die Konstanzer Schau steht unter dem Titel "Weltereignis des Mittelalters". Warum Weltereignis?

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Karin Stober: Noch nie waren zu einem Konzil Teilnehmer aus ganz Europa, auch aus den weitestentfernten Gegenden, zusammengeströmt. Die Gäste kamen aus der gesamten christlichen Welt, von Nowgorod bis Lissabon, von Äthiopien bis Uppsala, aus England, Frankreich und Italien – auch aus den östlichen Regionen des Reiches, aus Ungarn, Polen oder Litauen. Der damalige König Sigismund von Luxemburg hatte ja seinen Schwerpunkt im osteuropäischen Raum. Sigismund brachte in seinem Gefolge sogar einige Osmanen mit nach Konstanz.

Was erwartet die Besucher in der Ausstellung?

Stober: Bevor das eigentliche Konzilsthema vorgestellt wird, zeigen wir mit spektakulären Ausstellungsstücken die christliche Glaubenswelt und das Weltbild der Zeit um 1400. Wir stellen die Protagonisten vor, also die drei Päpste Benedikt XIII., der in Spanien residierte, Gregor XII., der Rom zuzuordnen ist, sowie Johannes XXIII., der sich auf das Konzil von Pisa berief. Der römisch-deutsche König Sigismund von Luxemburg wird als derjenige präsentiert, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, als "Defensor ecclesiae", als Schirmherr der Kirche, das Konzil zu lenken und erfolgreich zu beenden.

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Dann geht es in die Zeit des Konzils über – die vielen Delegationen trafen mit Prunk und viel Reisegepäck in Konstanz ein. Sigismunds Ankunft etwa, in der Weihnachtsnacht 1414, war spektakulär inszeniert. Die wesentlichen inhaltlichen Fragen der Versammlung waren die drei "causae": causa unionis, causa fidei, causa reformationis. Die Besucher erleben einen Weg durch das dramatische Konzilsgeschehen. Eines der Hauptziele war, die drei amtierenden Päpste zum Rücktritt zu bewegen und eine Neuwahl durchzuführen. Dies war aber nur dann möglich, wenn sich das Konzil die päpstliche Macht zu eigen machte, sprich: sich über den Papst zu stellen vermochte. Dieses Tauziehen der Mächtigen der christlichen Welt stellen wir ebenso dar wie die wichtigsten Dekrete des Konzils.

"Eines der Hauptziele war, die drei amtierenden Päpste zum Rücktritt zu bewegen und eine Neuwahl durchzuführen"

Neben der Papstwahl zählt die Hinrichtung der böhmischen Reformatoren zu den wichtigsten Ereignissen des Konzils.

Stober: Die Verurteilung und Verbrennung von Hieronymus von Prag, vor allem auch von Jan Hus im Juli 1415 waren dramatische Geschehnisse. Wie es dazu kam, stellen wir in einem speziellen Kapitel in der Ausstellung dar. Dass in Konstanz die Scheiterhaufen brannten, wirft auf das im Grunde genommen erfolgreiche Konzil einen dunklen Schatten, der bis heute anhält. Man darf aber nicht vergessen, dass die christliche Welt damals nicht nur aus der Kirche bestand, sondern auch aus Machtblöcken und Machtinteressen, die allesamt auf dem Konzil vertreten waren. Durch das Zusammensein der mächtigsten Fürsten der Zeit erhoffte man sich in Konstanz Lösungen auch für politische Konflikte, die seinerzeit im Raum standen. Beispielsweise die Frage des Tyrannenmordes, bei der es unmittelbar um den französischen Thron ging, oder die Auseinandersetzung zwischen dem Königreich Polen-Litauen und dem Deutschen Orden. Schlussendlich war der Ausgang des Konzils erfolgreich, die Papstwahl konnte stattfinden.

Schauplatz der Papstwahl vom November 1417: Das Alte Kaufhaus am Bodenseeufer, das seit dem 19. Jahrhundert den Namen "Konzil" trägt. Hier findet auch die Landesausstellung statt.

Am 8. November 1417 trat das Konklave zusammen, schon nach drei Tagen war der neue Papst gewählt – Martin V., aus dem uralten römischen Patriziergeschlecht der Colonna stammend. Ihm gelang es dann, den Papstsitz nach Rom zurückzuverlegen und die Stadt zu einem neuen Zentrum der Kunst und des Kulturschaffens zu machen. Er berief viele Künstler nach Rom, und von dieser Avantgarde werden in Konstanz dank der großzügigen Leihgaben der Vatikanischen Museen einige Hauptwerke zu sehen sein. Das Konzil selbst hat sich einige Monate nach der Papstwahl aufgelöst, ohne die wesentlichen Reformfragen behandelt zu haben. Das Wichtigste war getan, aber der Reformstau blieb erhalten. Dies führte ein Jahrhundert später mit Martin Luther zur endgültigen Spaltung der Kirche – und zu dem, was im Jahr 2017 im 500-jährigen Reformationsjubiläum gefeiert wird.

"Martin Luther nimmt den böhmischen Reformator für sich in Anspruch und bezeichnet ihn als seinen Vorläufer"

Hus selbst sagte ja in Anspielung auf seinen Namen, der zu Deutsch "Gans" bedeutet: "Heute bratet ihr eine Gans, aber den Schwan, der nach mir kommt, werdet ihr nicht braten." Luther wurde dann in der Ikonografie gerne als Schwan gezeigt. Inwiefern wird die Ausstellung den Vorläufercharakter des Konzils für die Reformation widerspiegeln?

Stober: Wir spiegeln Jan Hus aus Sicht der Reformation. Martin Luther nimmt Hus für sich in Anspruch und bezeichnet ihn als seinen Vorläufer. Auch auf John Wyclif (1330-1384), der in Konstanz posthum zum Ketzer erklärt wurde, beruft er sich. Es gibt zahlreiche Flugschriften aus der Reformationszeit und den folgenden Jahrhunderten, auf denen Wyclif, Hus und Luther gemeinsam abgebildet sind. Auch die später in Umlauf gekommenen Gedenkmünzen und -medaillen tragen den Spruch von der Gans und dem Schwan. Er wurde von Luther sehr gern benutzt.

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Was waren die theologischen Knackpunkte in Konstanz?

Stober: Ein großes Thema auf dem Konzil war die Kelchfrage: Ist beim Abendmahl der Kelch nur dem Priester vorbehalten, oder wird er auch den Laien gereicht? Mit dieser Frage aufs Engste verknüpft ist die Transsubstantiationslehre: Werden im Abendmahl Brot und Wein vollständig in Leib und Blut Christi umgewandelt oder nicht? Das Thema hat Wyclif und Hus stark bewegt, später auch Luther, wie man weiß. Es geht aber auch um die Anerkennung des Papstes als Oberhaupt der Kirche. Sie sehen: Gerade auch die theologischen Fragen, die während des Konzils verhandelt wurden, sind bis auf den heutigen Tag aktuell geblieben.

Das Konstanzer Konzil ist ein unglaublich vielfältiges Ereignis mit zahllosen Facetten. Auf der anderen Seite ist es aber auch sehr weit weg, 600 Jahre sind eine lange Zeit. Wie lässt sich so ein Thema auf einer begrenzten Ausstellungsfläche sinnfällig veranschaulichen?

Stober: Gemeinsam mit dem Ausstellungsgestalter haben wir die Thematik ebenso lebendig und wie aktuell erzählt und inszeniert, dass jeder Besucher das Konzil möglichst leicht verstehen und erfahren kann. Es ist uns sehr wichtig und überhaupt Sinn jeder historischen Ausstellung, dass man Geschichtsthemen in die Gegenwart trägt. Das funktioniert beim Konstanzer Konzil ganz gut, weil viele der damals wichtigen Gesichtspunkte noch heute virulent sind und immer wieder in der Geschichte auftauchten. Beim Tyrannenmord etwa fällt einem ganz spontan die Parallele zu Saddam Hussein, Gaddafi oder Osama bin Laden ein, den man ja mit Stumpf und Stiel in der Tiefe des Meeres versenkt hat, um keine Reliquien zu hinterlassen. Ganz ähnlich hat man in Konstanz die Hinterlassenschaften von Jan Hus, die Asche, die nicht verbrannten Knochen und auch noch die Erde unter dem Scheiterhaufen abgetragen und im Rhein versenkt, um bloß keine Reliquien zu hinterlassen. Die großen Fragen der Geschichte treten immer wieder auf, und aus der Geschichte heraus Bögen in die Gegenwart zu spannen, ist Ziel der Ausstellung.

"Es könnte sich um ein Stück vom Gewand des Jan Hus handeln"

Umso erstaunter waren Sie vermutlich über das Textilfragment, das von Mantel des Jan Hus stammen soll und im Unterlindenmuseum in Colmar aufbewahrt wird. Worum handelt es sich da genau?

Ein Textilfragment, das aller Wahrscheinlichkeit vom Mantel des Jan Hus stammt, wird bei der Konstanzer Schau gezeigt.

Stober: Wir haben dieses Stück Stoff, das hinter Passeparout liegt und gerahmt ist, von der renommierten Abegg-Stiftung in der Schweiz untersuchen lassen – es handelt sich dabei tatsächlich um einen dunklen Wollstoff aus dem ausgehenden 14. Jahrhundert. Nimmt man die begleitende Beschriftung hinzu, verdichten sich die Indizien, dass es sich tatsächlich um ein Stück vom Gewand des böhmischen Reformators handeln könnte.

Sie betrachten das Konzil auch als ein Weltereignis der Sinne, der Gerüche, der Klänge. Wie wird das in der Schau deutlich gemacht?

Stober: Die Ausstellung ist in erster Linie ein visuelles Erlebnis. Überlebensgroße, farbenfrohe Darstellungen aus der Richental-Chronik bieten eine stimmungsvolle Kulisse. Richental war ein Bürger der Stadt, der die Versammlung als Augenzeuge miterlebte. Wir haben Hörstationen mit zeitgenössischer Musik eingespielt. Düfte zu verströmen, ist in einer Ausstellung nicht ganz einfach, aber wir haben eine Reihe von Ausstellungsstücken mit der Absicht ausgewählt, dass die Besucher auch einen sinnlichen Eindruck von der Konzilszeit erhalten.

Das Konzil hat sich tief in das Gedächtnis der Stadt Konstanz eingeprägt. Inwiefern?

Stober: Die Konstanzer haben ihr Konzil über die Jahrhunderte hinweg immer wieder gefeiert – spätestens schon seit 1468, als im Auftrag der Stadt eine Abschrift der Richental-Chronik gefertigt und im Rathaus aufbewahrt wurde, um hochrangigen Besuchern gezeigt zu werden – stolz wurde das Weltereignis immer wieder vorgeführt.

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Im 19. Jahrhundert wurde das historische Kaufhaus am Hafen, in dem seinerzeit die Papstwahl stattfand, in "Konzil" umbenannt. Gleichzeitig hat man in dieser sogenannten Altertümerhalle eine Schau eingerichtet – mit einem Wagen, auf dem angeblich Jan Hus zum Scheiterhaufen gebracht wurde, mit einem Thronsessel, auf dem angeblich König Sigismund saß. In Konstanz entstanden zudem zahlreiche großformatige Wandmalereien im öffentlichen Raum, die das Konzil zum Thema haben: am Rathaus, am Obermarkt, im Kreuzgang des Dominikanerklosters. Das Konzil ist in diesem Sinne nie aus dem Konstanzer Gedächtnis verschwunden – bis zum heutigen Tag. Erst in den 1990er Jahren hat Peter Lenk die Figur der Lebedame "Imperia", die Papst und König auf Händen trägt, am Alten Hafen errichtet. Sie ist heute eines der Wahrzeichen der Stadt.

Wie lassen sich Kinder für ein Thema wie das Konzil begeistern, das ja weit weg ist und dann doch immer wieder sehr nahe rücken kann?

Stober: Wir haben ein Lehrerarbeitsheft erarbeitet, das ganz gezielt Konzilsthemen für schulpflichtige Kinder jeder Altersstufe enthält. Unsere Museumspädagogen arbeiten vielen Jahren sehr professionell und innovativ auf dem Gebiet, historische Themen kindgerecht aufzubereiten – etwa durch Mitmachaktionen, oder indem man altersbezogen bestimmte Aspekte thematisiert. Im dritten Stock des Konzilsgebäudes wird es eine museumspädagogische Werkstatt geben – für Aktionen mit Kindern, aber auch für Erwachsene. Wir wollen Besucher, welchen Alters und welcher Herkunft auch immer, aktiv in die Ausstellung einbeziehen.