Afghanistan: Geisterwähler, Durchhalteparolen, Anschläge

Foto: dpa/S. Sabawoon
Eine afghanische Frau zeigt in Kabul ihren Registrierungsschein für die Wahl am Samstag.
Afghanistan: Geisterwähler, Durchhalteparolen, Anschläge
Gewalt und Unsicherheit überschatten die Wahl eines Nachfolgers von Präsident Karsai
Auf den Nachfolger des afghanischen Präsidenten Karsai warten fast unlösbare Aufgaben, darunter der Kampf gegen die Taliban, gegen Armut und Drogenhandel. Vor der Wahl herrscht ein Klima der Angst. Mit einer fairen Abstimmung rechnet kaum jemand.
04.04.2014
epd
Agnes Tandler

Kabuls Straßen sind wie ausgestorben. Kurz vor der Präsidentenwahl an diesem Samstag hat die Polizei wichtige Zufahrtstraßen in die afghanische Hauptstadt gesperrt - aus Sicherheitsgründen. Die Furcht vor weiteren Anschlägen radikal-islamischer Taliban ist groß. Es sei schon so ruhig wie zu den Zeiten der Taliban-Regimes, spotten Einwohner. Geschlossen sind auch viele Restaurants und Hotels, die von Ausländern besucht wurden.Die meisten internationalen Wahlbeobachter haben ihre Koffer gepackt und Afghanistan verlassen: Der brutale Terroranschlag der Taliban auf das hochgesicherte Serena-Hotel am 20. März hat die von den Aufständischen erhoffte Wirkung gezeigt. Ein Attentat auf das zentrale Büro der Wahlkommission in Kabul vor einigen Tagen hat gezeigt, dass die Taliban alles tun, um die Abstimmung zu diskreditieren.

Am Samstag soll die Nation einen Nachfolger für Präsident Hamid Karsai bestimmen, der nicht noch einmal kandidieren darf. Die Wahl gilt als wichtige Weichenstellung für die Zukunft des Landes, das Ende des Jahres voraussichtlich keine ausländischen Kampftruppen mehr auf seinem Boden haben wird.

Angst vor Anschlägen am Wahltag

Es ist bereits die fünfte Wahl am Hindukusch seit dem Sturz der Taliban Ende 2001. Und es gibt kaum Illusionen, dass es diesmal weniger Manipulation, Fälschung und Korruption geben wird als bisher. Viele fürchten eine Wiederholung des Wahl-Dramas von 2009, als 20 Prozent aller abgegebenen Stimmen annulliert wurden. Bestärkt wird die Angst auch durch die Tatsache, dass die Wählerlisten voller Geisterwähler sind. Darauf steht jeder, der in den vergangenen zehn Jahren abstimmen durfte, und damit auch längst verstorbene Menschen.

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Afghanistan mit einer Bevölkerung von rund 30 Millionen hat rund zwölf Millionen Wähler. Laut den nie aktualisierten Wahlregistern sind aber mehr als 20 Millionen Menschen berechtigt, ihre Stimme abzugeben. Wie bei früheren Urnengängen sind Wahlkarten schon seit Monaten käuflich.

Noch mehr als Manipulationen werden Anschläge befürchtet: Die Taliban haben alle bedroht, die an der Wahl teilnehmen oder bei der Organisation mithelfen. Kaum ein Tag verging ohne Anschläge, Morde und Selbstmordkommandos. An öffentlichen Durchhalteparolen fehlt es dennoch nicht: "Es macht große Mühe, gegen den Widerstand der Taliban eine gute Wahl abzuhalten, aber wir geben unser Bestes", verkündete der Chef der Wahlbeschwerdekommission, Abdul Sattar Sadat. Wie viele Afghanen am Wahltag aus Furcht daheim bleiben werden, ist jedoch schwer einzuschätzen.

Auf dem Stimmzettel stehen elf Kandidaten. Das Rennen um die Präsidentschaft konzentriert sich aber auf drei Männer - allesamt alte Bekannte auf der politischen Bühne: Da ist der Augenarzt Abdullah Abdullah, einst Führer der gegen die Sowjetunion kämpfenden Nordallianz und später Außenminister unter Karsai, gegen den er bei der Wahl 2009 verlor. Der 53-Jährige ist in seiner Heimat im Norden populär, doch im Süden wegen seiner ethnischen Abstammung kaum wählbar.

Die Taliban zeigen keine Absicht, den Kampf einzustellen

Erneut zur Wahl stellt sich auch Aschraf Ghani, ein früherer Weltbank-Ökonom und ehemaliger Finanzminister, der 2009 aber nur drei Prozent der Stimmen erhielt. Mit seinem pro-westlichen Hintergrund dürfte Ghani ein Wunschkandidat der Amerikaner sein, die sich vom Nachfolger Karsais vor allem erhoffen, dass sie Militärbasen in Afghanistan behalten können. Doch der 64-Jährige, der 24 Jahre im Ausland gelebt hat, tut sich schwer, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen.

Ein recht unbeschriebenes Blatt ist Salmai Rassul (71), ebenfalls früherer Außenminister und ein entfernter Verwandter des letzten afghanischen Königs: Rassul ist ein politischer Weggefährte von Präsident Karsai, mit dem er im Exil in Rom zusammenarbeitete. Viele Afghanistan-Experten glauben daher, dass er - als die politisch schwächste Figur unter den drei Favoriten - von Karsai gestützt wird. Der scheidende Präsident will offenbar auch nach seinem Rückzug weiter Einfluss auf die Politik nehmen. Rassul dürfte es aber wie Ghani schwer haben, im Norden Stimmen zu gewinnen.

Egal, wer künftig Hausherr im Kabuler Präsidentenpalast "Arg" sein wird: Auf Karsais Nachfolger wartet eine lange Liste fast unlösbarer Aufgaben. Korruption, Armut und Drogenhandel müssen energischer bekämpft werden. Die afghanische Wirtschaft ist ohne Hilfe von außen nicht überlebensfähig, selbst das Militär hängt am Tropf des Westens. Und die gegen die gewählte Regierung in Kabul einzustellen.