Herr Kardinal, seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der damit verbundenen Öffnung der katholischen Kirche für den Dialog mit anderen Konfessionen bekräftigen die Päpste immer wieder den Wunsch nach einer Überwindung der Spaltungen unter den Christen. Was hat sich in der Ökumene unter Papst Franziskus verändert?
Koch: Gleich geblieben ist sicher, dass die Ökumene einen großen Stellenwert hat. Es kommen weiterhin viele Leiter anderer Kirchen, die dem Heiligen Vater begegnen und teilweise gemeinsame Verantwortung im Blick auf die großen Probleme in der heutigen Welt wahrnehmen wollen. Diese Vertiefung des Dialogs ist Papst Franziskus ganz wichtig. Hinzu kommt, dass er von einem anderen Hintergrund her denkt, von Lateinamerika. Er kennt alle ökumenischen Dialoge, die wir bisher geführt haben, aber einen neuen Stellenwert haben die pentekostalischen Gemeinschaften. Diesen Dialog müssen wir vertiefen.
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Die Videobotschaft an die Pfingstkirchen gilt als spontane Entscheidung des Papstes. Erschwert der Papst mit solchen Gesten die Arbeit der Kurienbehörden?
Koch: Das ist überhaupt kein Problem. Ich werde immer als Ökumene-Minister des Vatikans bezeichnet, aber der eigentliche Ökumene-Minister ist der Papst, und wir stehen in seinem Dienst. Wenn er hier ganz neue Perspektiven eröffnet, kann ich nur froh sein. Natürlich spricht man nachher darüber und schaut, wie man das weiterführen und vertiefen kann. Wenn der Papst selbst die Initiative ergreift, ist das für mich überhaupt kein Problem, im Gegenteil.
Welche neuen Perspektiven ergeben sich durch den anderen Stil des Papstes im ökumenischen Dialog?
Koch: Wir haben in der ökumenischen Arbeit immer betont, dass der Dialog der Liebe, die Pflege freundschaftlicher und geschwisterlicher Beziehungen das Fundament ist, um überhaupt theologische Fragen anzugehen. Vielleicht sind wir heute in einer Situation, in der wir das wieder vertiefen müssen, weil es auf der theologischen Ebene Schwierigkeiten gibt. Man kann die Theologie gewiss nicht auf die Seite legen. Der Papst ist nicht untheologisch, seine Theologie ist ein bisschen anders geprägt. Von daher kann er auch vieles sagen, und es wird für gut befunden, was Papst Benedikt nicht sagen konnte, ohne Kritik einzuheimsen. Ich denke etwa an die große Diskussion, die es nach der Freiburger Rede von Papst Benedikt über die Entweltlichung der Kirche gab. Papst Franziskus sagt es noch zehnmal schärfer, und die heftigsten Kritiker von Benedikt finden das nun gut. Da kann man nur dankbar sein, dass es Franziskus gelingt, Anliegen von Benedikt zu vertiefen.
"Wir können dankbar sein, dass es Franziskus gelingt, Anliegen von Benedikt zu vertiefen."
Der ökumenische Dialog der katholischen Kirche mit den Orthodoxen gilt wegen weitgehender Übereinstimmungen in der Liturgie als besonders vielversprechend. Welche Auswirkungen erwarten Sie vom Gipfel der orthodoxen Kirchen in Istanbul vor wenigen Tagen auf die Ökumene?
Koch: Ich hoffe, dass es ein weiterer Schritt in Richtung der panorthodoxen Synode sein wird. Wenn die Synode stattfindet, wird sie auch ein großer Schritt für die Ökumene sein, denn inner-orthodoxe Spannungen behindern sie. Wenn diese Differenzen geklärt werden könnten, wäre das auch eine Hilfe für unsere Beziehungen.
Gibt es realistische Chancen für eine Überwindung dieser Differenzen?
Koch: Ich hoffe und bete darum, dass es gelingt, und versuche auch zu ermutigen, indem ich etwas scherzhaft sage: Ihr Orthodoxen müsst uns zeigen, wie man ein Konzil ohne Papst durchführt. Dann glauben wir noch mehr an eure Synodalität. Es wird ja immer von der katholischen Kirche gefordert, dass sie bewähren müsse, was sie sagt. Das dürfen wir auch von der orthodoxen Seite erwarten.
Sollten innerorthodoxe Hindernisse für den Dialog überwunden werden, bleiben tief verwurzelte Unterschiede wie etwa das territoriale Kirchenverständnis der Orthodoxen bestehen. Wie können Schwierigkeiten überwunden werden, die aus unterschiedlichen Grundauffassungen entstehen?
Koch: Dieses territoriale Denken ist der katholischen Kirche nicht fremd. Der Unterschied besteht darin, dass die Orthodoxie sagt, dass dort, wo bereits eine Hierarchie besteht, es keine weitere geben könne. Das ist eine große Schwierigkeit, die man ökumenisch bearbeiten muss. Die Grundfrage ist auch, wie die Grundidee des kanonischen Territoriums mit dem Prinzip der Religionsfreiheit zu vereinbaren ist. Das ist eine große Frage, die wir besprechen müssen.
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Nicht nur das Verständnis der orthodoxen Kirchen zu Menschenrechten, auch deren Nähe zu staatlichen Institutionen wirkt auf westliche Kulturen fremd wie zuletzt die Segnung von Waffen durch orthodoxe Kirchenvertreter. Ist das orthodoxe Verständnis von Menschenrechten mit dem katholischen zu vereinbaren?
Koch: Da besteht ein grundlegender Unterschied. Mit den Orthodoxen haben wir sehr viel im Glauben gemeinsam, aber wir haben eine andere Kultur. Wohingegen wir mit den aus der Reformation hervorgegangenen kirchlichen Gemeinschaften nicht eine so breite Basis an Glaubensgemeinsamkeit haben, aber dieselbe Kultur. Bei den Orthodoxen ist die Anhänglichkeit an die Nation zunächst ein Vorteil, eine gute Inkulturation des Glaubens in die Kultur, aber es besteht die Gefahr des Nationalismus. Das ist jedoch eine Gefahr für alle christlichen Konfessionen; auch und gerade die protestantischen sind zumeist national verortet. Selbst die katholische Kirche, die eine Universalkirche ist, ist von nationalistischen Sünden auch nicht ganz frei. Im Sündigen sind wir manchmal sehr ökumenisch. Es ist immer wichtig, die Unterschiede klar zu benennen, dabei aber auch zu sehen, dass wir manchmal beim anderen etwas sehr klar als negativ sehen, was bei uns auch vorhanden ist.
Kann man angesichts der großen Unterschiede bei Themen wie Frauenpriestertum, Zölibat, Umgang mit Homosexuellen sowie beim Kirchenverständnis im Dialog mit den protestantischen Kirchen überhaupt noch vom Ziel der vollen Einheit sprechen?
Koch: Auch hier müssen wir sehen, dass diese Spannungen auch in unserer eigenen Kirche bestehen: über die Frage der Familie und alternativen Eheformen, über wiederverheiratete Geschiedene, über die Situation der Frau der Kirche. Deswegen können wir nicht sagen, dass nur die Evangelischen diese Positionen vertreten. Bei ihnen werden sie teilweise auch von der Kirchenleitung vertreten, während sie bei uns bei den Gläubigen kontrovers vorhanden sind. Ökumenische Begegnung muss nach Wegen suchen, wie man mit diesen Problemen umgehen kann. Es dürfte nötig sein, zu den grundlegenden Fragen zurückzukehren. Sie sind natürlich sehr schwierig, aber ich glaube nicht, dass sie ausdiskutiert sind, gerade was den Kirchenbegriff betrifft.
"Wir können nur anerkennen, was wir kennen. Deshalb brauchen wir Kenntnis, wie sich die Evangelischen selbst als Kirche verstehen."
Kann eine solche Diskussion etwas anderes als Klarheit über die Verschiedenheit der Positionen hervorbringen?
Koch: Die Evangelischen wünschen immer, dass wir sie als Kirche anerkennen. Wir können aber nur anerkennen, was wir kennen, deshalb brauchen wir Kenntnis, wie sie sich selbst als Kirche verstehen. Dabei stellt sich bereits die Frage, wer im ganzen protestantischen Universum als Kirche bezeichnet wird: Sind es nur die Landeskirchen oder auch die Freikirchen und die evangelischen und evangelikalen Gemeinschaften? Wir müssen deshalb im ökumenischen Dialog die Frage nach dem Wesen der Kirche entschieden angehen und vertiefen.
Inwieweit kann gemeinsames Gedenken im Lutherjahr 2017 die Ökumene mit den protestantischen Kirchen voranbringen?
Koch: Wenn wir uns darauf zurückbesinnen, was Luther eigentlich wollte: Er wollte keine neue Kirche, sondern die Erneuerung der ganzen Kirche. Wenn wir zu diesem Grundanliegen zurückkehren, dann kann das Reformationsgedenken nur ein Schritt auf mehr Einheit hin sein. Wenn wir Luther vergessen, dann wird es eine Zementierung des Status quo sein. Und das hoffe ich beileibe nicht.