Erosion der Tradition: Die Kirche und ihre Mitglieder

Unter jungen Menschen ist der Blick in die Bibel eher selten, weil religiöse Tradition in der Familie immer seltener weitergeben wird.
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Unter jungen Menschen ist der Blick in die Bibel eher selten, weil religiöse Tradition in der Familie immer seltener weitergeben wird.
Erosion der Tradition: Die Kirche und ihre Mitglieder
Die fünfte Mitgliedschaftsuntersuchung der evangelischen Kirche zeigt: 43 Prozent der Befragten fühlen sich der Kirche sehr oder zumindest ziemlich verbunden. Für eine Mehrheit kommt ein Austritt nicht infrage. Doch auch der Anteil Kirchenferner steigt.
06.03.2014
epd
Rainer Clos

Alle zehn Jahre macht sich die evangelische Kirche ein Bild darüber, wie ihre Mitglieder es mit der Kirche und Religion allgemein halten. Auch die fünfte repräsentative Erhebung förderte keine grundlegende Trendänderung zutage, der Anteil der kirchennahen Evangelischen zeigt nach oben: 15 Prozent fühlen sich ihrer Kirche sehr, weitere 28 Prozent ziemlich verbunden.

Doch auch mehr Protestanten sind inzwischen kirchenfern. So sagen 14 Prozent, sie seien der Kirche gar nicht verbunden, und noch weitere 18 Prozent, sie seien kaum verbunden. Weniger geworden ist nur das Mittelfeld der Schwachverbundenen. Für das sogenannte Sozialkapital, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, sind Protestanten mit hohem freiwilligen Engagement und großem Vertrauenspotenzial nach wie vor eine wichtige Ressource.

Ein Wandel zwischen den Generationen

Dennoch können die am Donnerstag in Berlin unter der Überschrift "Engagement und Indifferenz" präsentierten Befunde kaum mit einem simplen "weiter so" abgetan werden. Der Wandel der Kirchenbindung vollzieht sich, wie die Studie nahelegt, vor allem zwischen den Generationen. Für eine Elterngeneration, die Glaube und Religion weithin indifferent begegnet, dürfte es kaum selbstverständlich sein, dass ihre Kinder getauft und religiös erzogen werden. Ein Fünftel der unter 30-Jährigen schließt eine Taufe des Kindes aus.

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Bestätigt wird dies durch einen Befund, wonach es unter jungen Leuten eine wachsende Distanz zur Kirche gibt und ein Leben ohne Religion als selbstverständlich erscheint: "Je jünger die Befragten sind, desto seltener geben sie an, religiös erzogen worden zu sein." Religion ist in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen nur noch für 16 Prozent Thema.

Zwar gibt es etwa ein wachsendes Interesse bei Eltern, für ihre Kinder einen Platz an einer evangelischen Schule zu finden. Doch für diese Wahl könnten ganz pragmatische Gründe wie eine bessere Qualität der konfessionellen Schule den Ausschlag geben.

Zu dieser Traditionserosion kommt hinzu, dass Konfessionslosigkeit, vor zwei Jahrzehnten überwiegend in Ostdeutschland anzutreffen, auch im Westen mittlerweile als Normalfall gesehen wird. Der Kirche den Rücken zu kehren - aus Ärger über politische Leitartikel von der Kanzel, Verdruss über ethische Vorgaben, aus finanziellen Motiven oder Gleichgültigkeit gegenüber Sinnfragen - gilt nicht mehr als sozial anstößig.

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Die für die Bundesrepublik lange gültige Faustformel, wonach zwei Drittel der Deutschen christlichen Kirchen angehören und ein weiteres Drittel konfessionslos oder weltanschaulich anders gebunden ist, verändert sich zum Nachteil der Kirchen. Für diese Verschiebung, die sich in Konflikten über Religionsunterricht, Sonntagsschutz und religiös motivierte Beschneidung zeigt, spielen sicher auch hausgemachte Probleme wie der Missbrauchsskandal oder Fehlverhalten Einzelner eine Rolle.

Weitaus größere Wirkung dürften allerdings langfristige gesellschaftliche Entwicklungen entfalten: Individualisierung, Pluralisierung und Wohlstand schwächen große Institutionen - wie Gewerkschaften, Parteien, Verbände, aber auch Kirchen. "Die Kirchen sind von den Prozessen der Individualisierung besonders betroffen, denn die Betonung individueller Selbstbestimmung geht häufig mit einer besonderen Skepsis gegenüber institutionellen Vorgaben einher", sagt der Religionssoziologe Detlev Pollack.

Gundlach: Wachsen gegen den Trend kein taugliches Konzept

Doch die aktuelle EKD-Erhebung dürfte nicht nur Religionssoziologen aufschlussreiches Datenmaterial liefern. Auch die Kirchenleitungen sind herausgefordert. Die lange gehegte Hoffnung, Kirchendistanzierte würden irgendwann Engagierte, wenn kirchliche Angebote entsprechend niedrigschwellig sind, scheint sich nicht zu erfüllen. Von den befragten Konfessionslosen gaben maximal zwei Prozent an, ein Wiedereintritt sei vorstellbar.

Ein Wachsen gegen den Trend eines ganz überwiegend demografisch bedingten kontinuierlichen Mitgliederschwundes, gegen Säkularisierung und Abkehr von Institutionen erscheine als Konzept nicht tauglich, räumt Vizepräsident Thies Gundlach vom Kirchenamt der EKD ein. Doch auch die Option einer kleinen Schar Kirchentreuer unter dem Dach einer Minderheitenkirche dürfte als Alternative zum Modell der Großkirche kaum infrage kommen.

Auf dem "Zukunftsforum Mittlere Ebene" der EKD in Wuppertal und im Ruhrgebiet im Mai, bei dem Pfarrer und Laien aus Dekanaten und Kirchenbezirken über Reformkonzepte und Handlungsstrategien für die Kirche im 21. Jahrhundert austauschen, werden die Befunde der neuen Mitgliedschaftsuntersuchung jedenfalls für reichlich Gesprächsstoff sorgen.