"Weitergabe des Glaubens ist keine Selbstverständlichkeit mehr"

Familiengottesdienst
Foto: epd-bild/Carola Fritzsche
Familiengottesdienste sind beliebt. Hier kann die Kirche ansetzen, um das Interesse der Protestanten wieder zu wecken, meint Gerhard Wegner.
"Weitergabe des Glaubens ist keine Selbstverständlichkeit mehr"
EKD legt ihre fünfte Mitgliedschaftsuntersuchung vor
Auf der einen Seite fühlen sich drei Millionen Menschen der evangelischen Kirche eng verbunden, auf der anderen Seite wächst die Zahl jener Protestanten, denen Kirche schlicht egal ist. Über die Ergebnisse der aktuellen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sprach der epd mit Gerhard Wegner. Der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD sieht Chancen für seine Kirche, indem sie auf Familien zugeht.
06.03.2014
epd
Karsten Frerichs

Herr Wegner, seit Jahren verliert die evangelische Kirche Mitglieder. Wer noch in der Kirche ist, nimmt immer seltener am Gemeindeleben teil, so scheint es. Nun hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine aktuelle Mitgliedschaftsuntersuchung vorgelegt. Was ist der Grund dafür, dass die Kirche eine immer geringere Bedeutung für die Menschen hat?

###mehr-personen### Gerhard Wegner: Religiöse Sozialisation erfolgt in der Familie. Doch die Weitergabe des Glaubens von Generation zu Generation ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Von den Protestanten über 60 Jahren wurden 83 Prozent religiös erzogen. Von den evangelischen Christen unter 30 Jahren sagen das nur noch 55 Prozent von sich.

Was ist die Folge?

Wegner: Das hat zur Folge, dass wir zwar einen Kern von etwa 13 Prozent Mitgliedern haben, die der Kirche hochverbunden und zugleich in den Gemeinden engagiert sind. Am anderen Ende der Skala wächst aber die Zahl der religiös indifferenten Kirchenmitglieder. 14 Prozent unserer Mitglieder haben keinen Bezug mehr zur Kirche, sie ist ihnen egal. Und dann ist es bis zum Austritt nicht mehr weit.

###mehr-links### Allerdings empfehle ich auch den Blick auf die absoluten Zahlen: 13 Prozent, das sind rund drei Millionen Hochverbundene. Ein Fünftel der Mitglieder, also 4,5 Millionen, engagieren sich in der Kirche. Und ein Viertel, etwa sechs Millionen, fühlen sich der Kirchengemeinde verbunden.

Dennoch: Die wachsende Zahl der religiös Indifferenten muss die Kirche doch erschrecken?

Wegner: Was wir erleben, kann man als "Verdichtung von Kirche" bezeichnen. Das sehe ich nicht nur negativ. Man kann mit der Gruppe Hochverbundener sehr konzentriert arbeiten, und das sorgt für eine größere Vitalität in den Gemeinden. Dass wir aber die Indifferenten noch erreichen, ist nicht zu erwarten. Vielmehr muss es darum gehen, die große Gruppe jener Menschen anzusprechen, die sich weiter für Kirche interessieren, ihr derzeit aber nicht so nahe stehen wie die Hochverbundenen.

Wie geht das?

###mehr-artikel### Wegner: Das geht aus meiner Sicht ganz klar über die Familien. In allen Religionen der Welt sehen sie einen Zusammenhang zwischen Familienleben und religiöser Praxis. Einzelpersonen erreicht Kirche kaum. Nicht ohne Grund zählen Familiengottesdienste zu den beliebtesteten Gottesdienstformen. Wenn es dann gelingt, zwischen den engagierten "jungen Alten" und den Familien eine Brücke zu bauen, ist viel gewonnen.

Die "jungen Alten", was ist das für eine Gruppe?

Wegner: Als "junge Alte" haben wir in der Mitgliedschaftsuntersuchung Männer und Frauen zwischen 60 und 69 Jahren bezeichnet. Diese Menschen suchen am Ende ihres Erwerbslebens neue Aufgaben und sind besonders häufig im kirchlichen Leben engagiert. Viele können sich sogar vorstellen, in ihren Gemeinden noch mehr zu tun. Und wenn wir es dann schaffen, dass Großeltern den Glauben an die Enkel weitergeben, ist viel gewonnen.