"Ruhig war es hier eigentlich nie"

Stefan und Nadia el-Karsheh in Kairo
Foto: epd/Katharina Eglau
Stefan und Nadia el-Karsheh leben in Kairo. Sie teilen sich die Pfarrstelle in der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde.
"Ruhig war es hier eigentlich nie"
Die deutschsprachige evangelische Gemeinde in Kairo wird 150 Jahre alt
In der Megametropole Kairo bildet die deutsche evangelische Kirche eine Oase der Ruhe. Aber das Gemeindeleben inmitten politischer Unruhen ist für das Pfarrer-Ehepaar immer wieder eine Herausforderung.
28.02.2014
epd
Julia Gerlach

Die Kirche der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde liegt an einer der lautesten Straßenkreuzungen von Kairo: Mehrspurig staut sich der Verkehr vor der Kirche, Straßenhändler bieten ihre Waren feil und auf der Höhe des Kirchturms brausen die Autos auf einer Hochstraße Richtung Flughafen. Wenn allerdings einmal die schwere Kirchentür ins Schloss gefallen ist, entfaltet sich im Inneren eine ganz besondere Stimmung: eine freundliche, stille Oase im Trubel der Mega-Stadt.

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Am 28. Februar feiert die Gemeinde ihr 150-Jahr-Jubiläum, sie wurde 1864 gegründet. "Es ist schon eine besondere Herausforderung, in dieser riesigen, chaotischen Stadt Gemeindeleben zu organisieren", sagt Nadia el-Karsheh, die sich seit einem Jahr mit ihrem Mann Stefan die Pfarrstelle der Gemeinde teilt. Das Pastorenehepaar kommt aus Niedersachsen.

Kirche ist ein Stück Heimat

"Es sind oft weite Wege, die zurückgelegt werden müssen, und hinzu kommt die immer wieder sehr unberechenbare politische Lage", sagt Stefan El-Karsheh. Einige deutsche Familien haben deshalb Kairo verlassen, und es kommen nur wenige neue hinzu. Viele Posten werden aufgrund der politischen Turbulenzen eher mit Alleinstehenden besetzt. Die Gemeinde wird kleiner, 130 Mitglieder hat sie derzeit. Sie ist auch Trägerin der Deutschen Evangelischen Oberschule in Kairo und unterhält gute Beziehungen zur katholischen deutschen Gemeinde.

Die Kirche der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde im Boulak Viertel in Kairo

"Politische Unruhen ziehen sich durch unsere Geschichte: Ruhig war es hier eigentlich nie", urteilt Nadia el-Karsheh, die aus einer deutsch-palästinensischen Familie stammt. Von den jüngsten Angriffen gegen Christen und Kirchen am Nil aber waren die deutschen Gemeinden nicht betroffen.

"Die Gemeinde ist etwas Besonderes", findet die Pastorin: "So wie in vielen Auslandsgemeinden gibt es viel Fluktuation, aber zugleich suchen die Menschen die Gemeinschaft". Die Kirche sei für sie auch ein Stück Heimat. "Darin unterscheiden sich die Leute heute übrigens auch gar nicht so sehr von den Gründungsmitgliedern der Gemeinde."

Bevor die evangelische Gemeinde in Kairo 1864 ins Leben gerufen wurde, gab es bereits eine in Alexandria. Denn damals spielte sich das Leben eher in der Hafenstadt ab. Kairo wurde erst durch den Baumwollboom und die Modernisierungspolitik des damaligen osmanischen Vizekönigs, des Khediven Ismael, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Weltmetropole. Die deutsche Auslandskolonie bestand damals vor allem aus Geschäftsleuten, Wissenschaftlern und Abenteurern. Vor 100 Jahren lebten mehr als 1.800 Deutsche in Kairo.

Zunächst feierten die Mitglieder der evangelischen Gemeinde ihre Gottesdienste in einer Kapelle, doch sie wollten sich vergrößern. 1912 wurde der spätklassizistische Sakralbau der heutigen Kirche errichtet. "Schon damals war in der Gemeinde umstritten, ob die Lage hier günstig ist, und es hätte damals fast sogar ein Duell gegeben: Der Pfarrer gegen den Vorsitzenden des Kirchenvorstands", erinnert Stefan el-Karsheh.

Nofretete-Entdecker Borchardt half der Gemeinde

Damals waren es der muffige Geruch eines offenen Kanals und das angrenzende Armenviertel, die gegen die Lage sprachen. Heute sind es vor allem die veränderten Lebensverhältnisse der Deutschen in Kairo: Kaum ein Gemeindemitglied wohnt noch in der Innenstadt.

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Ludwig Borchardt (1863-1938), der Ägyptologe und Entdecker der Nofretete, spielte für die Gemeinde eine besondere Rolle. Als Jude war er zwar nicht Gemeindemitglied, aber er war Anfang des 20. Jahrhunderts in Kairo ein einflussreicher Mann. Als nach dem Ersten Weltkrieg die Kirche und das Gemeindezentrum von den Briten beschlagnahmt wurden, setzte Borchardt sich für die Rückgabe ein. 1933 brach er den Kontakt ab, Hakenkreuzfahnen wehten vom Kirchturm und in der Schule wurden Nazi-Lieder gesungen.

Doch bis heute spielt Borchardts Villa für die Gemeinde eine wichtige Rolle. Dort lagert das Gemeindearchiv, und die Gemeindemitglieder feiern in dem Haus jedes Jahr ein Fest, um die Rückkehr der Mitglieder aus den Sommerferien zu feiern.

Zum Jubiläumsfest am Wochenende führen Kinder ein Musical auf, das auch die Geschichte der Gemeinde zum Thema macht. Auf dem Programm steht zudem die Uraufführung des Oratoriums "Wegfarben" des Organisten und Komponisten Wolfgang Kleber. Zum Jubiläum reist aus Deutschland die evangelische Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber nach Kairo, um die Festpredigt zu halten.