TV-Tipp des Tages: "Der Rücktritt" (Sat.1)

iStockphotos
TV-Tipp des Tages: "Der Rücktritt" (Sat.1)
TV-Tipp des Tages: "Der Rücktritt", 25. Februar, 20.15 Uhr auf Sat.1
Draußen die Journalisten, drinnen die Angst: Das Doku-Drama "Der Rücktritt" zeichnet die 68 Tage vor der Amtsaufgabe von Christian Wulff nach.

Mit seinen dokumentarischen Gerhard-Schröder-Porträts "Der Kandidat" (1998) und "Kanzlerbilder" (2001) hat Thomas Schadt vor Jahren verdeutlicht, was Macht aus einem Menschen macht. Später folgte gewissermaßen zum gleichen Sujet ein nicht minder herausragendes Dokudrama über Helmut Kohl, "Der Mann aus der Pfalz" (2009). Mit dem ganz ähnlich konzipierten Film über die letzten 68 Tage von Christian Wulff als Bundespräsident hat der vielfach ausgezeichnete Direktor der Filmakademie Baden-Württemberg nun das Gegenstück zu seinen Machtstudien geschaffen: "Der Rücktritt" beschreibt, wie Ohnmacht einen Machtmenschen verändert.

"Anteilnehmende Beobachtung"

Schadts Film basiert auf einem Drehbuch, das er gemeinsam mit dem "Spiegel"-Redakteur Jan Fleischhauer geschrieben hat. Die nackten Fakten sind sattsam bekannt, schließlich ist die Affäre um die vermeintliche Vorteilsannahme zu Wulffs Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident fast schon genüsslich und in seltener Einmütigkeit von den Medien seziert worden. Die Meinung des Volkes war dagegen lange Zeit keineswegs derart einhellig gegen Wulff, und darauf spekuliert auch der Film: Obwohl sich der Politiker durch seine Strategie, immer nur so wenig zuzugeben, wie zuvor von Journalisten aufgedeckt worden war, mehr und mehr in eine moralische Bredouille bringt, wächst das Mitgefühl. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass der exzellente Kai Wiesinger diese zunehmend tragische Figur mit großer Empathie verkörpert: Am Ende steht Wulff vor den Scherben einer politischen Laufbahn und versteht nicht, wie es so weit kommen konnte.

Dieser Ansatz der "anteilnehmenden Beobachtung" (Schadt) war nicht nur der Schlüssel, der den Autoren den Zugang zum Stoff verschaffte, er steht auch für die unmittelbare Wirkung des Films. Die Kombination von dokumentarischem Material und Spielszenen ist Schadt hier womöglich noch besser gelungen als bei seinem Kohl-Porträt, weil er die Affäre Wulff aus drei Perspektiven beleuchtet: Die Außenansicht der öffentlichen Auftritte, bei denen sich die Wulffs nichts anmerken lassen, wird konterkariert durch die Spielszenen, die buchstäblich hinter die Fassade blicken und beschreiben, welche emotionalen Folgen die Enthüllungen und Vorverurteilungen für den Politiker, aber auch für den Menschen Wulff haben; und natürlich auch für seine Frau (Anja Kling). Die dritte Ebene schließlich befasst sich in einer Vielzahl von Ausschnitten aus Nachrichtensendungen und Talkshows mit der Rolle der Medien, die im Bemühen, den keineswegs untadeligen, aber im Grunde eher ungeschickten Wulff zur Strecke zu bringen, eine regelrechte Hetzjagd veranstalteten.

Die inszenierten Passagen sind weitgehend frei von Spekulation, sämtliche Abläufe seien verbürgt, versichert Fleischhauer. Den Szenen ist der Vorsatz anzumerken, nicht indiskret zu werden und dem Paar nicht zu nahe zu treten; am intimsten ist noch ihre Bemerkung beim Frühstück, er habe Ei an der Lippe. Diese Haltung der Filmemacher ist höchst respektabel: Wulff mag dem Amt des Bundespräsidenten mit seiner Salamitaktik Schaden zugefügt haben, aber Schadt und Fleischhauer lassen ihm seine Würde.

Mindestens ebensoviel Respekt gebührt Sat.1. War die vor knapp einem Jahr ausgestrahlte Guttenberg-Satire "Der Minister" noch eine muntere Politposse, so ist das überaus stimmig besetzte Dokudrama "Der Rücktritt" ernstgemeint und ernst zu nehmen: als Fallstudie eines Paares in einer Extremsituation, als Lehrstück über das unaufhaltsame Ende einer Politikerkarriere sowie als Parabel über die Macht der Medien.