Sie haben einen Artikel auf theologiestudierende.de geschrieben, in dem Sie die Zukunft der sächsischen Landeskirche ziemlich düster zeichnen. Sie schreiben: "Die Gewissheit, dass ich mein Leben für diese Kirche investieren möchte, habe ich an diesem Tag verloren." Was ist da passiert?
Max Melzer: Ein netter Kommentar unter dem Artikel hat geschrieben: Ich hätte erwartet, dass du nicht "mein Leben" kursiv setzt, sondern "in dieser Kirche". Es ging nicht darum, grundsätzlich zu sagen, dass alles schlimm ist und dass es nicht wert ist, dafür zu arbeiten. Aber bei uns Studenten ist bisher nicht angekommen, dass die Kirche daran arbeitet, Zukunft zu gestalten und auf die veränderten Bedingungen einzugehen, die auf uns zukommen. Ich habe ein interessantes Referat gelesen von Werner Krusche, von 1975 mit dem Titel "Die große Aufgabe der kleiner werdenden Gemeinde: Konsequenzen für die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter".
Er hat vor fast 40 Jahren geschrieben: "Umfassende Überlegungen sind deshalb nötig, weil wir in großen Schritten aus einer immer noch quasi volkskirchlichen Situation, in der auf ganzen Strecken noch wie früher - nur mit reduzierten Zahlen - gearbeitet werden konnte, in eine Situation einwandern, in der der Auftrag Jesu Christi so nicht mehr zureichend wahrgenommen werden kann". Der Mann hat schon vor fast 40 Jahren gesagt, dass wir so, wie es momentan läuft, nicht mehr arbeiten können! Die Situation sehe ich auch ganz ähnlich, gerade in den ländlichen Regionen. Dafür, dass die Idee schon fast 40 Jahre alt ist, ist nicht viel passiert.
Was würden Sie sich denn wünschen, was passiert?
Melzer: Ich würde mir wünschen, dass es einen transparenten Gesprächsprozess gibt, in den die Nachwuchstheologen einbezogen werden. Es gibt ja Arbeitsgemeinschaften, die am Kirchenbild arbeiten und solche Sachen. Für mich als Student ist die Frage: Wie können wir sehen, was deren Überlegungen und Ergebnisse sind? Ich verstehe unter Transparenz, dass es zum Beispiel eine Internetseite gibt, auf der diese Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse offenlegen. Sonst haben wir ja nichts davon. Klar gibt es Leute, die darüber nachdenken, wie man weitermachen könnte, aber wenn davon bei uns nichts ankommt, machen wir uns natürlich Sorgen.
"Die Erwartung ist schon da, dass man in eine schwierige Situation kommt"
Wie lassen sich junge Theologinnen und Theologen motivieren, sich den Herausforderungen im Pfarrberuf dann noch zu stellen?
Melzer: Ich habe das Gefühl, dass die allermeisten Leute, die schon im Pfarramt drin sind, hochmotivierte Leute sind, denen die Kirche wirklich am Herzen liegt und die mit ihrem ganzen Wesen dafür arbeiten. Das sehe ich auch nicht verschwinden. Ich denke aber, es für uns im Nachwuchs, die mit offenen Erwartungen draufgucken, was uns im Pfarramt erwartet, wichtig ist, einen gewissen Rückhalt von der Kirchenleitung bekommen. Eine Zusage, dafür zu sorgen, dass das alles machbar bleibt. Pfarrer, die schon im Dienst sind, wollen meiner Erfahrung nach eher ihre Ruhe haben und dass die Kirchenleitung sich raushält.
Worüber sprechen Ihre Mitstudierenden, wenn sie über ihre eigene Zukunft als Pastorinnen und Pastoren reden? Was stellen sie sich vor?
Melzer: Es ist ein offenes Geheimnis, dass für Regionen, die sehr ländlich sind, mit sehr großen Einzugsgebieten und wenig Mitgliedern, nur schwer Bewerbungen von Pfarrern zu kriegen sind und diese deshalb vorrangig mit Berufseinsteigern besetzt werden. Die Erwartung ist schon da, dass man in eine schwierige Situation kommt, oder zumindest eine herausfordernde Situation, um die sich die Kollegen nicht reißen.
Glauben Sie, dass ihre Mitstudenten etwas Besseres erwarten, nachdem sie erstmal in so einer Landgemeinde landen? Oder finden sie sich von vornherein damit ab?
Melzer: Ich weiß nicht, ob man schon so sehr drauf guckt, wo man dann als nächstes hinkommt, oder dass es eine Art Kür ist, eine Stadtgemeinde zu bekommen. Das denke ich nicht. Es ist den Studenten schon klar, dass man sich mit der Situation arrangieren muss, dass das eine Herausforderung ist, aber auch, dass man selber viel gestalten kann. Es liegt ja wirklich in der Verantwortung jedes Einzelnen, dass man sich nicht übernimmt, seine Ressourcen einplant und einteilt. Es wird ja erst problematisch, wenn das System mit Ortsgemeinden und Pfarrern, die diese Ortsgemeinden versorgen und betreuen, langfristig nicht mehr funktioniert.
"Natürlich sind wir als evangelische Gemeinden trotzdem immer missionarische Gemeinden"
Könnte es nicht Aufgabe der Nachwuchspfarrer sein, die Gemeinden wieder zu vergrößern?
Melzer: Natürlich sind wir als evangelische Gemeinden trotzdem immer missionarische Gemeinden. Wir ziehen uns nicht zurück und sagen: "Jetzt sind wir nur noch ganz wenige, jetzt haben wir unsere Ruhe und gucken, wie wir klarkommen." Krusche hat geschrieben, dass wir immer "eine Hoffnung haben müssen, aber eine realistische Hoffnung". Und wenn wir sehen, dass die Zahlen zurückgehen, dann ist der Grund nicht, dass das christliche Abendland untergeht, sondern das sind einfach demographische Realitäten. An denen können wir vielleicht was ändern, na klar! Es ist immer schön, wenn Gemeinden wachsen, und es gibt ja auch Gemeinden, die wachsen. Aber wenn wir die großen Strukturzahlen sehen, lässt sich dieser Prozess, der seit 40 Jahren am Laufen ist, nicht mehr umkehren. Das muss man einfach ganz nüchtern sagen.
Wie müsste sich die Ausbildung verändern, um die Studierenden besser auf die vielfältigen Aufgaben in Gemeinden mit vielen Kirchen vorzubereiten?
Melzer: In diesem Punkt wird die Verantwortung gerne hin- und hergeschoben zwischen Kirche und Fakultäten. Die Fakultäten wollen hauptsächlich wissenschaftliche Ausbildung machen, die wollen gar nicht so viel Pfarramt da drin haben. Und die Kirchen sagen immer gern: "Liebe Fakultäten, wir bauen auf euch, dass ihr unsere Pfarrer möglichst gut vorbereitet auf die Pfarramtszukunft." Das hat Bischof Bohl in dem Gespräch, über das ich in dem Artikel geschrieben habe, auch gesagt. Da saß neben mir ein Professor der Systematischen Theologie, der mir zuflüsterte: "Die spinnen ja, die sollen sich mal um ihren eigenen Kram kümmern und wir kümmern uns um unseren Kram." Die einzige Schnittstelle sind die Praktischen Theologen, die stehen der Kirche relativ nah, waren auch oft selbst im Pfarramt. Da gibt es Anknüpfungspunkte, und in der Praktischen Theologie passiert viel, das aufs Pfarramt vorbereitet. Aber Kirche und Universitäten sollten mehr über die Intention des Theologiestudiums nachdenken. Da gibt es noch große Diskrepanzen.