Letztlich aber müssen auch die optisch eindrucksvollsten Serien durch ihre Geschichte überzeugen, und die ist ausgesprochen reizvoll: Ex-Agent Raymond Reddington, vom FBI seit zehn Jahren als Verräter gesucht, ist bereit, mit dem Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Sein Angebot ist die titelgebende "Blacklist": Er will korrupte Politiker, Spione und Terroristen ans Messer liefern, die das FBI gar nicht auf seiner Fahndungsliste hat, weil es von ihren Verbrechen bislang nichts wusste. Seine Bedingung: Er ist nur dann zur Zusammenarbeit bereit, wenn die junge Agentin Liz Keen als Kontaktperson fungiert.
Ein Charisma wie Hannibal the Cannibal
Die Konstellation erinnert naturgemäß an "Das Schweigen der Lämmer", zumal James Spader den Gangster ähnlich charismatisch anlegt wie einst Anthony Hopkins den gruseligen Hannibal Lecter. Auch Reddington ist seinen Mitspielern intellektuell weit überlegen und dem FBI stets mindestens zwei Schritte voraus. Der Reiz der Serie liegt daher nicht zuletzt in der Frage, was er mit seinem Angebot bezweckt, denn einen offensichtlichen Nutzen zieht er aus der Kooperation nicht; und selbstredend fragt man sich die ganze Zeit, auf welcher Seite er denn steht.
Spader, Kinostar der späten Achtziger, feierte vor zehn Jahren vor allem dank der TV-Serie "Boston Legal" ein triumphales Comeback. Obwohl Reddington mit seiner Mischung aus Süffisanz und Überheblichkeit eine alles andere als positive Figur ist, gelingt es dem Schauspieler, Sympathie für diesen Teufel zu wecken. Kein Wunder, dass Serienpartnerin Megan Boone da nicht ganz mithalten kann. Allerdings ist ihre Mädchenhaftigkeit auch Teil der Rolle, denn das attraktive Erscheinungsbild von Agentin Keen trägt entscheidend dazu bei, dass man sie leicht unterschätzt.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Und so bietet "The Blacklist" alles, was eine Serie braucht, damit man der nächsten Folge mit Ungeduld entgegensieht: eine Geschichte mit vielen Rätseln, eine gute Mischung aus gelungenen Action- und anspruchsvollen Dialogszenen sowie einen sehenswerten Hauptdarsteller. Dass man Spader gern zuhört, hat auch mit der Qualität seiner deutschen Stimme zu tun: Gesprochen wird er wie schon in "Boston Legal" und den meisten seiner Kinofilme von Benjamin Völz, einem der besten deutschen Synchronschauspieler, der auch Keanu Reeves und Matthew McConaughey spricht.