TV-Tipp des Tages: "Es ist alles in Ordnung" (ARD)

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TV-Tipp des Tages: "Es ist alles in Ordnung" (ARD)
TV-Tipp des Tages: "Es ist alles in Ordnung", 15. Januar, 20.15 Uhr im Ersten
Birgit ist zum zweiten Mal verheiratet. Ihre Angst, auch den zweiten Mann zu verlieren, lässt sie die Abgründe ignorieren, die sich hinter der makellosen Mittelstandsfassade der scheinbar intakten Familie verbergen.

Die Fernsehfilme des WDR beschäftigen sich regelmäßig mit jener Lebensphase, die sich so treffend mit "Unordnung und frühes Leid" überschreiben lässt. "Ihr könnt euch niemals sicher sein", "Keine Angst", im weiteren Sinn auch "Guten Morgen, Her Grothe", "Wut" und "Zivilcourage": Die Liste ist beeindruckend; und sie ist nicht mal vollständig. Die Filme erzählen von jungen Menschen, die aus dem Rahmen fallen und an Grenzen stoßen, die Gewalt begehen oder selbst Opfer von Gewalt werden. "Es ist alles in Ordnung" knüpft in jeder Hinsicht nahtlos an diese Tradition an: Die Geschichte ist ausgesprochen bedrückend, die Inszenierung ist von beeindruckender Dichte, die Darsteller sind herausragend. Das gilt vor allem für Sinje Irslinger. Nicole Weegmann ("Ihr könnt euch niemals sicher sein") führt die junge Schauspielerin in ihrer ersten Hauptrolle zu einer bemerkenswerten Leistung.

Der Selbstbetrug

Ähnlich wie bei Giuseppe Tornatores Familiendrama "Allen geht’s gut" (1990) steht der Titel "Es ist alles in Ordnung" zwar in krassem Gegensatz zur Realität der Handlung, ist aber trotzdem nicht sarkastisch gemeint: In beiden Fällen beschreibt der Euphemismus einen Selbstbetrug. In Weegmanns Film, der auf einem Drehbuch von Christina Ebelt und Ingo Haeb basiert, ist es die Mutter, die sich etwas vormacht: Birgit (Silke Bodenbender) ist zum zweiten Mal verheiratet. Ihre Angst, auch den zweiten Mann zu verlieren, lässt sie die Abgründe ignorieren, die sich hinter der makellosen Mittelstandsfassade der scheinbar intakten Familie verbergen: Birgits Tochter aus erster Ehe, die 13jährige Sarah (Irslinger), findet großen Gefallen daran, ihren Stiefvater Andreas (Mark Waschke) so lange zur Weißglut zu treiben, bis er ausrastet und seiner Wut ungezügelt freien Lauf lässt. Natürlich ist es erschütternd, wenn Andreas wie von Sinnen auf Sarah einprügelt, doch fast noch beklemmender ist Birgits Reaktion auf diese Eskalation der Gewalt: Sie macht den Staubsauger an, um die Schreie der Tochter zu übertönen. Die Tonspur, die Birgit in Stressmomenten ein ganz gemeines Pfeifen ins Ohr setzt, hat ohnehin ebenso wie die Bildgestaltung (Ngo The Chau) einen erheblichen Anteil an der Wirkung des Films.

Neben der Alltagsnähe vieler Szenen liegt die besondere Qualität des Drehbuchs im Verzicht auf eine klassische Konstellation: Keine der Figuren ist nur gut oder nur böse, keine bloß Täter oder bloß Opfer. Natürlich hat man Mitleid mit Sarah, aber Weegmann inszeniert sie auch als böses Mädchen, das genau weiß, wie es die Mutter manipulieren und Andreas provozieren kann. Auch die harmoniebedürftige Birgit ist eine tragische Figur, denn im Grunde will sie nur das Beste für ihre Familie. Ihre ständigen Versuche, gegenüber Nachbarn, Freunden und vor allem ihrer Mutter (Lisa Kreuzer) so zu tun, als sei alles bestens, sind eher menschlich als verachtenswert. Gleiches gilt für Andreas, dessen Persönlichkeit das Drehbuch noch differenzierter beschreibt. Beide, Bodenbender wie Waschke, verkörpern das Ehepaar ohnehin durchaus sympathisch, zumal Weegmann zunächst bloß andeutet, dass keineswegs alles in Ordnung ist: Andreas gibt sich alle Mühe, nicht bloß dem gemeinsamen Sohn, sondern auch Sarah ein guter Vater zu sein.

Bei Caemon van Erp, der Sarahs siebenjährigen Bruder spielt, kommt Weegmanns Gespür für junge und jüngste Darsteller womöglich noch besser zum Tragen: Der Junge agiert nicht minder glaubwürdig als die bei den Dreharbeiten 16 Jahre alte Sinje Irslinger. Kinder scheitern meist an der Herausforderung, ihre Dialoge so vorzutragen, dass sie nicht auswendig gelernt klingen, aber diese Hürde nimmt der kleine Caemon mit Bravour; auf diese Weise trägt auch er einen nicht unwichtigen Teil zur herausragenden Gesamtqualität des Films bei.