Die Ballade vom Bigamisten wird immer wieder gern erzählt. Oft ist der vermeintliche Antiheld dabei keineswegs ein amoralisches Scheusal, sondern zwei Frauen einfach mit gleicher Hingabe zugetan. Dass er ihnen identische Kosenamen gibt, etwa "Königin", und beide Töchter "Prinzessin" nennt, ist keineswegs infam, sondern aus purer Not geboren: So lassen sich auch in geistesabwesenden Momenten jene Missgeschickte vermeiden, die zwangsläufig zu intensiven Kreuzverhören führen würden. Irgendwann aber macht jeder mal einen Fehler; im Zeitalter der permanenten Erreichbarkeit ist das Risiko ohnehin viel größer. Zunächst wundert sich Agnes (Anna Loos) noch im Stillen, dass der Anrufer gleich wieder auflegt, als das mobile Telefon von Theo (Dietmar Bär) klingelt. Bewegt betrachtet sie das Familienfoto in seiner Brieftasche, die mit rausgefallen ist, als sie nach dem Telefon suchte. Doch dann entdeckt sie darunter eine zweite, fast identische Aufnahme; mit dem Unterschied, dass nicht sie und Tochter Melanie, sondern eine fremde Frau und ein fremdes Kind zu sehen sind. Weil Agnes außerdem auf eine Urlaubsadresse stößt, fädelt sie einen perfiden Plan ein und nötigt den Gatten, just dorthin in Ferien zu fahren, wo offenbar auch die schwedische Zweitfamilie den Sommer verbringt.
Herzinfarktgefahr
Spätestens jetzt nimmt Lothar Kurzawas Geschichte originelle Züge an. Boshafter noch als der Autor und sein Regisseur Kaspar Heidelbach aber ist Arno Steffen, denn dessen zunächst noch so gemütlich klingende Country-Musik treibt den armen Theo gnadenlos vor sich her: Unter enormer Herzinfarktgefahr hetzt der korpulente Fernfahrer von einem Urlaubsdomizil zum anderen, um gleich zwei Illusionen fröhlichen Familienglücks aufrecht zu erhalten. Prompt laufen sich die beiden Frauen in dem kleinen schwedischen Ort alsbald über den Weg. Gemeinsame Unternehmungen kann Theo unter Aufbietung allergrößter Kotzbrockigkeit verhindern, aber selbstredend kommt die Wahrheit schließlich trotzdem ans Licht. Und nicht nur diese: Der liebenswerte Bigamist war die ganze Zeit ein betrogener Betrüger.
Geschickt tänzeln Kurzawa, Heidelbach und der enorm gut aufgelegte Dietmar Bär auf dem schmalen Grat zwischen Comedy und Tragödie. Der Film beginnt als Komödie und verliert diese Leichtigkeit auch nicht, als es dramatisch zu werden droht. Natürlich ist die Trucker-Romantik ein bisschen lebensfremd; die Philosophie "Man muss der Zeit Zeit lassen" steht in krassem Gegensatz zum Fernfahreralltag. Aber eingefädelt ist das recht hübsch, wenn Theo zwischen Hamburg und Schweden hin und her pendelt, hier wie dort ein vorbildlicher Familienvater, dem der Beruf immer wieder die nötigen Notlügen eröffnet, hier wie dort das gleiche Auto, die gleichen Geschenke, sogar das identische Armdrücken mit dem jeweiligen Freund der Familie.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Motor der Handlung ist dennoch Gattin Agnes, deren Kalkül überraschenderweise nicht allein durch Lust auf Rache, sondern auch durch Liebe gespeist wird. Die beiden Frauen sind ohnehin nicht minder gut drauf, selbst wenn die Besetzung von Ingar Sigvardsdotter etwas einfallslos anmutet: Sie hat exakt die gleiche Rolle schon in einem "Tatort" aus Kiel gespielt ("Mann über Bord").