Die Filme aus der Samstagsreihe "Der Kommissar und das Meer" gehören dank Walter Sittler als deutschstämmigem Ermittler auf Gotland sowie einer Mischung aus hiesigem Know-how und skandinavischem Flair zu den reizvollsten Krimis im deutschen Fernsehen. In der neuen Folge ist endlich auch ein altes Manko beseitigt worden.
Weil die Sendeversion noch nicht fertig war, hat das ZDF für Vorschauzwecke zunächst eine noch nicht synchronisierte Fassung mit Untertiteln zur Verfügung gestellt. Sie offenbarte, dass sich Sittler vor der Kamera recht einsam fühlen muss: um ihn herum nichts als Schweden. Während in den ersten Filmen zumindest die Episodenhauptrollen mit deutschen Schauspielern besetzt worden sind, muss Sittler in der Folge "Der böse Mann" von den wenigen gemeinsamen Szenen mit Andy Gätjen (als Anders’ Assistent Wittberg) abgesehen ausschließlich mit Einheimischen vorlieb nehmen. Bislang war dies auch das große Manko der Reihe, weil es nur selten gelungen ist, einen atmosphärisch harmonischen Einklang zwischen den deutschen Originaldialogen und den synchronisierten Passagen herzustellen; im Gegensatz zu Sittler und etwaigen weiteren deutschen Darstellern klangen die Schweden künstlich. Davon ist in diesem Film nichts mehr zu hören: Die Dialoge sind wie aus einem Guss.
Zwei Rätsel
Darüber hinaus ist es umso bemerkenswerter, dass die Misstöne in der Vergangenheit die Gesamtqualität nicht nachhaltig beeinträchtigt haben: Die Filme waren regelmäßig eine ausgesprochen gelungene Melange aus hervorragendem deutschem Handwerk und skandinavischer Krimikunst (die kreativen Köpfe hinter der Kamera sind ausschließlich Deutsche). Das gilt auch für "Der böse Mann", zumal Autorin Martina Mouchot die Zuschauer mit Hilfe einer einzigen kurzen Einstellung in die Irre führt. Der Moment ist so beiläufig inszeniert (Regie: Anno Saul), dass man gar nicht auf die Idee kommt, die Information zu hinterfragen. Genau genommen gibt es sogar zwei Rätsel, aber das zweite wird auch als solches thematisiert: Lehrer Lundberg ist im Wald lebensgefährlich verletzt worden. Bei dem Täter handelt es sich offenbar um einen Jugendlichen, und da man zuvor Zeuge eines heftigen Streits zwischen Lundberg und seinem halbwüchsigen Sohn Rasmus wurde, scheint der Fall klar; erst recht, als der DNS-Test offenbart, dass das Opfer von einem nahen männlichen Verwandten überfallen worden ist. Aber Rasmus kommt als Täter nicht in Frage.
Nicht minder rätselhaft ist eine zweite Erzählebene: Vor über zehn Jahren ist die damals 14 Jahre alte Mia während eines von Lundberg beaufsichtigten Schulausflugs verschwunden. Für Lars Nordin, den Vater des Mädchens, stand stets außer Frage, dass Lundberg der Schuldige war. Johan Hedenberg verkörpert den Mann geradezu hingebungsvoll als Klischee des übellaunigen Schulhausmeisters; Nordin ist als vermeintliche Titelfigur die mit Abstand interessanteste Rolle des Films.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Der Schwede passt perfekt zu seiner Rolle, auch die anderen Darsteller sind sorgfältig und stimmig besetzt. Inhaltlich lebt der Film vor allem von der Undurchsichtigkeit der Geschichte, handwerklich von der Sorgfalt, mit der Saul und Kameramann Wedigo von Schultzendorff die oftmals suggestiven Bilder gestaltet haben. Aber der größte Reiz besteht in der Irreführung, die schon mit dem Titel beginnt.