Die Mutter der Waisen

Foto: epd/Christoph Püschner/Zeitenspiegel
Vor gut einem Jahr gründete die Journalistin Passy Mubalama (29, re.) in Goma (Kongo) ein Heim für Kinder.
Die Mutter der Waisen
Eine junge Frau gibt verlassenen Kindern im Kongo ein Zuhause
Die Petroleumlampe wirft warmes Licht auf die Kinder. Sie lauschen aufmerksam der Geschichte, die die zwölfjährigen Bahati erzählt. Es geht um eine Frau, die ihre Stieftochter töten will, und am Ende selbst ihr Leben lässt, während das Mädchen aus ihrer Falle entkommt.
28.12.2013
epd
Bettina Rühl

Die Kinder sitzen auf dem nackten Betonboden, manche im Schneidersitz oder mit den Beinen vor die Brust gezogen, nur einige der Jüngsten sind eingeschlafen. Bahatis Geschichte ist hart, aber kaum weniger brutal, als die Schicksale ihrer 18 jungen Zuhörer, die jetzt am Abend in diesem Holzhaus in der Stadt Goma im Osten des Kongo sitzen: Sie alle sind entweder Waisen, oder sie haben während der jüngsten Kämpfe die Spur ihrer Eltern verloren. "Viele von ihnen haben Schreckliches erlebt", erzählt die 29-jährige Passy Mubalama, die die Kinder bei sich aufnahm.

"Brigitte ist das Ergebnis einer Vergewaltigung"

"Dass sie überhaupt reden und Geschichten erzählen, ist bei vielen schon ein großer Erfolg. Wenn wir sie kennenlernen, reden manche erst einmal wochenlang überhaupt nicht." Mubalama fand die Kinder in den Flüchtlingslagern von Goma und brachte sie in das provisorische Heim. Jedes Mädchen und jeder Junge hat einen Schlafplatz, auch wenn sich immer mehrere Kinder ein Bett und eine Decke teilen. Ein schützendes Holzdach, Decken, Matratzen und die Gesellschaft anderer Kinder sind verglichen mit dem Camp fast paradiesische Verhältnisse. 

Die achtjährige Brigitte zum Beispiel, die jetzt mit angezogenen Knien an der Holzwand lehnt und lauscht, lebte ganz alleine in einem Flüchtlingslager, nachdem sie von ihrer Mutter verjagt worden war. "Brigitte ist das Ergebnis einer Vergewaltigung", sagt Mubalama. Die Mutter zog Brigitte alleine groß und nahm das Mädchen mit auf die Flucht, als im November 2012 in der Nähe ihres Heimatdorfes Kämpfe zwischen der Armee und der Rebellengruppe M23 eskalierten. 

In einem Lager in Goma, wo Hunderttausende andere Flüchtlinge leben, lernte Brigittes Mutter einen Mann kennen, der mit ihr eine Beziehung eingehen wollte. "Aber nur unter der Bedingung, dass das Mädchen verschwand", sagt Mubalama. Mit sieben Jahren musste Brigitte anfangen, sich allein durchzuschlagen. Sie kauerte sich in die Ecke eines riesigen Zeltes, in dem Dutzende Familien notdürftig Unterkunft fanden. Mubalama fiel das Mädchen auf. Als sie hörte, dass es wirklich allein war, nahm sie es mit.

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Mubalama ist im Hauptberuf Journalistin und deshalb häufig in den Lagern unterwegs, um über die Situation der Menschen zu berichten. "Mir taten diese Kinder unendlich leid", betont sie. "Ich sagte mir, dass ich etwas tun muss. Wir können nicht immer nur darauf warten, dass internationale Organisationen bei uns helfen". 

Inzwischen ist die M23-Miliz besiegt und hat einen Friedensvertrag unterzeichnet. Aber für die Region bedeutet das noch kein Ende der Kämpfe: Dutzende weitere Rebellen terrorisieren die Bevölkerung. Die bewaffneten Konflikte halten im Osten des Kongo seit Jahrzehnten an. Es geht um den Zugang zu wertvollen Rohstoffen. Es geht um Land und Macht.

Niemand kennt die Zahl der Kinder, die Waisen wurden oder den Kontakt zu ihren Eltern verloren haben. Als die Christin Mubalama vor gut einem Jahr beschloss, ein Heim für solche Kinder zu gründen hatte sie nur das kleine Haus, das einer von ihr gegründeten Hilfsorganisation für Frauen als Büro diente. Kurzerhand wurden die Schreibtische in die Ecke gerückt, damit auch die Kinder darin wohnen können. Für kongolesische Verhältnisse verdient die Journalistin nicht schlecht, sie muss aber auch ihre elf jüngeren Geschwister mit unterstützen.

Manchmal steht plötzlich jemand vor der Tür

"Ich bin anfangs von Tür zu Tür gegangen und habe um Spenden gebeten", erzählt Mubalama. Viele ihrer Freunde gaben und geben etwas. Wer kein Geld hat, spendet vielleicht einen Sack mit Holzkohle oder Maismehl. Andere unterstützen das Projekt auf andere Weise. Clovice Bachichoga etwa spielt mit den Kindern und übernachtet ab und zu bei ihnen, wie die ehrenamtliche Köchin Riziki Rusangisa. Die Kinder zwischen drei und vierzehn Jahren sehen in Bachichoga fast einen großen Bruder. Jetzt moderiert er in der quirligen Bande das abendliche Ritual des Geschichten-Erzählens. Jedes Kind darf etwas vortragen, das gerne möchte.

"Anfangs hatten wir noch nicht mal immer genug zu essen", erinnert sich Mubalama. Jetzt gibt es täglich drei Mahlzeiten. Und auch die Betten samt Matratzen kamen erst nach und nach in die Hütte, Kleidung wurde gebracht. Freunde und Bekannte spenden inzwischen regelmäßig Geld für Lebensmittel.

Am meisten aber freut sich Mubalama darüber, dass sie zehn Kinder wieder mit ihren Familien vereinen konnte. "Wir versuchen immer herauszufinden, ob noch Verwandte leben", sagt sie. Sie fragen Nachbarn im Flüchtlingslager, Menschen aus derselben Region. Und manchmal steht plötzlich jemand vor der Tür, der nach seinem Kind sucht und von dem Heim gehört hat. Nicht immer sind das die Eltern, manchmal Onkel oder Tante. Ob die angegebene Identität tatsächlich stimmt, wird gründlich überprüft, ehe Mubalama ein Kind aus der Hand gibt. Es ist immer ein glücklicher Moment, mit etwas Abschiedsschmerz gemischt.