Keine Pressefreiheit in Bangkok

Foto: Burinmas Kanchanothai
Wenige Tage vor dem Angriff auf Nick Nostitz hat ein Kollege dieses Foto von einem Einsatz des deutschen Fotoreportes während der Proteste am Demokratie Denkmal in Bangkok geschossen.
Keine Pressefreiheit in Bangkok
Regierungsgegner in Thailand bedrohen Journalisten, die kritisch über die Protestbewegung berichten. "Viele Journalisten haben Angst", sagt Sunai Phasuk, Vertreter der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Bangkok.
04.12.2013
Michael Lenz

"Nichts ist mehr, wie es war. Mein Leben hat sich radikal verändert. Es gibt für mich nur noch drei sichere Orte: mein Haus, Demonstrationen der Rothemden und der Klub der Auslandskorrespondenten in Thailand", beschreibt Nick Nostitz seine Lage seit dem Anschlag regierungsfeindlicher Demonstranten auf ihn.

###mehr-artikel###Als Fotoreporter hat Nostitz seit dem Militärputsch gegen Premierminister Thaksin Shinawatra im Jahr 2006 alle politischen Unruhen in Thailand begleitet und in zwei Büchern über die beiden verfeindeten politischen Lager der Gelbhemden und Rothemden dokumentiert. Auch bei den aktuellen Protesten von Regierungsgegnern der Bürgerbewegung für Demokratie (CMD) war der 45-jährige von Anfang an dabei. Bis zum 25. November. An diesem Tag nannte Chumpol Junsai, einer der Anführer der Proteste und ehemaliger Abgeordnete der Demokraten, in einer Rede vor Tausenden Demonstranten Nostitz einen Anhänger der regierungstreuen Vereinigten Front für Demokratie und gegen Diktatur, besser bekannt als Rothemden. Chumpol rief seine Anhänger auf, Nostitz "zu verjagen". Im Nu griffen Demonstranten Nostitz an, schlugen auf den Journalisten ein. "Gott sei Dank bin ich nicht zu Boden gegangen. Sie hätten mich zusammengetreten", sagt Nostitz. Das Eingreifen der Polizei verhinderte das schlimmste.

Hasskampagne im Internet

Der Vorfall wurde ausgerechnet von dem der Oppositionspartei der Demokraten und der Protestbewegung nahestehenden Blue Sky Channel live im Fernsehen übertragen. "Die konnten wohl nicht schnell genug das Signal kappen", sagt Nostitz grinsend. Damit konnten die Regierungsgegner den Angriff auf Nostitz nicht leugnen oder als infame Regierungspropaganda denunzieren. Zudem wurde die Hasskampagne gegen Nostitz im Internet fortgesetzt. Blue Sky Channel als auch regierungskritische soziale Onlinenetzwerke posteten Fotos von Nostitz auf ihren Webseiten. "Das wirft die Frage nach seiner Sicherheit auf", sagt Sunai Phasuk, Vertreter der internationalen Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) in Bangkok.

Die Demokraten sind Teil der Protestbewegung gegen das verhasste "Thaksin-Regime". Seit über zehn Tagen belagern und besetzen einige zehntausend regierungsfeindliche Demonstranten Ministerien, Stoßtrupps der Regierungsgegner fallen immer wieder in die Touristen- und Geschäftsviertel der Innenstadt ein. Suthep Thaugsuban, kompromissloser Anführer der Regierungsfeinde, fordert den Rücktritt von Premierministerin Yingluck Shinawatra, Schwester des nach einer Verurteilung wegen Korruption im Exil lebenden Thaksin, um Platz zu machen für eine "totale Demokratie" mit einer "Volksregierung" an der Spitze.

Kurze Protestpause


Für einige Tage werden aus Anlass des Geburtstags des Königs am 5. Dezember die Proteste abflauen. Gleich nach dem Burgfrieden wollen die Chefs von Armee, Marine und Luftwaffe über Wege aus der Krise beraten, während Suthep bereits die Fortsetzung der Proteste angekündigt hat. Die Rothemden, die sich bislang nicht haben zu Protestmärschen ihrerseits haben provozieren lassen, haben geschworen, einen Sturz von Yingluck nicht kampflos hinzunehmen. Eine mögliche Konfliktlösung Neuwahlen fürchtet Suthep wie der Teufel das Weihwasser. Denn auch der Rebell weiß, was die politischen Spatzen von Bangkoks Tempeldächern pfeifen: die bei allen Wahlen seit 2001 an  siegreiche Thaksin-Partei würde auch den nächsten Urnengang gewinnen.

Die Einschüchterung und Bedrohung von Journalisten gehört zur Strategie der Regierungsgegner. "Wer nicht zu Hundertprozent der Narrative der Protestbewegung folgt, wird als Feind angesehen", sagt Nostitz. Am 24. November führten Politiker der Demokraten Protestmärsche zu fünf vorgeblich regierungstreuen Fernsehsendern an, um sie zur Einstellung ihrer "einseitigen Berichterstattung" zu zwingen. Vor dem populären Sender Channel 3 zwangen die Demonstranten den Nachrichtensprecher Sorayuth Suttassanachinda eine Trillerpfeife – dem Symbol der Protestbewegung - zu blasen. Thailändische Fernsehreporter werden bei Livereportagen von Demonstranten mit grimmigen Gesichtern kontrolliert. "Viele Journalisten haben Angst und trauen sich kaum noch, kritisch zu berichten", weiss Sunai Phasuk, Mitarbeiter der HRW in Thailand.

Während der blutigen Niederschlagung der Proteste der Rothemden im Mai 2010 kamen zwei Reporter ums Leben. Nach dem Ende der Proteste zettelte die damalige Regierung der Demokraten unter Premier Abhisit Vejjajiva  eine Kampagne gegen den CNN-Korrespondenten Dan Rivers an, die erste endete, nachdem Rivers das Land verlassen hatte. Die BBC-Journalist und zeitweilige Vizepräsident des Klubs der Auslandsjournalisten Jonathan Head wurde mehrfach der Majestätsbeleidigung beschuldigt. Das Gesetz gegen Majestätsbeleidigung wird im Inland vor allem gegen kritische Webseiten eingesetzt. Chiranuch Premchaiporn, Webmeisterin der Nachrichtenseite Prachatai, wurde am zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, weil sie nicht schnell genug einen angeblich majestätsbeleidigenden Kommentar eines User zu einem Artikel entfernt hatte.

Vom Interview zum Verhör

Nostitz ist seit vielen Jahren im Visier der Bewegung der Gelbhemden, wie der Autor dieser Zeilen aus eigener Erfahrung weiß. 2008 hatten die Gelbhemden fast drei Monate den Amtssitz des Premierministers besetzt. Im Protestcamp der Besetzer war ich zum Interview mit einigen ihrer Anführer verabredet. Unversehens fand ich mich aber in der Rolle des Befragten wieder. Ob ich Nostitz kenne, wo er wohnt, wie man seiner habhaft werden könnte, wollte man wissen.

Mit großer Sorge sehen Journalistenvereinigungen die Einschüchterungsversuche und Gewaltdrohungen gegen die Medien. In einer gemeinsamen Erklärung verurteilten die Thai Journalists Association, die Broadcast Journalists Association und das News Broadcasting Council of Thailand diese Aktionen als Bedrohung der Pressefreiheit und forderten die Führer der Protestbewegung auf, die "Einschüchterungstaktik zu beenden". Der Klub der Auslandskorrespondenten in Thailand (FCCT) verlangte eine "eindeutige und öffentliche Erklärung, dass die Rechte der Journalisten, egal ob Ausländer oder Thai, respektiert werden".

Die Regierungskritiker haben inzwischen eine Entschuldigung für den Anschlag auf Nostitz veröffentlicht. Allerdings wurden in der Erklärung "Namen der CMD-Führung" die Anschuldigungen gegen Nostitz bekräftigt. "Trotz der Tatsache, dass die Demonstranten Herrn Nostitz als bekannten Unterstützer der Regierung erkannt hatten, der seit langem das von Journalisten erwartete Prinzip der Objektivität verlassen hat, rechtfertigt das nicht den Gebrauch einer wie auch immer gearteten Gewalt und wir entschuldigen uns ohne Vorbehalte bei Herrn Nostitz." Respekt vor der Pressefreiheit sieht anders aus.