Es beginnt mit einer Kurzlesung aus dem Kinderbuchklassiker "Momo" und einer Suite von Bach, vorgetragen von einer Bratschistin. Im Publikum sitzen viele Frauen mit kurzem und viele Männer mit langem Haar. Die Kleidung ist allgemein leger, teilweise sogar exzentrisch – so hat sich ein älterer Herr mit Spitzbart für eine Kombination aus violetter Hose, violettem Hemd und wollener Zipfelmütze entschieden. Knapp 100 Zuhörer sind an diesem Samstag ins Dortmunder Reinoldinum gekommen, um Repräsentanten von Christentum, Judentum, Islam und Philosophie zum Thema "Fällt Gerechtigkeit vom Himmel?" sprechen zu hören.
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Auch Elisabeth Stiefel (84) und ihre Tochter Almuth Stiefel (54) sitzen im Publikum; beide verorten sich politisch eher links von der Mitte. Elisabeth Stiefel, Volkswirtin in Rente, beschreibt ihre Erwartungen an die Veranstaltung so: "Mich interessiert, wie die verschiedenen Religionen zur Macht der Märkte und dem allgemeinen Mangel an Gerechtigkeit stehen." Und ihre Tochter Almuth, eine Pädagogin, hofft, etwas über konkrete Konzepte zu hören, mit denen man diesen Mangel beseitigen kann.
Hilfe zur Selbsthilfe statt Almosen
Der erste Referent, Abraham de Wolf, weist als Vorsitzender von "Torat Hakalkala", einem Verein zur Förderung angewandter jüdischer Wirtschafts- und Sozialethik, zunächst darauf hin, dass das hebräische Wort für Gerechtigkeit – Zedaka – im Deutschen gleichzeitig für Wohltätigkeit stehe. Mit dieser Wohltätigkeit allerdings seien keine Almosen für Arme gemeint. Vielmehr solle sie darauf abzielen, den Bedürftigen "Hilfe zur Selbsthilfe" zu leisten. Nur so hätten diese die Gelegenheit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten wiederum anderen zu helfen und so ihre Würde zu bewahren und ein Teil der Gemeinschaft zu bleiben: "Und diese Art der Inklusion fehlt mir in der Diskussion um Hartz IV." Außerdem betont er, dass es im Judentum verpönt sei, Bedürftigen einen Kredit zu gewähren und diesen dann mit Zinsen zu belegen: "Bei Reichen ist das ausdrücklich erlaubt, nicht aber bei Armen."
Pater Klaus Mertes, Direktor des Kollegs St. Blasien, greift diesen Gedanken in seinem Vortrag auf. Auch im katholischen Christentum werde zwischen dem relativen und dem absoluten Zinsverbot unterschieden: "Zwar gibt es eine Grundskepsis, aber es gibt kein prinzipielles Verbot." Nur die Bedürftigen müssten in jedem Fall davon ausgenommen bleiben. Aber auch wenn Zinsen ansonsten erlaubt seien, sei die diesbezügliche Entwicklung der Weltwirtschaft bedenklich, da "die Macht über den Kredit, dem Lebenselement des Marktes, in immer weniger Händen gebündelt wird". Im Übrigen sei es verwerflich, dass "der Dienst am Mammon" in vielen Teilen der Gesellschaft mittlerweile einen höheren Stellenwert habe als "der Dienst an Gott". Denn vor allem wegen dieses ständigen Strebens nach Geldvermehrung gebe es überhaupt Bedürftige: "Mammon ist der Gott der Unterwelt und Gold ist der Dreck der Hölle."
Die Überhöhung des Geldes prangert auch Jean-Luc Karleskind, Vizepräsident des Shoura, des Zentralrats der Muslime in Luxemburg, an. In diesem Zusammenhang berichtet er von einer Begegnung mit dem Sultan von Brunei: "Der hat 7000 Autos!" Im Islam, betont er, sei es eigentlich verboten, "Reichtum zusammenzuscharren, nur um ihn zu mehren". Außerdem gelte für Muslime das Gebot Zakat: "Das ist eine Art sozialer Pflichtabgabe, die dazu dient, das eigene Vermögen zu reinigen. Und dieses Geben ist genauso wichtig, wie das Beten." Trotzdem kämen viele Muslime dem nur unzureichend nach. Ebenfalls verwerflich seien die Methoden, die islamische Banken entwickelt haben, um das absolute Zinsverbot für Muslime zu umgehen: "So kaufen sie beispielsweise für den späteren Eigentümer ein Haus. Der kauft es dann mit monatlichen Raten zurück. Die aber sind insgesamt viel höher, als der ursprüngliche Kaufpreis."
"Die Befreiung von der Geldgier hat eine spirituelle Dimension"
Pfarrer Marco Sorg, Dozent am Pädagogischen Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen, weist darauf hin, dass Martin Luther Zinsen nicht grundsätzlich abgelehnt habe: "Vier bis sechs Prozent hielt er durchaus für angemessen. Aber Wucher, den hielt er für unangemessen." Dann führt er "die drei Orientierungen der evangelischen Wirtschaftsethik" aus. Die konservative Wirtschaftsethik stehe für eine liberale Marktwirtschaft, in der jeder Einzelne seine soziale Verantwortung wahrzunehmen habe. Die reformorientierte Wirtschaftsethik sei hingegen an der sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet und stelle die Wirtschaft in den Dienst des Lebens, auch durch ethisch nachhaltige Geldanlagen. Und die prophetische Wirtschaftsethik schließlich, lehne den neoliberalen Kapitalismus ab und strebe eine Gemeinwohl-Ökonomie an. Egal welcher dieser Orientierungen man auch anhänge, man sollte sich immer vergegenwärtigen: "Die Befreiung von der Geldgier hat eine spirituelle Dimension."
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Daniela Mahr, Philosophin und Projektleiterin des Filmfestivals "Reflecta", zitiert einen ähnlichen Gedanken von Arthur Schopenhauer: "Geld ist wie Meerwasser, je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man." Dann zeigt sie ein Interview, in dem der Regisseur des Dokumentarfilms "Let’s Make Money", Erwin Wagenhofer, die Ungerechtigkeit des vorherrschenden Wirtschaftssystems kritisiert: Im Zentrum stehe nur noch der Profit und nicht mehr der Mensch. Trotz stetigen Wachstums komme bei diesem nichts davon an. Die Schuld dafür gibt er aber nicht nur der Wirtschaft selbst, sondern auch der Politik. Erst durch die neoliberale Deregulierung der vergangenen Jahrzehnte sei das Chaos ausgebrochen.
Wo sind alternative Wirtschaftskonzepte?
Elisabeth und Almuth Stiefel hat dieser Filmausschnitt, mit dem die rund vierstündige Vortragsreihe schließt, gefallen. Sie finden beide, dass er das Thema des Kongresses "Macht Geld Sinn" gut auf den Punkt gebracht hat. Diese Konzentration auf das Wesentliche, haben sie beim Rest der Veranstaltung jedoch vermisst. Almuth Stiefel: "Das war alles etwas zu beliebig, nicht fokussiert genug." Und Elisabeth Stiefel ergänzt: "Ich hätte gerne etwas über alternative Ökonomiekonzepte gehört. Auch aus verschiedenen Richtungen – etwa dem Feminismus."
Tom Aslan (32), Gründer von "Global Change Now", ein Verein, der den Kongress zusammen mit dem Initiativkreis "9,5 Thesen", ausgerichtet hat, kann diese Kritik verstehen. Er betont aber auch: "Bei den sieben bisherigen Macht-Geld-Sinn-Kongressen haben wir den Schwerpunkt immer auf die Themen Geld und Macht gelegt. Diesmal haben wir versucht, das Thema Sinn zu betonen und deshalb bewusst den Dialog zwischen den Religionen herausgestellt."