"Die Zukunft ist hier in Deutschland"

Deutschunterricht in der Gutleutkirche
Foto: Nina Flauaus
"Wie sport ist es?" - Deutschunterricht für die Fortgeschrittenen in der Gutleutkirche
"Die Zukunft ist hier in Deutschland"
22 afrikanischen Flüchtlingen bietet die Evangelische Kirche in Frankfurt ein Dach über dem Kopf. Wie lange sie in der Gutleutkirche bleiben werden, ist unklar. Langsam beginnt dort eine Art Alltagsleben. Dazu gehört auch der Deutschunterricht.
21.11.2013
evangelisch.de
Dominik Speck

"Hey, Chef", begrüßen die Schüler ihren Deutschlehrer. Die Schüler, das sind fünf afrikanische Flüchtlinge zwischen 20 und 45 Jahren. Der Lehrer: Uli Tomaschowski, ein Ehrenamtlicher. Der Klassenraum: Der Eingangsbereich der Frankfurter Gutleutkirche, hier stehen ein Fernseher, eine Bank und ein Sofa.

Lehrer Uli Tomaschowski von "Teachers on the Road"

Es ist eine der ersten Deutschstunden für die Flüchtlinge aus Ländern wie Nigeria, der Elfenbeinküste oder Ghana, unterrichtet wird auf Englisch. Heute geht es um Uhrzeiten. "Wie spät ist es?", fragt Tomaschowski seine Schüler. Das "Sch" bereitet ihnen Probleme, "Sport" und "spät" müssen immer wieder im Chor wiederholt werden, bis einer ganz durcheinander kommt: "Wie sport ist es?", fragt er.

Auch das "ch" ist schwierig, Tomaschowski korrigiert: "Nicht fünf nack ackt, sondern fünf nach acht." Wenn einem Schüler ein deutscher Satz besonders gut gelingt, zeichnet Tomaschowski eine Sonne auf die Rückseite der alten Filmplakate, die ihm als Tafel dienen. Macht jemand sichtbare Fortschritte, malt er noch eine Sonnenbrille dazu.

Die 22 Männer aus Afrika lebten bis vor drei Wochen noch unter einer Brücke am Main. Ola Oluokun, seit längerem in Deutschland lebender Nigerianer, setzte sich für sie ein, bat Kirchengemeinden um Unterstützung. Die Cantate Domino-Gemeinde im Frankfurter Nordwesten erklärte sich bereit, nahm die Männer auf, besorgte das Nötigste. Doch die Cantate Domino-Kirche erwies sich als ungeeignet, eine bessere Bleibe musste gefunden werden, mit mehr Platz und Privatsphäre. Der Evangelische Regionalverband stellte die entwidmete Gutleutkirche zur Verfügung.

Aus der Sakristei wurde ein Einzelzimmer

Seit vergangenem Mittwoch leben die Flüchtlinge in dem dunklen Nachkriegsbau in der Nähe des Frankfurter Hauptbahnhofs. Holzwände trennen die einzelnen "Zimmer" voneinander, hier wohnen sie zu zweit oder dritt, im Kirchenschiff, im Altarraum oder auch auf der Empore.

Die Eingänge der Zimmer sind mit Decken oder Schlafsäcken verhängt. An den Wänden stehen Zimmernummern, manchmal auch die Namen, auf einem Bett liegt ein Reclam-Heft. Die Sakristei wurde zum Einzelzimmer umfunktioniert, in der ehemaligen Küche der Kirche stehen zwei kleine Herdplatten auf dem Boden. Bald soll hier wieder eine echte Küchenzeile stehen, Ehrenamtliche organisieren das.

Im Obergeschoss der Kirche befindet sich das Obdachlosencafé der Hoffnungsgemeinde, in dem die Männer täglich eine warme Mahlzeit bekommen können. Helfer aus verschiedenen Kirchengemeinden, von der Frankfurter Tafel oder auch Occupy-Aktivisten kümmern sich um die Afrikaner und versuchen, eine Art Alltagsleben in der Gutleutkirche zu organisieren.

50 Helfer meldeten sich allein zum Unterrichten

Helfer wie Uli Tomaschowski, der bei "Teachers on the Road" mitarbeitet, einem Netzwerk, das in Rheinland-Pfalz und Hessen Flüchtlinge unterrichtet. "Normalerweise gehen wir in die Flüchtlingsheime", sagt der 42-Jährige, der als Nachhilfelehrer in einer Jugendhilfeeinrichtung für minderjährige Flüchtlinge arbeitet. Nun hat "Teachers on the Road" auch den Unterricht für die 22 Flüchtlinge in der Gutleutkirche übernommen, über das Internet suchte Tomaschowski nach Helfern. Vor denen kann er sich mittlerweile kaum mehr retten: "Bis jetzt haben sich 50 Leute gemeldet, die mitmachen wollen", sagt er.

Der Taufstein der Gutleutkirche wirkt zwischen den Sperrholzwänden ein bisschen verloren...

Viele seien Lehrer oder Pädagogen, andere hätten selbst einen Migrationshintergrund und setzten sich deshalb für die Afrikaner ein. Es gibt zwei Alphabetisierungskurse für die Flüchtlinge, die noch nicht lesen und schreiben können, einen auf Französisch, einen auf Englisch, und verschiedene Unterrichtsstunden über den Tag verteilt, von Montag bis Freitag.

Dass er nie genau vorhersehen kann, wie viele Schüler zum Unterricht kommen und welche Lernfortschritte tatsächlich erreicht werden, scheint Tomaschowski nicht zu stören. An diesem Mittwoch fängt er eine halbe Stunde später an als geplant, will noch warten, doch kaum jemand kommt noch. "Die anderen sind in der Stadt, Tee trinken oder duschen", sagt Tafeeq aus Nigeria.

"Das ist aber schön geworden hier"

Die Flüchtlinge hoffen darauf, in Deutschland bleiben zu können, mit Arbeitsgenehmigung. "Ich habe 12 Jahre in Italien gelebt, zuerst in guten Verhältnissen. Doch dann wurde ich arbeitslos", sagt Tafeeq. "Deutschland ist das beste Land in Europa, hier will ich bleiben". Der 45-Jährige kam ohne Geld hier an. "Deutsch ist leichter für mich zu lernen als Italienisch", sagt er. Bill Stephen aus Ghana schließt sich ihm an: "Die Zukunft ist hier in Deutschland", sagt der 22-Jährige, der in Italien als Techniker gearbeitet hat.

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Wie Bill und Tafeeq haben viele der 22 Männer mehrere Jahre in Italien oder Spanien gelebt, bevor sie nach Deutschland kamen. Ob ihre Zukunft tatsächlich in Deutschland liegt, ist noch völlig unklar. Hier dürfen sie sich eigentlich nur wenige Monate aufhalten, als Touristen. Dauerhaft bleiben dürfen sie nicht, ganz zu schweigen von einer Arbeitsgenehmigung. Auch wie lange sie noch in der Gutleutkirche bleiben und auf die Gastfreundschaft und Solidarität der zahlreichen Helfer angewiesen sein werden, steht in den Sternen.

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Nach einer kurzen Pause geht der Deutschunterricht weiter, jetzt sind noch drei Flüchtlinge da. Sie scheinen motiviert, erzählen auf Deutsch von früher. Da ist ein Nigerianer, der seinen Namen nicht verraten will. "Ich habe in Italien viele deutsche Touristen gesehen und so auch die Sprache aufgeschnappt", sagt er. "Ich habe zwei Kinder, eine Tochter und einen Sohn, fünf und sieben Jahre alt, die sind noch in Nigeria bei meiner Frau." Seit zwei Jahren habe er sie nicht mehr gesehen. "Wir können nur telefonieren".

Ungestörter Unterricht ist in der Kirche kaum möglich. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen, die helfen wollen. Eine Frau kommt vorbei: "Das ist aber schön geworden hier", sagt sie. "Ich dachte, hier liegen jetzt lauter Matratzen." Fünf Minuten später ist sie wieder da, bringt einen Rucksack voller Äpfel. "Den Rucksack könnt ihr auch gerne behalten."

Manche stört der Trubel

Später bringt eine Frau Säcke voller Kleidung herbei. Dann ist der Koch des Obdachlosencafés da, will wissen, wie viele zum Mittagessen kommen, sichtlich verärgert, weil nicht immer alle 22 Flüchtlinge mitessen und er nicht genau planen kann, wie viele Portionen er einkalkulieren muss. "Um 13.30 Uhr sollen die Muslime kommen, danach die anderen", bittet er Tomaschowski zu übersetzen.

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Auch die Presse war schon öfters da, Kamerateams und Fotografen. Manche Flüchtlinge stört der Trubel, sie wollten doch eigentlich nur ein Dach über dem Kopf und Arbeit finden. Der Nigerianer, der vorher noch bereitwillig von seiner Frau und seinen Kindern erzählt hat, will jetzt nicht mehr mit uns reden. Er ärgert sich lautstark darüber, dass alle Flüchtlinge ihre Schuhgröße an die Helfer weitergeben sollen, die die Sachspenden koordinieren. Er fühlt sich offensichtlich bevormundet.

Lampedusa in Frankfurt: Das stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen, ist anstrengend und manchmal ernüchternd. Lehrer Uli Tomaschowski bleibt trotzdem gut gelaunt. "Ich bin heute Mittag wieder zurück, sagt den anderen: Die Muslime sollen schon um halb zwei zum Essen kommen", verabschiedet er sich.