Andreas, Du bist ein "Schwellenmensch": Allein schon durch Deinen Job bist Du ständig mit Kirchenthemen beschäftigt. Aber die Hälfte deiner Familie und die meisten deiner Freunde haben nichts mit Kirche zu tun, wie Du sagst. Wie wird die Kirche von Kirchenfernen wahrgenommen?
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Andreas Roth: Wenn meine Freunde zufällig mal in eine Kirche geraten, fühlen sie sich oft fremd. Ein Grund dafür ist für sie die abgeschlossene Insider-Sprache, die Wortwahl, die Codes. Sie erleben oft eine Kerngemeinde, die sich wenig bemüht, durchlässig zu sein auch für andere biografische Zugänge.
Die Leute unter vierzig – unsere Generation – sind in Kirche und Gemeinde nur noch sehr vereinzelt aktiv. Woran liegt das Deiner Ansicht nach?
Roth: Auf junge Leute, gerade auf junge Intellektuelle, wirkt Kirche oft angestaubt und konservativ. Wenn sie sich gesellschaftlich engagieren wollen, gehen sie lieber zu Greenpeace oder anderen NGOs – die finden sie professioneller und konfliktfähiger. Kirche wirkt auf suchende junge Leute oft betulich nett, aber vermittelt ihnen auch den Eindruck: "Hier finde ich keine Ansprechpartner für meine großen Fragen." Aus ihrer Sicht legen die Gemeinden oder Kirchen oft viel zu klare Schablonen vor: "So sieht der Weg zu Gott aus! Wir machen euch das freundliche Angebot, euch anzupassen!"
Was sicher selten so deutlich gesagt wird.
Roth: Das wird verpackt in peppige missionarische Aktivitäten oder in einen Gestus von Nächstenliebe und Demut, hinter dem sich mitunter nur gut getarnte Arroganz verbirgt. Mich schmerzt diese Selbstbezüglichkeit vieler Kircheninsider – nach der Devise: "Wenn alle so wären wie wir, dann wäre die Welt in Ordnung!" Ich glaube, was das Christentum in Mitteleuropa heute nötig hat, sind authentische, glaubwürdige Leute, die das auch leben, wovon sie sprechen, und vor allem nach außen gehen! Leute mit Charisma! Käuze im positiven Sinn.
Gar nicht so einfach, diesen Bedarf zu stillen.
Roth: Ich frage mich das oft selbst: Wie schaffe ich es, ohne viele Worte – einfach durch mein Handeln, meine Ausstrahlung – Botschafter von Jesus Christus zu sein? Das gelingt mir sicher selbst meist nicht. Da einen guten Weg zu finden – das ist aus meiner Sicht die größte Herausforderung für die Kirche der Zukunft! Und die fängt bei mir selbst an. Also lieber erstmal sich selbst kritisch prüfen und den anderen zuhören. In unserer Kirche gibt es zuviele, die ständig senden, aber nur selten empfangen.
"In kleinen, ungeplante Gesprächen über existenzielle Fragen ist der Heilige Geist anwesend!"
"Keiner fragt. Theologen antworten."
Roth: Genau! Alles hängt an der Person: Wenn keine Nähe entsteht, wird man auch mit tollen Missions- oder Milieukonzepten nicht viel reißen können. Ich denke da zum Beispiel an einen Pfarrer im Erzgebirge. Der engagiert sich für Arbeitslose, geht zu ihnen hin, trinkt mit ihnen Kaffee. Er spricht mit den Leuten in ihrer Sprache, hört ihnen zu, interessiert sich für sie und ihr Anliegen.
Also weg von der Lautsprecher-Kirche hin zur zuhörenden Kirche?
Roth: Ja. Wir werden die Leute jenseits der Kerngemeinde nicht durch Reformpakete erreichen. Eher durch kleine, ungeplante Gespräche über existenzielle Fragen. In solchen informellen Gesprächen ist der Heilige Geist anwesend! Und dafür kann die Institution Kirche ihre Leute bereit machen.
Manche Debatte, die Kircheninsider untereinander führen – beispielsweise über die Anerkennung gleichgeschlechtlich Liebender – sorgt bei urbanen Kirchengliedern nur für Kopfschütteln. Nicht wenige fragen sich: "Kann eine Kirche, die damit ein Problem hat, noch meine Kirche sein?"
###mehr-artikel### Roth: In der Tat: Unsere sächsische Landeskirche hat über diese Frage 2012 intensiv und teils sehr emotional diskutiert. Bei diesem Reizthema gibt es ganz viel Angst und Verunsicherung. Ich finde, das muss man ernstnehmen und darf es nicht einfach als "von gestern" abtun. Letztendlich steckt ja dahinter die Frage: Wie geht der einzelne Mensch mit dem Kern des Evangeliums und dem Pluralismus der Moderne um?
Die sächsische Kirchenzeitung "Der Sonntag" hat in dieser heißen Debatte eine wichtige Vermittlerrolle eingenommen. Wie sah die aus?
Roth: Wir Redakteure wollten den Konflikt nicht unter den Teppich kehren, sondern ihn abbilden – in allen Facetten. Wir haben uns bemüht, alle Standpunkte redlich darzustellen und auch die Wissenschaft zu Wort kommen zu lassen.
Und Ihr habt die Kirchenleitung ermutigt, rauszugehen ins Land und direkt mit den Leuten an der Basis zu reden.
Roth: Ja, unsere Redaktion hat fünf Podiumsdiskussionen veranstaltet, in verschiedenen Teilen Sachsens. Da konnte sich der Druck etwas entladen. Die Leute bekamen so das Gefühl: "Wir werden gehört."
"Wir sind unkenntlich geworden. Wir verschweigen schamhaft unseren Glaubenskern"
Was könnten andere Kirchen in dieser heiß debattierten Frage von Euren Erfahrungen in Sachsen lernen?
Roth: Woran es mangelt, ist wirklicher Austausch. Die Vorurteile bröckeln, wenn wir einander begegnen, uns gegenseitig zuhören. Ich selbst kam aus solchen Gesprächen fast immer beschenkt heraus. Wenn es um konkrete Menschen geht, die man kennt und schätzt, wenn Betroffene und ihre Angehörigen selbst zu Wort kommen, dann verliert die Diskussion schnell ihre Härte. Fanatisch sind die wenigsten.
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Es ist ganz wichtig, dem anderen zu unterstellen, dass auch er den christlichen Glauben ernstnimmt. Das Schlimmste ist immer, wenn man sich das gegenseitig abspricht. Kein Mensch hat das Recht, Absolutheiten zu verkünden. Wir alle müssen uns klarmachen, dass unsere Sichtweise – auch unsere Sicht auf die Bibel – von unserer jeweiligen Lebenswelt und Biografie geprägt ist. Und dass uns in dem Anderen, den wir gerade verbal verletzen, möglicherweise Jesus Christus begegnet!
Für den Journalismus sind solche Debatten natürlich goldene Zeiten. Was ist denn – generell gefragt – die Aufgabe von Kirchenjournalisten heute?
Roth: Sie sollen Konflikte offenlegen. Das, was weh tut, klar benennen. Sie sollen hinterfragen, produktive Unruhe in die verfasste Religion hineinbringen! Die Unabgeschlossenheit wachhalten, an den "flackernden Dornbusch" erinnern! Da fehlt mir übrigens im deutschen Protestantismus ein diskursives Medium – Print oder Online – das sich nicht scheut, aktuelle Debatten aufzugreifen.
Aus deiner Sicht als Journalist und Protestant: Wie steht es um die evangelische Publizistik?
Was könnte das für die evangelische Publizistik konkret bedeuten?
Roth: Die Kollegen und auch wir schreiben z. B. viel über Sozialpolitik und über Rechtextremismus. Das ist gut, für diese Themen mache auch ich mich stark. Aber es ist wichtig, dass wir zugleich gut verständlich auf den evangelischen Kern reflektieren. Wenn wir mit einem Bischof über die Novelle eines Sozialgesetzes reden, sollten wir ihn immer auch fragen: "Können Sie mal in wenigen Worten theologisch begründen, warum das der Kirche ein wichtiges Anliegen ist? Und zwar so, dass die Leute es auch verstehen?" Unsere evangelische Publizistik meidet oft die theologische Dimension. Sie will möglichst niederschwellig sein und keine Angriffsflächen bieten. Aber meine Erfahrung ist, dass gerade auch kirchenferne Leute wissen wollen: "Warum sagt die Kirche das?"
Der neue Papst Franziskus redet ja sehr theologisch – und trotzdem wird das in Ausschnitten gesendet.
Roth: Auch wir Evangelischen dürfen mehr Theologie wagen! Die theologische Dimension mitzuliefern ist harte Arbeit. Wenn wir evangelischen Journalisten das nicht tun, haben wir die Zuschüsse der Kirche nicht verdient.