Roma in Deutschland: "Immer wieder Vertrauen neu aufbauen"

Foto: epd-bild / Frauke Stärk
Sportunterricht in der Schule des Kölner Kulturzentrum Rom e.V. Gestartet ist die Schule als Reaktion auf öffentliche Empörung über Taschendiebstähle von Roma-Jugendlichen in der Kölner Innenstadt.
Roma in Deutschland: "Immer wieder Vertrauen neu aufbauen"
Von in Deutschland lebenden Roma wird oft ein einseitiges Bild gezeichnet. Zu Unrecht, findet Pfarrer Rafael Nikodemus, Dezernent für Ökumene, Mission, Religionen bei der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR). Die Kirche müsse Zuwanderern in Not beistehen und Stigmatisierungen entgegentreten. Nikodemus macht auch darauf aufmerksam, dass Zuwanderung gebraucht werde und knapp drei Viertel der Rumänien und Bulgarien bei uns in Arbeit seien.

Herr Nikodemus, "Problemhäuser" in Duisburg, Ausbeutung auf dem "Arbeiterstrich" in Dortmund, wachsende soziale Spannungen in prekären Stadtvierteln mit hohem Migrantenanteil - das sind von Medien vermittelte Bilder, die die Zuwanderung von Menschen aus den EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien begleiten. Ist dies das ganze Bild?

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Rafael Nikodemus: Nein, das ist sicherlich nicht die ganze Wirklichkeit. Es fehlen die Bilder von den Menschen, die sich gemeinsam auf den Weg machen, die schwierige soziale und humanitäre Situation zu verändern. Es gibt Bündnisse in Duisburg oder auch in Köln, Initiativen, Runde Tische, die, mit den Betroffenen versuchen, Handlungsansätze zu entwickeln und umzusetzen.

Sie leben in Duisburg und waren als Pfarrer der Duisburger Gemeinde Ruhrort-Beeck tätig, also sehr nah an den aktuellen sozialen Brennpunkten. Welche Beobachtungen haben Sie am meisten er- oder entmutigt?

Nikodemus: Mich hat immer wieder erstaunt, mit wie wenig Aufwand etwas erreicht werden kann, indem ich auf Menschen zugehe, damit verständnisvolle Begegnungen entstehen können. Ich habe aber auch immer wieder erfahren, dass es eben auch eine furchtbar große Arbeit ist. Man muss im Grund immer wieder die gleichen dicken Bretter bohren, wieder Vertrauen neu aufbauen. Durch neue Vorkommnisse, die in den Medien hochkommen, wird dies dann auch ganz schnell zerstört. Dann beginnt wieder der mühsame Neuaufbau.

"Wir müssen uns klar machen: Es gibt even auch viele integrierte gut ausgebildete Roma, die nicht auffallen"

Bei einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland in Bonn zur Roma-Problematik am Wochenende wurde die Notwendigkeit einer Willkommenskultur für Migranten generell unterstrichen. Dem scheint aber eine gewisse mediale Praxis im Wege zu stehen. Bilder des Elends und von Konflikten bestimmen eher die Agenda speziell des Fernsehens als Konsensprozesse. Müssen Sie da nicht auch ein Stück gegen das Mediensystem agieren?

Nikodemus: Zu unserer Arbeit gehört das Gespräch mit Medien, von denen wir eine weniger grobschlächtige, eine differenziertere Darstellung einfordern müssen. Übrigens gilt dies auch von der Politik. Die redet ja auch sehr undifferenziert. Wir müssen uns klar machen: Es gibt eben auch viele integrierte gut ausgebildete Roma, die nicht auffallen. Wir reden über die, die auffallen. Im Zuge der Arbeitsmigration sind Tausende Roma aus Ex-Jugoslawien nach Deutschland gekommen. Die sind alle hier in Brot und Arbeit. Über die hat niemand geredet.

In der Vorstellungswelt der Mehrheitsgesellschaft wird die prekäre Situation von Roma pauschal mit Flüchtlingsnot und Armutsmigranten gleichgesetzt? Erklärlich, aber falsch?

Nikodemus: Es ist eine ganz wichtige Aufgabe, im Sinne der Aufklärung auch wirklich Mut zur Differenzierung zu machen. Wir erleben zurzeit, dass alles in einen Topf geschmissen wird. Um nur bei den Roma zu bleiben - schon sie sind in sich sehr differenziert. Dort, wo Roma eine langfristige Lebensperspektive in Europa haben, haben sie sich auch integriert in die jeweilige Gesellschaft.

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In einer Erklärung des Evangelischen Kirchenkreises Duisburg und des Diakonischen Werkes Duisburg zur Lage der Flüchtlinge und Zuwanderer in der Stadt vom September wird als entscheidend die Pflicht hervorgehoben, sich schützend vor "den Fremden in deinen Toren" zu stellen. Wie lässt sich diese biblische Position gegenüber Menschen plausibel machen, die selbst in prekären Verhältnissen oder gar Notlagen leben?

Nikodemus: Es ist ein großes Problem, dass wir auf der einen Seite ständig von einer Willkommenskultur sprechen, die zu entwickeln ist und an der wir alle miteinander arbeiten wollen. Andererseits erleben wir im konkreten Alltag, dass die Zuwanderer schlicht und ergreifend unerwünscht sind. Hier setzt die eigentliche Aufgabe als Kirche ein, weil wir unsere Fühler bei den Menschen haben, bei ihren Ängsten und Nöten. Wir sind in seelsorgerlichen Gesprächen vor Ort und müssen dort Menschen mitnehmen. Wir dürfen unser humanitäres Koordinatensystem nicht aus den Fugen geraten lassen. Das ist teilweise eine große Gefahr zurzeit, auch wegen der Instrumentalisierung von rechter Seite, auf die viele anspringen.

"Es lässt sich sagen, dass das Gefühl, selbst nicht mehr dazuzugehören, sehr anfällig für Diskriminierung macht"

Menschen in soliden Lebensverhältnissen sind erfahrungsgemäß für ethische Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und Armen eher aufgeschlossen als solche, die um ihren Lebensunterhalt und eine würdige Existenz wirklich kämpfen müssen. Muss man sich moralische Haltungen "leisten" können?

Nikodemus: Diese Verbindung würde ich so nicht sehen. Ich erlebe bei uns Menschen in Armut, die aber trotzdem klar in ihrer Haltung sind. Und andere, bei denen die Anfälligkeit für die Stigmatisierung von Zuwanderern wiederum wesentlich größer ist. Ich glaube nicht, dass man die Einstellung an der sozialen Schicht festmachen kann. Wohl aber lässt sich sagen, dass das Gefühl, selbst nicht mehr dazuzugehören, sehr anfällig für Diskriminierung macht. Ängste werden viel stärker erlebt, was dazu beiträgt, auf die Zuwandernden herabzusehen.

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Ist nicht die Furcht von Menschen, die in der Nähe von Roma-Quartieren wohnen, vor Armutskriminalität nachvollziehbar?

Nikodemus: Natürlich ist sie sehr wohl verständlich. Trotzdem bleibt der Umgang mit Fremden in der biblischen Überlieferung, der einen hohen Stellenwert hat, genau unser Ansatzpunkt. Immer wieder wird auch in der hebräischen Bibel auf die Erfahrungen des Gottesvolkes in der Fremde verwiesen. "Ihr kennt die Seele des Fremden, weil ihr selber Fremde gewesen seid", das ist einer von vielen die Richtung weisenden Sätzen. Es wird immer an der eigenen Erfahrung angesetzt. Es ist die Chance, deutlich zu machen: Es kommen Zuwanderer, denen es eigentlich noch viel schlimmer geht, als wir es gemeinsam hier erleben. Und eigentlich müssten wir das auch gemeinsam bewältigen.

Was wäre für die Kirche die angemessene Rolle in der öffentlichen Auseinandersetzung um "zu viele Ausländer und Flüchtlinge", wie sie gerade von Extremisten geschürt wird? Die eines Moderators? Die einer konsequenten Parteinahme? Die einer treibenden Kraft in der Vernetzung von Gutwilligen?

Nikodemus: Es ist wohl von allem etwas. Niemals aufzugeben ist die konsequente Parteinahme. Wir identifizieren uns mit Fremden, auch mit Flüchtlingen – ganz im Sinne von Matthäus 25, wo Jesus sagt, "was immer ihr einem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan". Darüber hinaus ist es sinnvoll, auch zu moderieren, weil wir die Verbindung zu allen anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie zur Stadt und zu Behörden haben. Natürlich koordinieren wir auch – wo es nötig ist – Netzwerke, setzen uns ein für Aufklärung und den Mut zur Differenzierung. Man kann ja auch einmal umgekehrt fragen: Wo würden wir denn ohne die Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien stehen, von denen knapp drei Viertel meines Wissens in Arbeit sind? So wird aber nie gefragt.