Seit einigen Jahren vertritt die Fernsehfilmredaktion des Hessischen Rundfunks eine ausgesprochen eigenwillige Farbe im Reigen der ARD. Während anderswo ausschließlich auf Dramen, Krimis und Romanzen gesetzt wird, bereichert der HR den Mittwochstermin im "Ersten" immer wieder um Filme, in denen es nicht mit rechten Dingen zugeht und die zumindest innerhalb der ARD-Eigenproduktionen völlig aus dem Rahmen fallen; bis dahin war dies ein Genre, dem sich hierzulande überwiegend ProSieben widmete.
Erst der Schluss offenbart die grausame Wahrheit
Mit "Alaska Johansson" setzt der HR diese Tradition fort. Grimme-Preisträger Sascha Arango ("Der letzte Kosmonaut", "Blond: Eva Blond!") erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die als Headhunter für ein großes Unternehmen arbeitet. Als ihr verheirateter Freund, der gleichzeitig ihr Chef ist, die berufliche wie auch die private Beziehung beendet, will sich Alaska das Leben nehmen, was ein als Gespenst verkleidetes Mädchen verhindert. Fortan taucht das Kind, das sie für die Tochter eines neuen Nachbarn (Stipe Erceg) hält, immer wieder auf, um anschließend jedes Mal spurlos zu verschwinden. Alaska verständigt die Polizei, doch die Beamten zweifeln an ihrer geistigen Gesundheit; erst recht, als sich ihr Auto angeblich selbstständig macht und sie nur haarscharf einen Unfall überlebt. Irgendetwas geht in ihrem Leben gerade gründlich schief, und sie hat keine Ahnung, wie sie den Strudel, der sie zu verschlingen droht, stoppen kann.
Achim von Borries ("Was nützt die Liebe in Gedanken?"), der schon bei "Blond" mit Arango zusammen gearbeitet und für den HR den ersten "Tatort" mit Ulrich Tukur ("Wie einst Lilly") gedreht hat, inszeniert den Film konsequent als Mystery-Thriller, in dem sich ständig rätselhafte Dinge ereignen. Weil Buch und Regie keinerlei Erklärung anbieten, wirkt "Alaska Johansson" wie einer jener Klassiker, deren Hauptfigur als Opfer eines Komplotts in den Wahn getrieben werden soll. Als Drahtzieher bieten sich gleich mehrere undurchsichtige Nebenfiguren an, allen voran Alaskas Eltern (Sibylle Canonica, Alexander Held), die einst große Schuld auf sich geladen haben. Nach und nach liefert Arangos Drehbuch zwar verschiedene Hinweise, doch erst der Schluss offenbart die grausame Wahrheit.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Natürlich muss man es mögen, sich konsequent zum Narren halten zu lassen, sonst macht der Film keinen Spaß, zumal Arango seine Hauptfigur mit einer Vielzahl seltsamer Verhaltensweisen ausstattet. Dass man die Marotten bereitwillig akzeptiert, hat viel mit der Darstellerin zu tun: Alina Levshin, schon für ihre Verkörperung der Titelfigur in "Die Kriegerin" mehrfach ausgezeichnet, ist auch hier ein Ereignis. Die gebürtige Ukrainerin paart Alaskas Attraktivität mit einer Unnahbarkeit, die es nicht leicht macht, sich für die Frau zu erwärmen. Der Faszination ihrer Ausstrahlung aber erliegt man umgehend, was nicht zuletzt an der Konzeption der Figur sowie an Borries’ Inszenierung liegt: Die selbstbewusste junge Frau ist stets Subjekt der Handlung; und doch bloß eine Figur im eigenen Spiel.