Fatma Kilic gilt in dreierlei Hinsicht als Exotin: Sie hat als Frau das traditionell männerdominierte Fach Wirtschaftsingenieurswesen studiert, sie ist Muslimin und trägt freiwillig Kopftuch. Ihr Studium an der Humboldt Universität in Berlin hat sie mit "gut" absolviert. Trotz dieses Abschlusses war ihr Berufseinstieg steinig. Allein um einen Praktikumsplatz zu ergattern, musste Kilic mehr als 50 Bewerbungen schreiben, ehe sie eine Zusage bekam. "Für mich war es ganz klar, es liegt daran, dass ich ein Kopftuch trage", sagt Kilic. Denn immer, wenn sie ihren Lebenslauf mit Passfoto verschickte, wurde sie noch nicht einmal zu einem Gespräch eingeladen.
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Heute arbeitet die 33-Jährige bei einem großen deutschen Online-Unternehmen. "Ich habe meinen Traumjob gefunden, aber ohne Vitamin B wäre das nie gelungen", sagt Kilic desillusioniert. Erst als ihr Hochschulprofessor, der von der Begabung der jungen Frau überzeugt war, seine Kontakte spielen ließ und einem Bekannten die junge Absolventin empfahl, klappte es mit dem Arbeitsvertrag. Zuvor hatte Kilic von einem Personalmanager eines anderen großen Unternehmens zu verstehen bekommen, dass er eine Mitarbeiterin mit Kopftuch beim besten Willen nicht vermarkten könne. "Es ist die Summe solcher Erfahrungen, die keinen Zweifel daran lassen, dass die beruflichen Hürden mit dem Kopftuch zu tun haben", bilanziert die Wirtschaftsingenieurin.
Bundesverfassungsgericht gab Lehrerin mit Kopftuch Recht
So wie Kilic geht es vielen jungen Musliminnen in Deutschland. Sie tragen ihr Kopftuch, weil sie es für richtig halten. Vor allem im Job stoßen sie damit aber auf Irritation, Ablehnung und Diskriminierung. Doch immer mehr Betroffene beginnen sich zu wehren. In Berlin wenden sie sich etwa an das "Netzwerk gegen Diskriminierung von Muslimen". Es sammelt Beispiele wie den Fall Kilic. So wurden im Jahr 2012 insgesamt 342 Fälle von möglicher Diskriminierung gemeldet. "Davon hatten 46 Prozent mit dem Tragen des Kopftuchs zu tun. 22 Prozent spielten sich dabei im beruflichen Bereich ab", sagt Lydia Nofal, die Koordinatorin der Plattform.
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Als Hauptgrund für die Angst der Arbeitgeber vor Mitarbeiterinnen mit Kopftuch sieht Nofal das sogenannte Kopftuch-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. September 2003. Die Karlsruher Richter gaben der Lehrerin Fereshta Ludin Recht, dass das Tragen eines Kopftuchs an einer öffentlichen Schule nicht untersagt werden kann, solange es kein entsprechendes Gesetz auf Landesebene gibt. Angesichts der zunehmenden religiösen Vielfalt in Deutschland seien stärkere religiöse Bezüge auch im Schuldienst zulässig, urteilten die Richter.
Auf das Urteil reagierten acht Bundesländer mit Gesetzen, die Musliminnen mit Kopftuch den Zugang zum Lehramt an öffentlichen Schulen und teilweise auch in anderen Bereichen des Öffentlichen Dienstes verbieten. "Die Kopftuchverbote haben einem Klima Vorschub geleistet, in dem Arbeitgeber ohne jedes Unrechtsbewusstsein den betroffenen Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehren", kritisiert Nofal. Dies gelte für hochqualifizierte Akademikerinnen ebenso wie für junge Frauen, die einen Ausbildungs- oder einen Praktikumsplatz suchen.
"Ihnen wird die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben verweigert"
Nicht selten würden Arbeitgeber als Voraussetzung für einen Einstellungsvertrag verlangen, dass die Frauen während der Arbeitszeit das Kopftuch ablegen. Diese Forderung verstößt zwar gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, doch das Unrechtsbewusstsein dafür fehlt, findet Nofal. Bei den Frauen führe das zunehmend zu Frustration. "Ihnen wird die Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben verweigert", betont Nofal.
Der Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz scheint den Betroffenen zufolge gängige Alltagspraxis zu sein. Nur in wenigen Einzelfällen haben muslimische Frauen mit Kopftuch bislang versucht, ihre Rechte juristisch durchzusetzen. Vergangene Woche etwa war der Fall einer Berliner Anwältin bekanntgeworden, die klagen will, wenn ihr weiter die Teilnahme an Gerichtsverhandlungen mit Kopftuch verweigert wird.
Künftig könnten Klagen dieser Art zunehmen. Kilic weiß aus eigener Erfahrung, dass sich immer mehr Musliminnen zu wehren beginnen. Bislang gab es in Deutschland allerdings kaum Anwälte, die auf solche Fälle spezialisiert waren. Doch seit dem vergangenen Jahr versucht das Deutsche Institut für Menschenrechte, Rechtsanwälte für das Thema "menschenrechtsbasierter Diskriminierungsschutz" zu sensibilisieren.