TV-Tipp des Tages: "Nichts mehr wie vorher" (Sat.1)

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TV-Tipp des Tages: "Nichts mehr wie vorher" (Sat.1)
TV-Tipp des Tages: "Nichts mehr wie vorher", 24. September, 20.15 Uhr auf Sat.1
Der Mordfall "Lena" in Emden schockierte die gesamte Bundesrepublik: Einfühlsam versucht der Film zu ergründen, was in einer Familie vorgeht, deren Leben von einem Tag auf den anderen auf den Kopf gestellt wird.

Als nach der grausamen Ermordung eines kleinen Jungen in der Nähe einer rheinischen Kleinstadt eine Sonderkommission zusammengestellt wird, gibt der Soko-Leiter ein Motto aus: "Suche den Feind im Schatten deiner Hütte." Um einen "Feind im Schatten" geht es tatsächlich in dem stellenweise erschütternden Sat.1-Drama "Nichts mehr wie vorher", doch im Vordergrund steht nicht die Arbeit der Polizei, sondern ein junger Mann, der aufgrund einer öffentlichen Vorverurteilung in die Mühlen der Medien und der sozialen Netzwerke gerät. Seine Feinde verbergen sich in der Anonymität des Internets.

Anonyme Lynchjustiz

Das Drehbuch der erfahrenen Autorin Henriette Piper, die zuletzt vor allem für die ZDF-Krimireihe "Der Kommissar und das Meer" geschrieben hat, orientiert sich an den Ereignissen rund um den Emdener "Mordfall Lena" im Frühjahr 2012, als nach der Verhaftung eines Tatverdächtigen via Internet zur Lynchjustiz aufgerufen wurde. Hauptfigur von "Nichts mehr wie vorher" ist daher weder der Leiter der Ermittlungen (Thomas Sarbacher) noch seine Kollegin (Bernadette Heerwagen), sondern der 16jährige Daniel (Jonas Nay), der zur Tatzeit in der Nähe des Tatortes war und zu allem Überfluss die Flucht ergreift, als ihn die Polizei vernehmen will. Weil die junge Hauptkommissarin auf einer Pressekonferenz verkündet, ein Geständnis sei nur eine Frage der Zeit, fordert eine aufgebrachte Menge seinen Kopf.

Oliver Dommenget hat bei seiner Umsetzung des Drehbuchs dem Impuls widerstanden, die Geschichte zuzuspitzen. Er zeigt zwar in Zeitlupe, wie Daniel nach seinem prompt als Teilgeständnis gewerteten Bekenntnis, in der Nähe des Tatorts gewesen zu sein, als mutmaßlicher Schwerverbrecher zum Polizeiwagen geführt wird, aber das ist keine übliche Effekthascherei, sondern verdeutlicht nur die Tragweite der Situation. Hinzu kommt, dass "Nichts mehr wie vorher" ausdrücklich kein Krimi ist. Der Film verzichtet daher auf vielfach erprobte und entsprechend konventionelle Inszenierungselemente. Statt dessen schafft Dommenget auch dank der Bildgestaltung durch Georgij Pestov gerade außerhalb des Hauses der Familie eine bedrückende, düstere Atmosphäre. Eine gewisse Spannung resultiert zwar auch aus der Möglichkeit, dass Daniel doch in die Untat verwickelt sein könnte, doch Piper interessiert sich vor allem für die Frage, welche Folgen die Verhaftung des Jungen für die Familie hat. Ähnlich wie in Niki Steins Drama "Vater Mutter Mörder" geht es dabei um den Graben, der sich plötzlich zwischen den Eltern auftut: Während die Mutter (Annette Frier) wie eine Löwin um ihren Sohn kämpft und keinen Zweifel an seiner Unschuld hat, ist sich der Vater (Götz Schubert) nicht zuletzt aufgrund verschiedener Hinweise nicht so sicher; dabei war es seine Intoleranz, die Daniel überhaupt erst in die missliche Lage gebracht hat.
Die Darbietungen der Darsteller sind ausnahmslos gut und glaubwürdig; gerade Elisa Schlott (als Daniels Schwester) hält sich neben den erwachsenen Profis bemerkenswert.

Herausragend ist jedoch Jonas Nay, der hier nahtlos an seine mehrfach ausgezeichnete Leistung in "Homevideo" (Grimme-Preis, Deutscher Fernsehpreis) anknüpft. Für die Qualität des Films birgt auch die Produktionsfirma: Zeitsprung (seit der Insolvenz Zeitsprung Pictures) hat mit Werken wie "Frau Böhm sagt nein", "Das Wunder von Lengede" und "Contergan" diverse moderne Klassiker des zeitgenössischen Fernsehens geschaffen. Zentrale Themen der Produktionen sind regelmäßig Fragen von gesellschaftspolitischer Relevanz. In "Nichts mehr wie vorher" geht es daher nicht nur die Folgen für die Familie.

Der Film ist in gleichem Maß profunde Kritik an einer Mediengesellschaft, in der private Details umgehend an die Öffentlichkeit gezerrt werden. Regelrecht abstoßend ist daher das Verhalten der gezeigten Boulevardjournalisten, die sich wie Aasgeier auf die schutz- und wehrlose Familie stürzen. Es ist vor allem die einseitige Berichterstattung, die eine öffentliche Vorverurteilung des Jungen zur Folge hat und dazu führt, dass die zügellose Wut der Menschen auch vor seinen Eltern und Geschwistern nicht Halt macht.