Die ARD hat in den letzten Jahren schon mancherlei Adoptionsdramen erzählt. Das Handlungsmuster ist gern das gleiche: Durch Zufall oder ein bestimmtes Ereignis wird eine Frau Mitte dreißig an das große Trauma ihrer Jugend erinnert, als sie viel zu früh ein Kind bekam und das Baby zur Adoption freigab. Meist handelte es sich um Mädchen, vermutlich, weil sich solche Filme vor allem an Frauen richten und weil Konflikte zwischen Müttern und Töchtern ohnehin großes Potenzial bergen; erst recht, wenn die heranwachsende junge Frau plötzlich den Boden unter den Füßen verliert. Denn auch dies gehört zur Dramaturgie dieser Filme: Die Kinder sind von ihren Pflegeeltern nicht eingeweiht worden.
Das Geburtsdatum passt
Natürlich erzählt "Alles für meine Tochter" (Drehbuch: Johann A. Bunners und Martin Dolejs) im Detail eine andere Geschichte als etwa "Das Haus meines Vaters" oder "Mein eigen Fleisch und Blut", aber die Grundzüge sind identisch: Lehrerin Ines Erdmann (Ann-Kathrin Kramer) fällt aus allen Wolken, als ein Mädchen neu in ihre Klasse kommt, denn Clara Liebner (Alicia von Rittberg) sieht aus wie Ines mit 16. Ein heimlicher Blick auf den Ausweis bestätigt ihren Verdacht: Das Geburtsdatum passt. Ines’ Freund ist damals noch vor der Geburt des Kindes bei einem Unfall gestorben, die lebensmüde junge Mutter litt unter Depressionen und konnte sich nicht um das Mädchen kümmern. Unter dem Vorwand der Nachhilfe sucht sie die Nähe Claras, die ähnlich wie sie selbst eine talentierte Läuferin ist, und erfährt, dass die Adoptiveltern (Johanna Gastdorf, Bernhard Schütz) es nie fertig gebracht haben, ihrer Tochter die Wahrheit zu sagen.
Die Parallelen zu "Das Haus ihres Vaters" (Regie: Matthias Tiefenbacher) sind mitunter verblüffend, zumal hier wie dort Hans-Jochen Wagner den gleichfalls nicht eingeweihten Lebensgefährten der leiblichen Mutter spielt. Das stört aber gar nicht, weil beide Filme auf ihre Weise herausragend sind und die Regisseure (hier: René Heisig) die Darsteller zu ausgezeichneten Leistungen führen. Eine große Last liegt dabei naturgemäß auf den Schultern der jungen Schauspielerinnen, und Alicia von Rittberg, zuletzt schon großartig als Hauptdarstellerin des Heimdramas "Und alle haben geschwiegen", macht ihre Sache ähnlich bemerkenswert gut wie damals Janina Stopper. Das gilt gerade für die den emotionalen Szenen, denn sie entscheiden über das Ausmaß der Anteilnahme; scheinbar mühelos hält die junge Frau, die auch als Läuferin eine gute Figur macht, mit den erfahrenen Kollegen mit. Auch die verkörpern ihre Rollen jederzeit glaubwürdig, zumal sie weit mehr als nur Stichwortgeber sind. Das gilt auch für Simone und Rudi (Elena Uhlig, Felix Eitner), die besten Freunde der Erdmanns.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Hübsch und gleichfalls nicht bloß Staffage sind immer wieder die Szenen am Arbeitsplatz von Ines’ Mann Boris, der als engagierter Lokaljournalist dauernd im Stress ist. Entsprechend glaubwürdig ist es, dass Ines nie dazu kommt, ihm von den Treffen mit ihrer Tochter zu erzählen, so dass er schließlich glaubt, sie habe eine Affäre. Natürlich steht und fällt die gesamte dramaturgische Konstruktion mit einer guten Erklärung für die Geheimniskrämerei in den beiden Familien, aber auch dafür hat das Drehbuch plausible Gründe gefunden.