Frau Werner, warum sollte die Kirche in die Online-Netzwerke gehen?
###mehr-personen### Mechthild Werner: Die ersten Christen waren Fischer und wurden von Jesus zu "Menschenfischern" berufen. Christenmenschen waren immer schon Netzwerker und da unterwegs, wo die Menschen sind. Ich selbst bin ja erst vor zwei Jahren in die sozialen Netzwerke geraten – mit einer gewissen Neugier, aber auch mit vielen Vorurteilen – und habe gemerkt: Für die "digital natives" sind Facebook, Youtube und Co. die Lebenswelt.
Sie selbst als "Social Media"-Pfarrerin der pfälzischen Landeskirche "senden" auf verschiedenen Kanälen: Facebook, Twitter, Youtube ...
Werner: Das Herzstück ist mein Blog. Dort stelle ich jeweils die Freitagsfrage. Meist greife ich ein aktuelles Thema auf und ermuntere die Leute, "frech und fröhlich" darüber zu reden. Bei Social Media gibt es ja anders als bei der bloßen Pressearbeit immer den Rückkanal. Da muss ich dialogbereit sein und offen, mich zur Diskussion zu stellen mit einem Thema.
Warum braucht man so einen Rückkanal? Geht es nicht auch ohne?
Werner: Klar, für den Anfang reicht auch eine Homepage der Kirchengemeinde, möglichst aktuell und mit allen Infos. Aber in dem Moment, wo ich selber dazu lernen will, frage ich: "Was meint ihr, was fehlt euch, was haltet ihr davon?" Der Reiz der sozialen Netzwerken ist ja der Dialog. Man bekommt sofort Reaktionen. Wenn wir als Christen "Menschenfischer" sein wollen, dann ist die Zeit vorbei, wo wir das große Schleppnetz auswerfen und Leute fangen. In der vernetzen Welt fischen Menschen einander. Sie fischen sich heraus, wer ihnen gefällt und was sie anspricht.
"Ab und zu verirrt sich auch mal jemand Kirchenfernes unter die Antwortenden"
Wer kommentiert Ihr Blog? Erreichen Sie auch kirchendistanzierte Communities?
Werner: Mein Blog wird offenbar gern gelesen und es kommen jeweils zwischen 10 bis 30 Kommentare, recht viele für vergleichbare Seiten. Diese "Fans" sind überwiegend kirchennahe Menschen: Theologen, Leute aus sozialdiakonischen Berufen. Aus meiner Landeskirche traut sich nicht jeder, kritische Themen offen zu kommentieren. Ab und zu verirrt sich auch mal jemand Kirchenfernes unter die Antwortenden.
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Das heißt, die eigentliche Zielgruppe ist noch kaum erreicht?
Werner: Die eigene Klientel will ja auch erreicht und vernetzt werden. Doch wenn wir als Kirche sagen, wir wollen in den Sozialen Netzwerken auch die Kirchenfernen ansprechen, dann schaffen wir das nach wie vor nur bedingt. Da sind wir noch am Üben.
Vielleicht wollen die ja auch gar nicht, dass die Kirche an sie rankommt.
Werner: Ja, vielleicht. Aber ab und zu, bei bestimmten Themen, gelingt es durch das Verlinken und Teilen, dass man plötzlich auf einer Seite steht, wo sich die tummeln, die sonst nie mit Kirche zu tun haben. Etwa beim Thema Angelina Jolies Brustamputation. Wenn ich das aufgreife, und damit um ein paar Ecken bei solchen Leuten lande, fragen die schon: "Moment, was hat das denn mit Kirche zu tun? Ist das nicht Boulevard?" Und die Diskussion über Krebs, die Angst vor dem Sterben, den medizinischen Machbarkeitswahn ist eröffnet. Aber das gelingt selten.
"So offen ich schreibe, so offen geht es auch in den Kommentaren zu"
Welche Themen gehen gut? Was interessiert die User?
Werner: Alles kann Menschen bewegen, was gerade durch die Schlagzeilen geht. All das berührt sie, was existenziell ist: Geburt, Krankheit oder Sterben. Aus der Freitagsfrage "Was möchtest du noch tun, bevor du stirbst?" sind einige tiefergehende Kontakte entstanden. Für manchen war die Frage Anlass, das eigene Leben neu zu ordnen, verdrängte Geschichten neu anzugehen. Also schon auch ein wenig Seelsorge ...
Das sind dann schöne Rückmeldungen für Sie!
Werner: Ja, ich bin oft erstaunt, wie persönlich manche Reaktionen sind. So offen ich schreibe, so offen geht es auch in den Kommentaren zu. Natürlich wird auch alles heftig diskutiert, was mit Politik und Kirche zu tun hat. Zum Beispiel der Skandalauftritt der Band "Pussy Riot" in einer russischen Kirche. Oder das Thema Homosexualität. Weniger Reaktionen kommen zu den großen ökumenischen Themen rund um "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung". Was wird aus Ägypten, Syrien? Das sind wohl auch zu große Fragen für kurze Kommentare.
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Angelinas Brustkrebs, Pussy Riot, Schwule im Pfarrhaus – das sind spannende Aufhänger für ethische oder existenzielle Debatten. Aber geistliche Themen im engeren Sinn sind das ja noch nicht, oder?
Werner: Sie haben recht, mich treibt immer wieder um: "Was unterscheidet meine Facebook-Inhalte von denen anderer?" Oft nichts. Aber in einem doch. Ich poste immer wieder mal Gebete zum Tag, etwa zur Gewalt in Ägypten, und nutze dafür die alte und aktuelle Sprache der Psalmen. Solche Meditationen werden häufig schnell von vielen geteilt! Da ist offenbar unsere ureigene Kompetenz gefragt.
Wie könnte man geistliche Inhalte – "Reich Gottes" oder "Kreuz und Auferstehung" – ins Web 2.0 einfließen lassen? Wie müsste man das runterbrechen, so dass es Leute in den Online-Netzwerken packt?
Werner: Ja, warum nicht eine Art christlicher Alphabetisierung im Netz? Es ist immer schon mein Herzensanliegen, Schweres leicht zu sagen. Das Evangelium im Radio in 1:30 Minuten, online in 1.400 Zeichen oder gar in den 140 Zeichen einer Twitternachricht? Das will geübt sein. Wie überall in den sozialen Medien gilt: Learning by doing! Und: Nicht nur über Ernstes und Schweres reden, die gute Botschaft ist auch ja heiter und leicht. Humor gehört dazu, miteinander rumalbern.
"Uns nur an Likes und Klicks ausrichten, das kann es für Kirche ja nicht sein"
Neue Fotos und witzige Banalitäten werden in den Netzwerken meist viel häufiger geklickt als Texte.
Werner: Sicher, das geht mir ja selbst auch so. Aber darum nur noch Witzfotos posten? Uns nur an Likes und Klicks ausrichten, das kann es für Kirche ja nicht sein. Ich will auch Sand sein in diesem Getriebe, in diesem "Klick-mich"-Muster. Bewusst andere Themen setzen. Das geht, auch mal mit flotten Sprüchen, aber vor allem mit einer klaren persönlichen Haltung.
Auf welchen sozialen Medien sollte jeder Kirchenmitarbeiter präsent sein?
Werner: Ob Facebook, Youtube, Google+ oder Twitter, jeder Kanal hat seine Vorzüge. Ich muss zuerst fragen, was will ich teilen und vor allem: Wer will da einsteigen? In jeder Gemeinde gibt es jemanden mit Lust am Web 2.0. Das müssen nicht die Pfarrerinnen sein. Die große Chance der Netzwerke ist ja, die Laien einzubinden. Sie brauchen dafür aber Freiheit und Eigenverantwortung. Vom Pfarrer "zensierte" Texte und Themen gehen gar nicht.
Viele "digital natives" haben rund um die Uhr im Blick, was auf Facebook & Co. abgeht. Sind Sie auch permanent erreichbar?
Werner: Oft, aber nicht immer. Obwohl es einige erwarten, dass ich alles, was es bei mir Neues gibt, sofort mit ihnen teile. Das kann schon zwanghaft werden: Am Anfang hab ich mich dabei ertappt, dass ich, noch während ich etwas erlebte, schon überlegt habe, wie ich das fürs Netz aufbereiten könnte. Da bremst mich heute spätestens meine Familie. Auszeiten sind mir wichtig. Und: Netzwerken, über die eigene Gemeinde hinaus, geht ja auch offline. Auch das tun wir Christenmenschen oft noch zu wenig.