Die Stimmen der Einwanderer

Die Stimmen der türkischstämmigen Einwanderer könnten die Bundestagswahl wesentlich beeinflussen.
Foto: Ingram Publishing/Thinkstock
Ein junge Muslimin am Telefon. Die Stimmen der türkischstämmigen Einwanderer könnten die Bundestagswahl wesentlich beeinflussen.
Die Stimmen der Einwanderer
Migranten werden vor der Bundestagswahl von allen Parteien umworben. Wenn die Wahl knapp ausgeht, könnten ihre Stimmen entscheiden. Die Kandidaten der Parteien touren nicht nur durch Betriebe und Einkaufsstraßen, sondern auch durch Moscheen. In Broschüren werben die Parteien auf Türkisch und Arabisch um Stimmen.
14.09.2013
Andreas Gorzewski

Osman geht am 22. September wählen. "Weil ich die Politik in dem Land, in dem ich lebe, mitbestimmen möchte", sagt der Automechaniker auf Türkisch. Osman wirbt in einem Wahlspot der Türkischen Gemeinde in Deutschland dafür, an der Bundestagswahl teilzunehmen. Migranten spielen bei Wahlen eine immer größere Rolle. Viele von ihnen sind Muslime mit türkischen oder arabischen Wurzeln. Sie wollen bei den Parteien Gehör finden. "Es ist für Muslime sehr wichtig, dass ihre Belange berücksichtigt werden", betont Islamrats-Vorsitzender Ali Kizilkaya in Köln.

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Alle Bundestagsparteien umwerben Zuwanderer mit deutschem Pass. Bei knappem Ausgang können diese eine Wahl mitentscheiden. Neben den Spätaussiedlern aus Osteuropa stellen die 700.000 Wahlberechtigten mit Wurzeln in der Türkei die größte Gruppe. Daneben gibt es viele andere muslimische Wähler. Um ihre Stimmen zu gewinnen, ziehen Politiker nicht nur durch Betriebe und Einkaufsstraßen, sondern auch durch Moscheen. Die FDP verspricht in einer türkischen Broschüre, den Mittelstand zu entlasten. Die SPD wirbt auf Arabisch und Türkisch für den Mindestlohn. Andere Parteien machen es ähnlich.

Die meisten Deutschtürken wählen SPD und Grüne

Darüber hinaus haben SPD, FDP, Grüne, Linke und die Union Kandidaten mit islamischem Hintergrund aufgestellt. In Hagen kämpft Cemile Giousouf für die CDU um ein Direktmandat. Die junge Politikwissenschaftlerin sagte nach ihrer Nominierung, dass ihre Partei eine Brücke zu den Zuwanderern bauen wolle. Bislang konnten vor allem SPD und Grüne auf die Stimmen der Deutschtürken zählen. Auch diesmal kann Rot-Grün dem Dortmunder Sozialforschungsinstitut Futureorg zufolge mit zusammen 64,5 Prozent der deutschtürkischen Wähler rechnen.

Allerdings bedeute ein türkischer oder arabischer Name nicht, dass ein Politiker auch die Interessen dieser Bevölkerungsgruppen vertrete, beklagt Kizilkaya. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, beobachtet, dass Kandidaten mit islamischem Hintergrund nicht unbedingt für islamische Themen stehen.

Islam und Integration sind kaum ein Thema im Wahlkampf

Der Islam ist laut Mazyek in der heißen Phase des Wahlkampfs ohnehin in den Hintergrund gerückt. Auch über Integration werde nur am Rande diskutiert. "Beim Kanzlerduell war das kein Thema", sagt Kizilkaya. Er kritisiert, dass weder Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch SPD-Kandidat Peer Steinbrück näher darauf eingingen.

Die Muslime in Deutschland sind keine einheitliche Gruppe. Längst nicht alle türkisch- oder arabischstämmigen Wähler sind religiös. Auch nicht alle Muslime haben einen Migrationshintergrund. Für die unterschiedlichen Interessen haben mehrere Organisationen Übersichten mit den Positionen der Parteien erstellt. So trug die Deutsche Muslim Liga zusammen, was die Parteien zu Moscheebauten, Kopftüchern und Islamfeindschaft sagen.

Steuern und Verteilungsgerechtigkeit sind entscheidend

Dagegen stehen bei den sogenannten Wahlprüfsteinen der Türkischen Gemeinde in Deutschland nichtreligiöse Fragen im Vordergrund. Dort geht es um die Haltung der Parteien zu doppelter Staatsbürgerschaft, Rassismus oder den EU-Beitritt der Türkei.

Daneben gibt es Themen, die Wähler unabhängig von Abstammung oder Religion interessieren. "Das Muslim-Sein ist nicht unsere einzige Identität", betont Kizilkaya. Muslime sorgten sich wie viele andere um Arbeit und Rente. Das sieht Mazyek ähnlich. Themen wie Steuern oder Verteilungsgerechtigkeit seien für alle wichtig.

"Der ausschlaggebende Punkt, warum Muslime traditionell mehr SPD oder Grüne wählen, ist weniger religiös, sondern an der sozialen Schicht orientiert", sagt Mazyek. Ein muslimischer Arzt werde vermutlich dieselbe Partei wählen wie ein nichtmuslimischer.