Pro und Contra: Müssen Pflegekräfte studiert haben?

Pflegekräfte
Foto: dpa/Angelika Warmuth
Pflege ist nicht einfach: Eine Bewohnerin in einem Seniorenzentrum hält sich in ihrem Bett an einem Haltegriff fest, im Hintergrund steht ihre Pflegekraft.
Pro und Contra: Müssen Pflegekräfte studiert haben?
Dem Pflegeberuf mangelt es an einem positiven Image und an Fachkräften. Während Michael Kriegel von der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld sich für eine Akademisierung der Pflegekräfte ausspricht, will Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung GmbH, den Zugang in die Altenpflege auch für Hauptschüler oder Quereinsteiger öffnen.
28.09.2012
Michael Kriegel, Bernhard Schneider

Pro: "Mit Pflegegstudiengängen wird die Patientenbetreuung optimiert"

Von Michael Kriegel

Dem Pflegeberuf mangelt es nicht nur an Fachkräften, sondern auch an gesellschaftlicher Anerkennung und einem positiven Image. Das ist nicht neu, kann aber nicht oft genug beklagt werden, denn Pflegerinnen und Pfleger sind keinesfalls Semi-Professionelle für unattraktive Tätigkeiten.

Im Gegenteil: Die Aufgaben in der Pflege werden immer komplexer - Pflegende sind mittlerweile betriebswirtschaftlich denkende Manager und strategisch planende Organisatoren. Sie müssen beim rasanten medizinischen Fortschritt ständig auf der Höhe der Zeit sein und auch die juristischen und ethischen Rahmenbedingungen ihres Tagwerks im Blick behalten. Ihnen wird soziale Kompetenz, Interaktionsfähigkeit sowie pflegerisch- medizinisches Know-How abverlangt. Aber auch analytische Distanz und die professionelle Abwägung zwischen Regelanwendung und wissenschaftlichen Wissen. Diese Fähigkeiten bedürfen einer qualitativ hochwertigen, interdisziplinären Ausbildung. Eine akademische Aus- und Weiterbildung sichert diese Anforderungen und verdeutlicht gleichzeitig, dass Pflegende äußerst qualifizierte und ernstzunehmende Fachkräfte sind.

Von einer Akademisierung der Pflegeberufe profitieren alle Seiten - die Pflegenden erhalten den nötigen Hintergrund, um die vielfältige Herausforderungen ihres Berufs souverän zu meistern, die Pflegeunternehmen vermeiden jegliche Routine, die durch festgefahrene Abläufe schnell eintritt. Zudem sichern sich Einrichtungen, die auf eine akademische Qualifikation ihres Pflegepersonals setzen, den Anschluss an den internationalen Bewerbermarkt: Europaweit findet die Pflegegrundausbildung mit wenigen Ausnahmen im tertiären Bildungsbereich statt. Der akademische Grad eines "Bachelor of Nursing" gehört anderswo längst zum Standard - in Deutschland ist er noch ein Fremdwort und wird belächelt.

Die wichtigsten Nutznießer einer Akademisierung der Pflege sind jedoch die Patienten: Mit ausbildungs- und berufsbegleitenden Pflegestudiengängen wird die Wissenschaft an die Basis gebracht, um die Patientenbetreuung langfristig zu optimieren. Denn auch Pflegerinnen und Pfleger mit einem Bachelorabschluss sind weiterhin im täglichen Dienst und dem direkten Kontakt mit den Menschen verwurzelt, die ihre Hilfe benötigen – und können von der Basis wichtige Impulse in die Fachwelt tragen und die Pflegelandschaft von morgen entscheidend mitgestalten.

Michael Kriegel (Foto: privat) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld und Leiter des Forschungsprojekts "BEST-WSG - Berufsintegrierte Studiengänge zur Weiterqualifizierung im Sozial- und Gesundheitswesen". Im Rahmen des BMBF-Wettbewerbs "Aufstieg durch Bildung" soll die Durchlässigkeit von beruflichen hin zu akademischen Abschlüssen im Sozial- und Gesundheitswesen gesteigert werden – mit neuartigen Studienmodellen und innovativen Begleitstrukturen.

 


 

Contra: "Eine 'Zwangsakademisierung' verschärft den Fachkräftemangel in der Pflege"

Von Bernhard Schneider

Zunächst will ich eines klarstellen: Natürlich bin ich dafür, dass man Pflege in den verschiedensten Ausprägungen auch studieren kann, denn wir sind auf Akademiker aus der Pflege angewiesen und brauchen eine wissenschaftliche Profilierung der Pflege, um auch Innovationen entwickeln zu können. Wir unterstützen deshalb jede Diversifizierung [Anmerkung der Redaktion: Öffnung] der Pflegestudiengänge und loben an der Hochschule Ravensburg-Weingarten jährlich einen Preis für eine herausragende Abschlussarbeit mit einem Bezug zur Altenhilfe aus, um dem Thema Pflege und deren wirtschaftlichen Bedeutung mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Ich wehre mich allerdings klar gegen eine "Zwangsakademisierung" der Fachkräfte und den Ausverkauf des Ausbildungsberufes Altenpflege. Solche Forderungen kann nur jemand erheben, der keinen praktischen Bezug und keine Verantwortung für einen Dienstplan hat. In den kommenden Jahren brauchen wir zusätzliche Pflegefachkräfte und das bei dem allgemeinen Fachkräftemangel in nahezu allen Branchen und einem harten Wettbewerb auf dem Ausbildungsmarkt. In der Evangelischen Heimstiftung bieten wir jährlich rund 300 Ausbildungsstellen an, doch trotz Informationsveranstaltungen in Schulen, guter Bezahlung, guten Mentorenkonzepten etc. haben wir bereits heute Schwierigkeiten alle Plätze zu besetzen. Wo sollen die Auszubildenden und Fachkräfte herkommen, wenn die Anforderungen über so unsinnige Vorgaben wie die Berufsanerkennungsrichtlinie und eine Zwangsakademisierung noch höher geschraubt werden?

###mehr-artikel###Andersherum wird ein Schuh daraus: Wir müssen neue Zielgruppen für die Pflegeausbildung gewinnen und sowohl Hauptschülern, Quer- und Wiedereinsteigern als auch Menschen mit Migrationshintergrund Chancen in der Altenpflege eröffnen. Dazu sind neue Formen der Ausbildung und Prüfung erforderlich, wie beispielsweise die Teilzeitausbildung, die Einführung der Schulfremdenprüfung oder standardisierte Anerkennungsverfahren für ausländische Pflegeabschlüsse.

Und noch etwas: Wer mit Blick auf Europa die Zwangsakademisierung fordert, der verkennt, dass es in Ländern mit Bachelorpflege, wie in Portugal oder Spanien, nicht einmal annähernd die Pflegeinfrastruktur und damit auch nicht die Anzahl an Pflegefachkräften wie in Deutschland gibt. Man kann nicht aus berufspolitischen Gründen heraus eine Anpassung an europäische Ausbildungsnormen durchsetzen und die hiesigen Träger dann mit den hohen ordnungsrechtlichen Personalstandards des deutschen Heimgesetzes, wie Personalschlüssel und Fachkraftquote, im Regen stehen lassen.

Einst ist klar: Für die Organisation von Pflegeprozessen benötigen wir hochqualifizierte Mitarbeiter, die sicherlich ein einschlägiges Pflegestudium absolviert haben. Aber für die Pflege sind wir auf Fachkräfte angewiesen, die in einer eigenständigen Altenpflegeausbildung befähigt werden, pflegebedürftige Menschen zu betreuen. Eine Qualifizierung für diese Aufgabe erst durch eine Spezialisierung nach Abschluss einer allgemeinen Pflegeausbildung und einer Anhebung der Zugangsvoraussetzungen auf zwölf Jahre Schulbildung ist nicht zielführend und verschließt vielen Personen den Zugang zum Beruf und verschärft den Fachkräftemangel in der Pflege.

Bernhard Schneider (Foto: EHS) ist Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung GmbH in Stuttgart.