Maria Magdalena: "Herausragende Jüngerin"

Foto: akg-images/Gemälde von Alexander Andrejewitsch Iwanow
Das Gemälde von A. A. Iwanow heißt "Christus erscheint Maria Magdalena". Sie war eine Auferstehungszeugin.
Maria Magdalena: "Herausragende Jüngerin"
Das Jesus-Zitat "Meine Frau" auf einem kleinen Papyrus-Schnipsel entfacht eine neue Diskussion. War Jesus verheiratet? Und wie war eigentlich seine Beziehung zu Frauen? Renate Jost, Professorin für Feministische Theologie an der Theologischen Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, sagt: Jesus hat keinen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Jüngern gemacht. Eine ganz besondere Rolle habe aber eine Frau gespielt: Maria Magdalena.
20.09.2012
evangelisch.de
Jana Hofmann

In dem jetzt aufgetauchten Papyrus-Schriftstück wird eine Frau als Nachfolgerin Jesu genannt. Waren Frauen auch Jüngerinnen?

Renate Jost: Dass eine Frau Jüngerin war, ist sogar relativ wahrscheinlich. Im Lukas-Evangelium (Lukas, Kapitel 8, Vers 1-3) werden auch die Nachfolgerinnen Jesu genannt. Es ist in der Forschung nicht umstritten, dass Frauen Jesus nachgefolgt sind. Das kann man zum Beispiel auch in dem Jesus-Buch von Stegemann ("Jesus und seine Zeit", Wolfgang Stegemann) lesen.

Was bedeutete es damals, Jesu Jüngerin zu sein?

Jost: Zwischen weiblichen und männlichen Jüngern wurde kein Unterschied gemacht. In Lukas 8, Vers 3 werden sie als Geldgeberin beschrieben, aber sie waren auch Verkündigerinnen und Auferstehungszeuginnen. Ich gehe  von der These von Elisabeth Schüssler-Fiorenza aus, dass Frauen  wie die Männer auch in einer egalitären Gemeinschaft innerhalb des Jüngerkreises gelebt haben.

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Das spiegeln auch die kritischen Texte wider, die die Christen verspotten, weil bei ihnen Frauen mit zu Tisch sitzen, was damals ungewöhnlich für die Gesellschaft war. Vom Mainstream und von den Führenden wurden die Jüngerinnen immer kritisch gesehen. Diese Frauen waren oft nicht verheiratet, weshalb sie auch als Prostituierte dargestellt wurden, obwohl sie das natürlich nicht waren. Die Unterschiede waren in der frühen Christenheit aufgehoben, wie in Galater 3, 28: "In Christus gibt es weder Herr noch Sklave, noch Mann noch Frau". Das hat Anstoß erregt.

Die Nachfolgerinnen gehörten trotzdem nicht zu den zwölf Jüngern. Woran lag das?

Jost: Die zwölf Jünger waren ein späteres Konstrukt. Die Texte geben ja nicht die historische Situation wieder. Sie wurden später nach Jesu Tod aufgeschrieben – ab ungefähr 30 nach Christus. Zu der Zeit hatten die Texte schon eine bestimmte Botschaft: Man wollte zeigen, dass in der Nachfolge Jesu die zwölf Stämme Israels repräsentiert werden, deswegen die Zahl zwölf. Außerdem wollte man sich auch vor den kritischen Stimmen, die schon aufgekommen waren, stärker behaupten, weil sie wegen der Frauen, die in der Nachfolge Jesu standen, angegriffen wurden.

###mehr-personen### Welche Rolle hatte Maria Magdalena unter den Jüngerinnen?

Jost: Es ist relativ klar, dass Maria Magdalena eine herausragende Rolle unter den Jüngern hatte. Sie wird immer wieder erwähnt; in allen Evangelien ist sie die Auferstehungszeugin. Sie wird praktisch immer besonders hervorgehoben als Maria von Magdala. In der gnostischen Tradition gibt es das Evangelium der Maria. In dem Evangelium küsst Jesus sie auf den Mund und gibt ihr eine besondere Rolle. Auch ihre Konkurrenz zu Petrus wird dargestellt. Es ist relativ unumstritten, dass sie letztlich eine der Apostelinnen war. Sie war eine hervorragende und herausragende Jüngerin Jesu. Ich würde Maria Magdalena sogar als Jesu Lieblingsjüngerin bezeichnen.

In dem Schriftstück heißt es, dass Jesu Frau seine Schülerin war. Was heißt das?

Jost: Das ist in dem Sinne gemeint, wie Rabbiner Nachfolger und Schüler hatten. Im Judentum wird davon ausgegangen, dass Jesus eine Frau hatte, weil alle Rabbiner eine Frau hatten. Es gibt allerdings auch Strömungen, in denen die Rabbiner nicht verheiratet waren.

"In der katholischen Kirche ist das nach wie vor eine Provokation."

Was würde es für Jesu Verkündigung bedeuten, wenn er verheiratet gewesen wäre?

Jost: Das ist kein Widerspruch. Es gibt Thesen, die sagen, dass er verheiratet war. Die meisten Texte sprechen dafür, dass er eher nicht verheiratet war. Andererseits würde es auch nichts ändern, wenn er verheiratet war. Es ist nicht belegbar, dass er verheiratet war – aber es ist auch nicht belegbar, dass er nicht verheiratet war. Ein interessantes Gedankenspiel: Was würde das ändern? In der evangelischen Kirche würde es nichts ändern. In der katholischen Kirche mit dem Zölibat und der Ablehnung von Frauenordination ist das natürlich sehr viel provozierender.

Was bedeutet es für uns heute, dass Frauen Jesus nachgefolgt haben?

Jost: In der katholischen Kirche ist das nach wie vor eine Provokation, weil Frauen mit dem Hinweis, dass sie die Nachfolge nicht in dem Maße wie die Männer vollzogen hätten, nicht ins Priesteramt zugelassen werden. In der evangelischen Kirche haben wir mittlerweile eine relative Gleichstellung. Im Pfarrgesetz sind weibliche Pfarrerinnen männlichen gleichgestellt. Aber in den Führungsetagen sind es weniger Frauen. Vor allem in den ganz oberen Leitungspositionen gibt es nur sehr wenige Frauen in Leitungsämtern, wie Annette Kurschus und Ilse Junkermann. Für die evangelische Kirche ist die Aufhebung der Benachteiligung wegen des Geschlechts und des Geschlechterunterschieds relevant, also sollte dies diskutiert werden. Es sollten weitere Konsequenzen folgen, wie zum Beispiel eine Frauenquote.

Kann der Fund heute etwas verändern?

Jost: Es ist die Frage, ob antike Funde überhaupt etwas bestärken oder verändern können. Der Fund zeigt, dass es im zweiten, dritten Jahrhundert eine Debatte gab, ob Jesus eine Frau hatte oder nicht. Außerdem gab es Diskussionen um die Rolle der Frauen, die dann nach und nach zurückgedrängt wurden.