Herr Professor Schröder, Sie bilden künftige Religionspädagogen aus. Welche Zukunft hat der evangelische Religionsunterricht, wie wir ihn heute kennen?
###mehr-personen### Schröder: Ich hoffe, dass er sich halten lässt. Er ist eine ganz wichtige Säule sowohl religiöser als auch allgemeiner Bildung. Aber er ist eben auch eines der strittigsten Felder schulischer Arbeit: Soll er in kirchlicher Mitverantwortung bleiben? Oder soll er durch Religionskunde ersetzt werden, wie in England oder Norwegen? Das markiert die große Herausforderung für uns in den nächsten Jahren.
Ist der Religionsunterricht in seiner jetzigen Form wirklich bedroht?
Schröder: Ich glaube: Ja. Und zwar spätestens dann, wenn der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung unter 50 Prozent sinkt. Das ist ja in vielen Großstädten bereits der Fall. Die Reaktion darauf wird und sollte sein, dass die Kirchen ihre Zusammenarbeit verstärken – wie jetzt schon in Niedersachsen. In vielen Bundesländern wird es hinauslaufen auf einen ökumenischen Religionsunterricht, der offen ist für alle Interessierten.
Ist das ein sinnvoller Weg?
Schröder: Aus meiner Sicht schon, weil die Schule ein öffentlicher Raum ist, wo wir versuchen müssen, erst einmal eine religiöse Perspektive und dann das Christentum zu plausibilisieren. Von dort gibt es dann Verweise in die konfessionell geprägte Glaubenspraxis der jeweiligen Gemeinden.
Solange es den evangelischen Religionsunterricht noch gibt in der heutigen Form: Wo kann er noch verbessert werden?
Schröder: Zum Beispiel in der Nutzung moderner Medien. Oder beim interreligiösen Lernen. Evangelisch erziehen heißt für mich immer auch: zum Respekt vor anderen Religionen erziehen.
"Religion war nie darauf ausgelegt, möglichst viel zu "bringen" für den Menschen, vielmehr darauf, sein Tun und "normales" Denken zu unterbrechen"
Sie selbst sind seit langem im jüdisch-christlichen Dialog aktiv. Was können christliche Schüler – oder auch Erwachsene – vom Judentum lernen?
Schröder: Zum Beispiel, dass aus dem Glauben ein Tun folgt. Oder auch, dass eine Religion vielsprachig sein sollte – um weltweit ins Gespräch eintreten zu können. Wenn ich als Christ das Judentum wertschätze und aufmerksam wahrnehme, dann komme ich in eine dialogische Grundhaltung. Ich komme weg davon, zu sagen: "Ich definiere die Wahrheit und gebe sie weiter!" Ich begebe mich vielmehr auf die Spur der Überzeugungen des Anderen – und erlebe das als Bereicherung und Anregung.
Welche Dialoge und Lernprozesse sollten in der religiösen Bildung noch angestoßen werden?
###mehr-links### Schröder: Ich denke, wir sollten uns stärker als bisher auseinandersetzen mit den großen Denkformen unserer Zeit. Damit meine ich zum Beispiel das ökonomisch-pragmatische Denken, in das wir ja alle hineinsozialisiert werden. Wenn man nur fragt "Was bringt mir das?" gerät man in Konkurrenz zur Sichtweise und Praxis von Religion. Denn Religion war nie darauf ausgelegt, möglichst viel zu "bringen" für den Menschen, vielmehr darauf, sein Tun und "normales" Denken zu unterbrechen. Eine andere große Denkform wäre das naturwissenschaftlich-technische Denken: Wir sind gewohnt, für alle Phänomene rationale Erklärungen zu finden und sie dann auch "in den Griff zu bekommen". Religion dagegen sagt: Es gibt Unverfügbares. Es gibt Dinge, die sich nicht rationalisieren lassen.
Eine übermächtige Konkurrenz für Religion – diese beiden Denkformen! Mancher wird da versucht sein, sich in einen bequemen Fundamentalismus zu flüchten.
Schröder: Deshalb ist es eine zentrale Aufgabe von religiöser Bildung, zu zeigen: Bei aller Konkurrenz können wir diese unterschiedlichen Orientierungsmuster auch komplementär aufeinander beziehen: beispielsweise naturwissenschaftliche Weltentstehungstheorien und den biblischen Schöpfungsmythos. Wenn es nicht gelingt, dass ein Jugendlicher lernt, beides komplimentär zu denken, dann geht für ihn eine Tür zum Glauben zu. Und ich fürchte, sie wird nicht leicht wieder aufgehen.
"Wo es gelingt, jugendliche Mitarbeiter zu gewinnen, wird der Unterricht für die Konfirmanden attraktiver, innovativer, jugendnäher"
Eine der Schlüsselfrage religiöser Erziehung ist sicher, wie Kinder und Jugendliche in eine lebendige, tragfähige Alltagsspiritualität hineinwachsen können – vor allem dann, wenn sie das nicht mehr von zu Hause kennen. Wo ist der richtige Ort dafür?
Schröder: Sie haben recht: Das ist eine unserer zentralen Herausforderungen. Aber da dürfen wir vom schulischen Religionsunterricht nicht allzu viel erwarten. Dort soll eher informiert werden über die Traditionen, Denkfiguren und Formen, die das Christentum hervorgebracht hat. Die Religionslehrer können nur verweisen auf Orte, wo man christliche Glaubenspraxis im Alltag erleben kann.
Da kommt dann vor allem die Kirchengemeinde ins Spiel? Der Konfirmandenunterricht?
Schröder: Genau. Dort können die Konfirmanden mal erproben, was christliche Lebenspraxis bedeuten würde: indem sie auf Zeit einer Gemeinschaft angehören, indem sie mitwirken an Gottesdiensten oder in der Diakonie. Sie bleiben natürlich frei, sich dann zu entscheiden.
Und was ist mit der Spiritualität im Alltag?
###mehr-artikel### Schröder: Da gibt es heute eine Vielfalt an Formen, mit der wir die Jugendlichen bekannt machen sollten. Wir können ihnen zum Beispiel zeigen, dass Beten nicht nur darin besteht, in der Kirchenbank die Hände zu falten, sondern dass es – selbst innerhalb des Christentums – eine Fülle von Ausdrucksweisen gibt, ich erinnere nur an Meditationen. Es kann auch ein bestimmter Ritus sein, den ich im Alltag einführe, der mir selbst eine Unterbrechung ermöglicht. Das kennenzulernen und einzuüben, kann das Schulfach "Religion" nicht leisten.
Dafür sind also die Pfarrer und Gemeindediakone zuständig...
Schröder: ... und ihre hoffentlich jugendlichen Mitarbeiter, auf die ich sehr stark setzen würde! Verschiedene Studien haben gezeigt: Wo es gelingt, jugendliche Mitarbeiter zu gewinnen, wird der Unterricht für die Konfirmanden attraktiver, innovativer, jugendnäher. Vielen ehemaligen Konfirmanden macht so eine Mitarbeit Spaß. Sie stärkt ihr Selbstbewusstsein und schenkt ihnen Gemeinschaft im Mitarbeiterkreis. Ein Netzwerk entsteht, das für viele Jugendliche attraktiv ist.
Religiöse Bildung richtet sich heute nicht nur an junge Leute, sondern auch an Erwachsene. Welche Angebote sollte die Kirche den Kirchendistanzierten machen?
Schröder: Die große Herausforderung für uns ist, ihnen immer wieder Fenster zu öffnen, sich mit Religion und Glauben auseinanderzusetzen. Wir haben heute viele Lernorte und Formate: die kognitive Erwachsenenbildung, neue Gottesdienstformen, Nächte der offenen Kirchen, Empfänge für neu Zugezogene, nicht zuletzt die Medien. Wir müssen als Kirche lernen, auf dieser Klaviatur zu spielen. Wenn man die Leute taktvoll anspricht, sind viele empfänglich für solche offenen Formen. Gerade auch, wenn sie merken: Es wird nicht von ihnen verlangt, regelmäßig zu erscheinen. Wir müssen lernen zu akzeptieren, dass die Menschen ihre Distanz oder Nähe zur Kirche selbst definieren – und dennoch "interessiert" dabei bleiben.
"Die Kirche sollte sich als eine Art Tankstelle verstehen"
Lassen Sie uns noch kurz über die Ausbildung des Theologennachwuchses sprechen. Vor welchen Herausforderungen steht akademische Theologie heute?
Schröder: Ganz grob: Wir beschäftigen uns zu viel mit der Geschichte der Theologie, mit den Denkfiguren früherer Jahrhunderte. Aber Theologie ist mehr als nur Aufarbeitung von Theologiegeschichte. Das Fragen nach den Erfahrungen moderner Menschen, nach ihrem Selbstverständnis und nach dem, was für sie hilfreich sein kann, bräuchte größeres Gewicht!
Wie ließe sich da gegensteuern?
Was ist Ihre Vision für die Kirche generell?
Schröder: Die Kirche sollte sich als eine Art Tankstelle verstehen. Die Leute kommen nicht zur Tankstelle, um an ihr zu verweilen, sondern um zu tanken und danach weiterzufahren. Das hieße: Menschen kommen zur Kirche, um sich stärken zu lassen und ansonsten ihr Leben zu führen als moderne Menschen in dieser Gesellschaft – und als Christen. Dazu wollen wir Kirchenleute ihnen Hilfestellungen geben: durch ein vielfältiges gottesdienstliches Angebot, durch religiöse Bildung, durch Diakonie. Das ist unser Auftrag. Mehr wollen wir nicht. Die Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da. Sie sollte sich selbst nicht zu ernst nehmen.