"Ich kam hierher um zu leben, nicht um zu sterben"

Die fünf Cousins aus Syrien beim Essen
Foto: Fabian Köhler
Die fünf Cousins aus Syrien beim Essen. Sie verlassen ihre kleine Wohnung am Stadtrand von Kairo fast nur noch, um zu arbeiten.
"Ich kam hierher um zu leben, nicht um zu sterben"
Auch in Ägypten wird das Leben für syrische Flüchtlinge schwerer
Hunderttausende Syrer sind vor dem Krieg in ihrem Land nach Ägypten geflohen. Seitdem dort Militärs die Macht ergriffen haben, nehmen Gewalt und Diskriminierung gegenüber den angeblichen syrischen Mursi-Unterstützern und Islamisten zu. Der Alltag von fünf syrischen Cousins in Kairo zeigt, dass sie eigentlich nur eines wollen: leben.
09.09.2013
Fabian Köhler

Mohammad* hatte nicht vor, heute zu sterben.  Der Qualm von Apfeltabak drückt aus seiner Nase. Seine zarten Finger tippen Liebesbeteuerungen in sein Smartphone. Warum er die Islamisten unterstütze, schimpft eine schwarz verschleierte Frau beim Vorübergehen. "Knallt den Terroristen ab", ruft ein Mann vom gegenüberliegenden Bordstein. Immer mehr Menschen versammeln sich. "Komm, wir verschw…",  sagt Mohammad und rennt.

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Mohammad ist Syrer. Er ist es gewohnt, dass Menschen ihn umbringen wollen. Dass  er auch in Ägypten um sein Leben fürchten muss, ist allerdings neu für ihn. Der 27-jährige ist Flüchtling. Einer von mittlerweile rund 300.000, die in Ägypten Sicherheit suchten und immer noch suchen . Eine  kleine Zweizimmer-Wohnung am Rande der ägyptischen Millionenstadt Kairo ist Mohammads neues Zuhause – und das von vier seiner Cousins. Alle wuchsen sie in einer Kleinstadt am Rand von Damaskus auf. Zu unterschiedlichen Zeiten trieb der Krieg sie aus ihrer Heimat und in dem kargen Betonbau an einer Kairoer Schnellstraße wieder zusammen.

Eine thailändische Chat-Bekanntschaft wird zum Fenster zur Welt

"Wir wollten nicht viel und nicht einmal das bekamen wir", sagt Mohammad. In Syrien wollte er einen Computerladen  eröffnen. In Ägypten tippt er nun Nacht für Nacht auf dem gesprungenen Display seines Smartphones herum. Eine thailändische Chat-Bekanntschaft ist einer seiner wenigen Kontakte zur Welt jenseits des Flüchtlingslebens. Die Cousins teilen sich drei speckige Matratzen. Es ist vier Uhr nachts, als sein Cousin Yasser mit einem Ellenbogenstoß Mohammeds Flirt beendet.

In Syrien hat Yasser für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR gearbeitet. Nun ist der 33-jährige selbst auf das Geld von Verwandten angewiesen. Über ihm rattert müde ein Deckenventilator, der es nicht schafft, die Hitze aus dem überfüllten Zimmer zu treiben. Neben den fünf Cousins schlafen in dieser Nacht noch zwei weitere Syrer und ein palästinensischer Flüchtling in der Wohnung oder schlagen die Zeit tot mit Wasserpfeifen und den nicht enden wollenden Fernsehbildern von Leichen aus der Heimat.

Nachdem Mursi abgesetzt wurde, brannten auch syrische Geschäfte

Das Leben für Syrer in Ägypten ist gefährlich geworden, seitdem Militärs am 3. Juli die Macht übernahmen. Täglich, so berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, werden Syrer abgeschoben. Ägyptische Behörden schicken ganze Flugzeuge zurück in das Kriegsgebiet. Nachdem die Armee am 15. August Demonstrationen für den abgesetzten Ex-Präsidenten Mohammed Mursi blutig niederschlug, brannten auch syrische Geschäfte, wurden Syrer auf der Straße angegriffen und willkürlich inhaftiert.

"Das ist jetzt mein Leben", sagt Nidal und zeigt auf einen durchgesessenen braunen Zweisitzer. In Syrien hat der 26-Jährige Luftfahrtwesen studiert. In Ägypten jobbt er als Handyverkäufer. Die Wohnung, sagt er, verlasse er fast nur noch zum Arbeiten. Doch den Hass bekommt er auch zu Hause zu spüren: Im Armee-loyalen Staatsfernsehen werden Syrer in Sondersendungen für die jüngsten Unruhen verantwortlich gemacht. Ein Kommentator rief seine Landsleute dazu auf, jeden Syrer festzunehmen. In den Hauptnachrichten werden Verschwörungstheorien verbreitet, wonach es Syrer seien, die hinter den wöchentlichen Protesten gegen die Militärdiktatur stünden.

Statt Frieden kam der nächste Krieg

"Unter Mursi wurden wir behandelt wie Ägypter, nun bekämpft man uns als Terroristen", sagt Mohammad. Bis zum Sturz Mursis galt Ägypten als eines der gastfreundlichsten Länder für syrische Flüchtlinge: Einreise ohne Visum, unbegrenzter Aufenthalt, Zugang zu fast allen staatlichen Leistungen. "Wir wollten Frieden und bekamen den nächsten Krieg", sagt er. Eine Computerstimme flüstert "I want to kiss you". Es ist die neueste thailändische SMS aus seinem Handy.

Jeden Tag könnten ägyptische Behörden einen der Cousins nach Hause schicken.

In Form einer aufgebrochenen Tür trat der Krieg vor knapp einem Jahr in Syrien in sein Leben. Soldaten stürmten die Wohnung seiner Familie. "Die beiden hingen da schon in einer Folterkammer des syrischen Geheimdienstes", sagt er und zeigt auf seine Cousins Nidal und Khalid. Aus Angst, verraten und verhaftet zu werden, brach er den Kontakt zu Freunden und Angehörigen ab. Die oppositionelle "Freien Syrische Armee" versteckte ihn. Er revanchierte sich, indem er anrückende Regierungstruppen meldete. Für die Kämpfer organisierte er Plätze im Krankenhaus, koordinierte Mörserangriffe und tat das, wovor er sich selbst am meisten fürchtete: Er schwärzte Nachbarn an, die das Regime unterstützten. Oder von denen er glaubte, dass sie es taten.

"Du kannst Syrien niemals verlassen", sagt Luay. Der 22-jährige ist der jüngste unter den Cousins. Als einziger verließ er Syrien für sein Studium schon, als Syrer noch demonstrierten anstatt einander niederzuschießen. Seine Studentenwohnung ist nun der Zufluchtsort für immer mehr und immer entferntere Verwandte. Auch sein Alltag ist geprägt vom Töten und Sterben in der Heimat. Während seine Mutter und Schwester flüchten konnten, sitzt sein Bruder in Aleppo fest: weil es kaum noch einen sicheren Weg heraus aus der schwer umkämpften Stadt gibt. Und weil der Grundwehrdienst des Regierungssoldaten regelmäßig verlängert wird.

"Unsere einzige Konstante ist die Hoffnungslosigkeit"

Jeden Tag könnten ägyptische Behörden einen der Cousins nach Hause schicken. Papiere der UNHCR, die den Flüchtlingsstatus festschreiben und damit zumindest etwas Schutz vor Abschiebung bieten, haben die meisten von ihnen nicht: Weil sie unter Mursi niemand brauchte, und weil die UN-Organisation zurzeit mit Anträgen hoffnungslos überlastet ist.

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"Die einzige Konstante in meinem Leben ist die Hoffnungslosigkeit", sagt Mohammad. Sein Handy legt er für einen Moment zur Seite, als Al-Jazeera mal wieder Bilder der Toten des Chemiewaffenangriffs zeigt: Kinder, die aussehen, als würden sie schlafen. Eltern, die schreiend auf dem Boden kauern. 

"Welchen Unterschied macht es, ob wir nun vergast, zerbombt, erschossen oder in Ägypten gelyncht werden?" fragt Yasser, als im Fernsehen über Für und Wider eines amerikanischen Angriffes auf Syrien diskutiert wird und Mohammad die nächste Wasserpfeife mit Apfelaroma bringt. "Ich kam hierher um zu leben, nicht um zu sterben. Aber das kann man sich als Syrer wohl nicht aussuchen", sagt er und flüstert "I miss you" in sein Smartphone.

*Namen und biografische Angaben wurden verändert, um die Flüchtlinge zu schützen.