Tacheles: "Hat die Kirche noch Zukunft?"

Tacheles: "Hat die Kirche noch Zukunft?"
Die evangelische Kirche zwischen Starrsinn und Beliebigkeit
Ist die evangelische Kirche ein Ort voller Beliebigkeit, bemüht, es jedem Recht zu machen? Oder ist ihre Stärke, gerade die Schwachen und Gescheiterten im Blick zu haben und ihnen eine Heimat zu geben? Darüber diskutieren die Gäste bei "Tacheles", der evangelischen Talkshow auf Phoenix. Wie so oft in letzter Zeit sorgte auch das Familienpapier der EKD für mächtig Zündstoff.

Weder in seiner eigenen Kolumne noch in der Talkrunde von "Tacheles" macht Jan Fleischhauer einen Hehl daraus, was er vom neuen EKD-Familienpapier hält: nämlich herzlich wenig. "Die evangelische Kirche ist zu weit gegangen, um es allen Recht zu machen", sagt er in der Sendung. Auch wenn die Abkehr vom strafenden Pastor richtig sei, bedauert Fleischhauer, dass die protestantische Kirche Begriffe wie "Sünde" meidet. Und "wenn ein 50-Jähriger seine Frau für eine 30 Jahre jüngere verlässt, erwarte ich, dass man ihm ins Gewissen redet. Da will ich nicht lesen: manchmal scheitert eine Ehe, dann beginnt eine neue." Solche Ansätze gehen ihm zu weit, sagt der Journalist.

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Margot Käßmann hält dagegen. Nach wie vor seien Verantwortung, Vertrauen und Verlässlichkeit Grundpfeiler einer guten Ehe. Der Wunsch der Evangelischen Kirche Deutschland sei es, dass alle, die egal in welcher Form zusammen leben, auf diese Grundpfeiler setzten. Aber zu viele hätten in der Vergangenheit eine Kirche erleben müssen, in der sie aufgrund ihrer Lebensform verurteilt wurden – weil sie homosexuell leben oder weil sie an etwas gescheitert sind. "Zu schreiben, dass in unserer evangelischen Kirche auch zum Abendmahl kommen darf, wer homosexuell lebt, wer geschieden ist, das finde ich ist eine große Freiheit und Reichweite", sagte Käßmann.

Sahnetorte ist die moderne Sünde

Ist die evangelische Kirche in einer Zwickmühle? Versucht sie moderne Antworten zu geben, wird sie als angepasst gescholten, tritt sie konservativ auf, wird sie als starr vergeurteilt. Bestimmt, gibt Moderator Jan Dieckmann schon fast selbst die Antwort – wie geht man aber damit um? Für Eckhard von Hirschhausen, nicht nur Arzt, Comedian und Schriftsteller, sondern auch Sprössling einer Pfarrersfamilie, wie er selbst verrät, ist das gar nicht so schwer: Man müsse Freude an den Widersprüchlichkeiten entwickeln und gar nicht erst glauben, dass man diese auflösen könne. Die Kirche hält er auch heute nach wie vor für wichtig – und antwortet damit ungefragt auf das Thema der Sendung: "Wer‘s glaubt, wird selig: Hat die Kirche noch eine Zukunft?"

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Allein in der Idee, kirchlich zu heiraten, so Hirschhausen, stecke etwas Wichtiges: Zwei Menschen allein sind überfordert, so etwas hinzubekommen. Sie brauchen jemanden, der ihnen ins Gewissen redet. Weil dieser Schritt so wertvoll sei, gäbe es auch bei säkularisierten Menschen den Versuch, dem Ritual eine andere Form zu geben. „Wir kommen um das Religiöse im Leben nicht herum, wir finden nur neue Orte“, sagt Hirschhausen. Das Wort Sünde beispielsweise finde nun nicht mehr in der Kirchen, sondern vor allem im Zusammenhang mit Essen: "Wer Sahnetorte isst, sündigt." Im Fitnessstudio könne man dann Ablass tun. Das ist natürlich kein adäquater Ersatz für, sagt Hirschhausen. Beispielsweise gäbe es so etwas wie einen "Tag der Versöhnung" nur in der Religion.

Verliert die Kirche ihr Alleinstellungsmerkmal?

Für Fleischhauer liegt genau darin das Problem. Die evangelische Kirche gebe ihr Alleinstellungsmerkmal ab. Dafür werde sie immer mehr wie "Greenpeace mit Handauflegen", sagt er. Doch in dieser Position könne die Kirche nur verlieren – das, so Fleischhauer, sehe man auch an den Austrittszahlen. Er kritisiert, dass die evangelische Kirche ihr Handeln immer mehr aufs diesseits richtet: "Wenn ich auf den Kirchentag gehe, hab ich das Gefühl, bei einer Veranstaltung der Grünen zu sein", sagt der Journalist. Zu viel Politik, zu wenig Spiritualität, kritisiert er.

Auch hier widerspricht Käßmann – sie kenne auch die Stimmen, die sagen, dass der Kirchentag immer spiritueller werde. Für sie gehöre alles zusammen Spiritualität, religiöses Erleben, christlicher Glaube und das Engagement in der Welt. Außerdem sei das Christentum immer auch eine Gemeinschaftsreligion. Man könne zwar allein im Wald "Großer Gott wir loben dich" singen – doch gerade das "wir" ginge dabei verloren.

Für jeden, den die Gegenwartsdiskussionen in der evangelischen Kirche interessieren, ist die Sendung eine Bereicherung. Gerade die meinungsfreudigen Gäste sorgen für eine lebendige Diskussion – zu ihnen gehört auch der Theologe und Psychologe Frido Mann. Deshalb war es schon fast schade, dass das Gespräch von Zuschauerstimmen unterbrochen wurde, die nur einmal mehr die unterschiedlichen Positionen darstellten. Eine Einigung gab es am Ende natürlich nicht. Da kann der Zuschauer nur den Ratschlag von Hirschhausen zu Beginn verfolgen. Und ob die Kirche eine Zukunft hat? Da hält es zumindest Margot Käßmann ganz entspannt mit einem Lutherwort – nicht der Mensch ist es, der die Kirche erhält, sondern Gott.

Sonntag, 8. September um 24 Uhr, am 15. September um 24 Uhr und am 29. September um 17 Uhr auf Phoenix