Wenn Christian Wolff, evangelischer Pfarrer der Leipziger Thomaskirche, auf die Kanzel steigt, kann es für die Gottesdienstbesucher schon mal ärgerlich werden. Der Theologe predigt gerne politisch - und ist obendrein auch noch SPD-Mitglied. Manch einer stürmte bereits türenknallend aus der Kirche, weil ihm die Worte des Mitte-60-Jährigen nicht passten. Dass sich ein Pfarrer in die Politik einmischt, ist für Wolff selbstverständlich. Wahlempfehlungen gibt er aber nicht ab - auch nicht zur Bundestagswahl am 22. September. "Das wäre dumm", sagt er.
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"Pfarrer sind in ihrer Verkündigung grundsätzlich frei", sagt Reinhard Mawick, Sprecher der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Die Kirche begreife sich jedoch als überparteilich, fügt er einschränkend hinzu. Empfehlungen, eine bestimmte Partei zu wählen, sind in der evangelischen Kirche unüblich. Stattdessen ruft sie ganz grundsätzlich zur Wahlbeteiligung auf.
Gleiches gilt auch für die katholische Kirche. Vor wenigen Wochen sorgte jedoch Freiburgs Erzbischof Robert Zollitsch für Aufsehen, weil er aus seiner Meinung über die euroskeptische Alternative für Deutschland (AfD) keinen Hehl machte. Er hoffe, dass es sich bei der Partei um "ein paar Nostalgiker" handele, "die nicht in den Bundestag einziehen", sagte er dem "Badischen Tagblatt". Die AfD reagierte entrüstet, die Deutsche Bischofskonferenz verteidigte die Einschätzung ihres Vorsitzenden als "freie Meinungsäußerung", in der "keinerlei Wahlempfehlung" zu finden sei.
Kandidaten mit "christlicher Grundhaltung"
Unterdessen kündigten die deutschen Bischöfe ein Hirtenwort zur Bundestagswahl an, in dem sie die Bürger dazu aufrufen, ihre Stimme abzugeben. Seit Anfang der 80er Jahre ist das so üblich. Auch davor gab die katholische Kirche zwar keine konkreten Wahlempfehlungen ab - "jeder wusste aber, wer gemeint war", sagt Thomas Großbölting, Geschichtsprofessor an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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Tatsächlich legten die Bischöfe es den Katholiken in ihren Hirtenworten nahe, bei CDU und CSU ihr Kreuzchen zu machen. So empfahlen sie den Gläubigen zur Bundestagswahl 1957, Kandidaten zu wählen, "deren christliche Grundhaltung bekannt ist, und deren öffentliche Tätigkeit dieser Grundhaltung entspricht".
Das Ende dieser Art von Wahlhilfe für die Unionsparteien markierte das Jahr 1980. Nicht nur die SPD kritisierte den damaligen Hirtenbrief als einseitig. "Auch prominente Katholiken lehnten das Vorgehen öffentlich ab und provozierten damit eine interne Diskussion darüber, ob die Bischofskonferenz überhaupt dazu berechtigt sei, einseitig für eine politische Partei zu werben", sagt Großbölting. "Die Zeiten, in denen katholische Bischöfe offen und unwidersprochen für die CDU werben konnten, waren definitiv vorbei."
Parteimitgliedschaft als Teil der Demokratie
Politik und Kirche gehören für den evangelischen Leipziger Pfarrer Wolff trotzdem zusammen. Für ihn ist es selbstverständlich, Mitglied einer Partei zu sein - als Pastor wie als Bürger. "Die Demokratie ist die Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens, die dem christlichen Glauben am ehesten entspricht", sagt der Theologe. Und eine Parteimitgliedschaft sei eben wesentlicher Teil der Demokratie.
Ähnlich sieht das Pascal Kober. Er trat Ende der 90er Jahre in die FDP ein. Seit 2009 ist er Bundestagsabgeordneter seiner Partei. Bis dahin war der Theologe Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Beruf und politisches Engagement trennte auch er strikt. "Ich habe als Pfarrer immer sehr genau darauf geachtet, dass mir niemand den Vorwurf machen kann, parteipolitische Aussagen zu tätigen", sagt der heute 42-Jährige.
Mehr noch: Kobers Gemeindemitgliedern blieb der politische Hintergrund ihres Pfarrers lange verborgen. Seine Landeskirche bat er 2007 mit Erfolg um einen Dienstauftrag außerhalb des Wahlkreises Reutlingen, für den er kandidierte. "Ich wollte meine Position als Pfarrer nicht für meine politische Kandidatur nutzen", sagt er. Als Berufspolitiker sehe er sich bis heute nicht. "Ich bin nicht aus dem Pfarramt geflohen." Seine Rückkehr in den alten Beruf, von dem er für die Zeit seiner politischen Tätigkeit beurlaubt ist, sei sicher. Wahlempfehlungen bleiben für ihn tabu.