Es ist naturgemäß gar nicht so leicht, auf fesselnde Weise vom Alltag zu erzählen. In der Regel funktioniert das nur, wenn sich hinter dem unspektakulären Geschehen etwas zusammenbraut; und wenn die vermeintliche Ereignislosigkeit von Darstellern verkörpert wird, die in der Lage sind, Spannung zu vermitteln, obwohl vordergründig gar nichts passiert. Lars Eidinger und Ursina Lardi gelingt das in Sylke Enders’ Drama über das Ehepaar Peter und Elisabeth ganz wunderbar, was auch damit zusammenhängt, dass sich beide Figuren in einer Grauzone bewegen: Dass Elisabeth einen unverzeihlichen Fehler begeht, lässt sie nicht automatisch zur Antagonistin werden, zumal Peter mit einem unreifen Trotz reagiert, der ihn auch nicht gerade sympathisch macht.
Der eheliche Rollentausch
Schon allein das ist mutig: Enders (Buch und Regie) verzichtet auf eindeutige Schuldzuweisungen und nimmt in Kauf, dass beide Hauptfiguren polarisieren. Das gilt auch für ihre Geschichte. "Du bist dran" handelt vom ehelichen Rollentausch: Peters Lebensentwurf ist irgendwann gescheitert, er kümmert sich um Haushalt und Kinder, während Elisabeth als Entwicklungshelferin Karriere gemacht hat. Andersrum wäre das nicht der Rede wert, doch so birgt die Konstellation großes Reibungspotenzial: Peter scheint sich in seiner Rolle durchaus wohl zu fühlen, hat aber ein Problem damit, wie andere ihn sehen. Enders bringt sein Weltbild erst ins Wanken und dann zum Einsturz, als er innerhalb kurzer Zeit drei Schläge verkraften muss: Erst stirbt seine geliebte Mutter, dann schockiert ihn der Vater nur wenige Monate später mit einer neuen Lebensgefährtin. Als er schließlich eher zufällig erfährt, dass Elisabeth offenbar über seinen Kopf hinweg zugesagt hat, samt Familie für zwei Jahre nach Nairobi zu ziehen, zerbricht seine Selbstachtung; endlich kommt zum Vorschein, was unter der Oberfläche schon lange gegärt hat.
Peter ist die eindeutige Hauptfigur der Handlung, was es Ursina Lardi erschwert, Punkte für ihre Figur zu sammeln. Lässt man die Nairobi-Entscheidung mal beiseite, wirkt Elisabeth jedoch nur deshalb egozentrisch, weil sie eine Frau ist. Eidinger wiederum versteht es nicht zuletzt dank seiner Jungenhaftigkeit großartig, Peters Unreife zu verkörpern. Ein Zeitsprung vom Herbst ins Frühjahr wirkt auf den ersten Blick wie eine Rückblende, weil Peter beim ungeduldigen Hantieren mit dem Rasenmäher seines Vaters dank Kleidung und Körpersprache wie ein Jugendlicher erscheint. Eine ungewöhnliche Idee ist der frontale finstere Blick, mit dem Peter am Ende dieser Szene auf die Kamera zumarschiert.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Enders, die vor zehn Jahren für ihr Regiedebüt "Kroko" mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde, inszeniert ihre Geschichte einer Ehekrise vergleichsweise undramatisch. Für die nötige Dynamik sorgen die vorzüglichen Schauspieler. Das gilt gerade auch für die Nebendarsteller, allen voran Horst Westphal als Peters zunächst ziemlich wortkarger Vater, der nach dem Tod seiner Frau sehr schutzbedürftig, später aber voller Elan und wie ausgewechselt wirkt. Ganz ausgezeichnet geführt sind auch die beiden Kinderdarsteller, deren Natürlichkeit gerade den gemeinsamen Szenen mit Eidinger viel Authentizität verleiht.